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Tanz auf der Rasierklinge: Potsdamer Historiker über den "Babylon Berlin"-Mythos

Der Potsdamer Historiker Hanno Hochmuth hat sich mit der Erfolgsserie „Babylon Berlin“ befasst. Und dabei auch Antworten auf die Frage gefunden, warum die „Goldenen Zwanziger“ derzeit ein Comeback erleben.

Von Helena Davenport

Potsdam - Hier findet das Leben statt, in all seinen schillernden Farben. Hier wird geflirtet und gequatscht, verhandelt und gefeiert, getrunken und auf den Tischen getanzt. Hier trifft der treue Staatsdiener auf die kesse Partybiene, und der Politiker bittet die Opernsängerin um einen letzten Drink. Im Moka Efti herrschen weder Zwänge noch Konventionen, und Herkunft spielt ohnehin keine Rolle. Hier kann ein Jeder seine Sorgen vergessen, sich berauschen an der eigenen Phantasie. Denn das andere Leben, das Leben da draußen, das ist nicht halb so bunt. Berlin ist arm und dreckig. Wer in der Gosse landet, kommt nur schwer wieder raus. Auch für Charlotte Ritter ist das Moka Efti, der berüchtigte Club am Tiergarten, ein Sehnsuchtsort – auch dann, wenn sie dort in ihr Lederoutfit schlüpfen muss, um darin Männer für Geld mit der Peitsche zu verführen.

Die Rede ist von der 16-teiligen Erfolgsserie „Babylon Berlin“. Seit dem heutigen Mittwoch und bis zum 12. Januar läuft sie wieder in der ARD, zum zweiten Mal. „Sie zeigt ein komplexes Universum, was der historischen Komplexität von Weimar als Phänomen sehr gerecht wird“, sagt Hanno Hochmuth. Der Historiker vom Potsdamer Zentrum für Zeithistorische Forschung (ZZF) hat sich mit den verschiedenen Bildern auseinandergesetzt, die nach 1945 von der Stadt des Vergnügens, vom Sündenbabel Berlin konzipiert wurden. Vor diesem Hintergrund beschäftigt er sich mit der Frage, was die Bilder aus „Babylon Berlin“ über ihre Entstehungszeit, nämlich die Gegenwart, aussagen.

Im Rahmen einer öffentlichen Ringvorlesung mit dem Titel „Weimars Wirkung. Das Nachleben der ersten deutschen Republik“, die noch bis zum Ende des kommenden Sommersemesters läuft, hat Hochmuth im November einen Vortrag gehalten. Veranstaltet wird die Reihe vom ZZF, zusammen mit der Humboldt-Universität Berlin und der Berliner Stiftung Topographie des Terrors. Was die Zeit der Weimarer Republik so faszinierend macht, will man nachvollziehen – und warum sich gerade jetzt so viele mit dieser Zeit beschäftigen.

Verfolgungsjagden auf dunklen Straßen und politische Intrigen erzeugen Spannung, im nächsten Moment wird Morphiumsucht thematisiert, und so an das Trauma des Ersten Weltkriegs erinnert. Auch die Suche nach Arbeit spielt in der Serie eine große Rolle. Und eine Szene weiter werden Damen in ihren glamourösesten Abendkleidern bei einem Glas Champagner gezeigt. Vieles scheinbar sehr Gegensätzliches spielt sich in der Serie parallel ab – wohl ein Grund dafür, dass die X-Filme-Produktion so beliebt ist.

Im Herbst 2017 schauten pro Folge, die durch den Bezahl-Fernsehsender Sky ausgestrahlt wurde, rund 570.000 Zuschauer zu. Ende 2018 lief die Serie, bei der Tom Tykwer, Achim von Borries und Henk Handloegten Regie führten, dann noch einmal in der ARD. Durchschnittlich waren pro Folge fast fünf Millionen Zuschauer dabei.

Elend und Freiheit hätten in den Goldenen Zwanzigern eng beieinandergelegen, so Hochmuth. Der Lebenswandel der Protagonistin Charlotte zeige das sehr eindringlich. Ihre Familie lebt auf engem Raum in Moabit zusammen, die Schwester und der Schwager sind arbeitslos, ihre Mutter hat Syphilis, der Vater lebt nicht mehr und der Opa scheint wie ein Halbtoter, der sein Umfeld nicht mehr realisiert. Um diesem Leben, das von Armut, Verwahrlosung und Gewalt geprägt ist, zu entkommen, prostituiert Lotte sich selbst – im Bordell des Moka Efti.

„Die Weimarer Geschichte ist eine Geschichte des Aufbruchs, des Strebens nach Freiheit, Freizügigkeit und sexueller Emanzipation“, sagt Hochmuth. Und dieses Streben sei immer auch ein Tanz auf der Rasierklinge, so der Historiker. Denn schon Zeitzeugen ahnten: Der Absturz kommt noch. Und er kam: Der Kulturbruch durch die nationalsozialistische Diktatur ist auch bei der Serie vorauszusehen. Das Unbehagen gegenüber den Mächtigen wächst, der Hass auf den Straßen tobt. Wie man es sonst eher aus US-amerikanischen Serien kennt, fließen bei „Babylon Berlin“ unzählige Erzählstränge zusammen, die sich gemeinsam bis zu einem Höhepunkt zu winden scheinen, an dem alle Handlungen eskalieren werden. Aber die Eskalation bleibt vorerst aus. Stattdessen kommen neue Erzählstränge hinzu und das zu erwartende Unheil wird immer größer.

Einen Schattenort nennt Hochmuth das Berlin der Goldenen Zwanziger, einen Ort, der Aufbruch und Zusammenbruch in sich vereint. Wie heißt es doch gleich im Titelsong? „Wunder warten bis zuletzt“ – bis der Schatten alles verdunkelt, bleibt noch ein letzter Tanz. Dass eine Demokratie gezeigt wird, die unter starken Beschuss von rechts gerät, trage auch zu dem Erfolg der Serie bei, so Hochmuth. In der zweiten Hälfte der Serie geht es um eine Verschwörung der schwarzen Reichswehr. Diese plant einen Putsch – an Fronleichnam sollen die demokratischen Kräfte umgebracht werden, die Republik soll einstürzen. „So weit ist es heute zum Glück nicht“, sagt Hochmuth. Die Unterschiede zwischen den Zwanziger Jahren aus der Serie und der deutschen Gegenwart würden gegenüber den Gemeinsamkeiten überwiegen. Schließlich habe Deutschland aktuell eine politische Kultur, die eine Mehrheit von überzeugten Demokraten besitzt. Und diese sei auf Konsens konzentriert, nicht auf die Eliminierung des Gegners.

Hinzu komme, dass Deutschland nicht gerade eben einen Krieg verloren hat, und die Arbeitslosenquote nicht bei 44 Prozent liegt, erklärt Hochmuth. „Dennoch gibt es Indizien, dass die Ähnlichkeiten wachsen“, so der Historiker. Das beste Beispiel sei der Begriff „Lügenpresse“, der aus der Zeit der Weimarer Republik stammt und im Prinzip die Legitimität eines gegnerischen Arguments vollkommen anzweifelt. Hochmuth nennt den Begriff ein Indiz für politische Verrohung. „Das ist etwas, was nicht zur politischen Kultur der Bundesrepublik gehört“, sagt er. Schließlich habe die Bundesrepublik eigentlich aus dem Versagen der Weimarer Republik gelernt. „Geschichte wiederholt sich nicht“, so der Historiker. Trotzdem sei Deutschland gut beraten, dafür zu kämpfen, dass die Ähnlichkeiten zu der damaligen Situation sich nicht vermehren.

Dass Berlin in der Babylon-Serie als internationaler Schmelztiegel präsentiert wird, erzeugt eine weitere Parallele zur Gegenwart. Berlin in seinen Goldenen Zwanzigern gehörte zu den europäischen Kulturmetropolen, und sei schon damals ein Zufluchtsort gewesen, bemerkt Hochmuth – für viele Flüchtlinge, aber auch für viele aus der westlichen Welt, die nach einem Freiraum für ihre Kunst suchten, oder nach Freiheit in Form von sexuellen Orientierungen oder etwa mithilfe von Drogen. „Das Moka Efti hat ja fast Berghain-Charakter“, findet Hochmuth. Und das verweise auf die heutige Stadt des Rausches. Berlin sei zu einer Marke geworden. Hätte man den Titel der Romanvorlage von Volker Kutscher, nämlich „Der nasse Fisch“, auch als Titel für die Serie genommen, hätte die Serie weniger Erfolg, schätzt der Historiker.

Die NS-Geschichte und die Geschichte des Kalten Krieges – das waren bisher die beiden großen Diktaturgeschichten, die von den populären Medien, sprich von Fernsehen und Film, verarbeitet wurden. Durch das hundertjährige Jubiläum der Weimarer Republik, kommt dieser Geschichtsstoff nun zurück. Er sei eben noch nicht auserzählt, so Hochmuth.

Die 14-teilige deutsche Fernsehverfilmung „Berlin Alexanderplatz“ von Rainer Werner Fassbinder aus dem Jahr 1980 habe das Elend der Zwanziger Jahre stark in den Vordergrund gerückt. „Babylon Berlin“ behandle ebenfalls die Zerrissenheit und Fragilität der Republik. Aber nicht nur, findet der Historiker: Sie zeige auch die Freizügigkeit, klammere den Preis für ebendiese aber nicht aus. In der Großstadt hätten die Leute damals herausgerissen aus ihrem sozialen Umfeld gelebt, das es auf dem Land noch gab. Dabei habe man leicht unter die Räder kommen können. Und was lehrt die Serie? „Dass jede Gegenwart einem Wandel unterliegt“, sagt Hochmuth. „Nichts bleibt wie es ist.“

» Podcast des Vortrags: https://www.bundesstiftung-aufarbeitung.de/populaerkultur-weimar.

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