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Sie kann nicht tiefer fallen als nur in Gottesmanns Hand. Drei Jahre sind für die ZDF-Zuschauer vergangen, acht für die Bewohner in Tannbach. Geblieben ist die Dramatik: Also muss Pastor Wolfgang Herder (Clemens Schick) die verzweifelte Anna Erler (Henriette Confurius) zurückhalten, die um das Leben ihres Mannes fürchtet.

© dpa

"Tannbach II" im ZDF: Ein Dorf wird Deutschland

Bleiche Mütter, kalte Krieger, alte Nazis: Auch „Tannbach II“ im ZDF flutet wieder Geschichte mit Geschichten.

Eine Art Seele hatte dieses an das reale Mödlareuth an der thüringisch-bayerischen Grenze erinnernde Fernseh-„Tannbach“" von Anfang an nicht. Das liegt nicht nur daran, dass die Dorfszenen in Tschechien gedreht wurden, dass die wenigen Einheimischen oberbayerisch und nicht fränkisch sprechen, dass es für das Zeigen von Geselligkeit, Brauchtum, gar Humor keine Zeit gibt. Eine wehmütige Heimaterkundung, wie sie Edgar Reitz in dem Hunsrück Schabbach unternommen hat, ist von den Machern nicht gewollt. „Tannbach“ dient dem Dreiteiler als Erzähllabor, um die deutsche Nachkriegsgeschichte aufzuführen.

Laut und dramatisch war es in „Tannbach“ um die Stunde null von Anfang an. Erst die Nazis, dann die Amis, dann die Russen. Eine Gräfin (Natalia Wörner) wird exekutiert, ein jüdischer Grenzgänger am Stacheldraht auf dem Weg nach Westen erschossen. Eine Grafentochter wandelt sich zur Sozialistin, aus Sozialisten werden Menschenunterdrücker. Opportunismus siegt über Schuldgefühle. Belastete Nazis dienen sich überall an. „Tannbach I“, der 2015 ausgestrahlte erste Abschnitt der Saga, erzählte vom moralischen Verfall und der Unterwerfungsbereitschaft der Deutschen unter alte und neue Ideologien.

Wer als Zuschauer damals nicht dabei war oder wessen Gedächtnis durch fiktionale Vergangenheitsberieselung mürbe geworden ist, wird sich zunächst verloren fühlen, wenn von Montag an „Tannbach“ mit drei Episoden fortgesetzt wird. Für Rückverweise nimmt sich die von Gabriela Sperl, Quirin Berg und Max Wiedemann fürs ZDF produzierte Fortsetzung keine Zeit. Im Tannbach – der Name des durch Mödlareuth fließenden Grenzgewässers gab dem Film seinen Namen – herrscht Geschichtenhochwasser. Schleusen auf, schon flutet Dramatik den Film.

Von 1960 bis 1968

Rums. Es knallt am Beginn, es knallt als Cliffhanger am Ende der neuen Staffel. Im Winter 1960 spielt der älteste Enkel des nach Tannbach-West weggezogenen Altnazis Franz Schober (Alexander Held) auf BRD-Gebiet mit Granaten und stirbt, als eine detoniert. Im Sommer 1968, am Ende der neuen Folgen, explodiert an einem der Glienicker Brücke nachempfundenen Grenzübergang zwischen Ost und West auf DDR-Seite ein Stasi-Auto. Der Stasi-Offizier Leonhardt (Rainer Bock) hatte gerade dem Westgeheimdienstler Horst Vöckler (Robert Stadlober) dessen Mutter (Martina Gedeck) im Austausch gegen eine Tasche mit geheimen West-Unterlagen übergeben.

Man sieht: Das „Tannbach II“–Geschehen hat die Enge des Grenzdorfes verlassen und bewegt sich in Sphären dunkler Mächte – die das Kind tötenden Granaten sind versteckte Waffen einer gegen den Osten gerichteten Nato-Geheimarmee – ebenso geschichtenselig wie auf Schlachtfeldern des Kalten Krieges in Berlin mit dessen Agentenkämpfen. Das Buch der vierten Folge („Schatten des Krieges“) von Silke Zertz nach einer Drehbuchvorlage von Josephin und Robert von Thayenthal ist der Auftakt zum Aufbruch aus der Provinz.

„Tannbach“ weitet sich zum gesamtdeutschen Symbolort. Die Handlung flattert aus. Es entstehen eigene Filme im Film, die nur locker mit dem Grenzkaff verbunden sind. Einer dieser beeindruckenden Nebenfilme behandelt das Schicksal von Hilde Vöckler, einer von Martina Gedeck großartig gespielten Textilarbeiterin, die sich durch nichts ihre eigene Vorstellung vom richtigen Leben im falschen abkaufen lässt.

Nazi wird US-Agent

Nicht mal von ihrem eigenen Sohn Horst (Robert Stadlober), dessen unehelicher Erzeuger Altnazi Franz Schober ist. Hilde ist entsetzt, wie sich Horst als Nazi-Scherge in „Tannbach“ aufführt. Sie verrät ihn an die Amerikaner, aber Horst, dieser Oberbösewicht, dient sich den Amerikanern an und macht bei den Besatzern als Geheimdienstler Karriere.

Die ganze Erzählwut des „Tannbach“- Spektakels tobt sich an dieser Hilde aus. Die mutige Frau verlässt das Dorf und wird Arbeiterin in Ostberlin, weil sie das Leben dort als gerechter empfindet als das im Westen. Reue überfällt Hilde. Sie beginnt die Suche nach dem verstoßenen und nun zum Westagenten gewordenen Horst. Sie gerät ins Visier der Stasi, weil in ihrem Betrieb Sabotage an teuren Maschinen betrieben wird.

Der Stasi-Offizier – es ist jener Leonhardt, der beim Grenzübertritt ins später explodierende Auto zurückgekehrt ist – verliebt sich zumindest dem Anschein nach in Hilde. Da gelingen den Darstellern Gedeck und Bock unter der Regie von Alexander Dierbach feinsinnige Szenen aus Flirt und Misstrauen, die den ganzen Wahnsinn des Überwachungsfanatismus durchschaubar machen.

Wegen solcher, zugegeben herbeikonstruierter Momente ist die Fortsetzung von „Tannbach“ sehenswert. Auch Anna Loos als ein ehrliches Mädchen Rosemarie aus den Hinterhöfen Berlins bringt frischen Wind in die „Tannbach“-Tristesse. Endlich mal keine bleierne Heimchenfrau vom Dorf, sondern eine mutige und zupackende Einkäuferin für ein westliches Warenhaus, die gegen die Frauenbenachteiligung der 50er und 60er Jahre ankämpft.

Sie heiratet den vor Kummer und Harm zerknitternden Grafen Striesow (Heiner Lauterbach), kümmert sich um dessen gefährdeten Sohn. Nimmt sich aber auch die Freiheit für eine außereheliche Affären, hält schließlich aus Rücksicht auf den Sohn an der Ehe fest. Der Graf weint, der Luftzug der Moderne erreicht das ideologisch verwunschene „Tannbach“.

Pfarrer zieht schöne Witwe an

Die Grafentochter Anna Erler (Henriette Confurius) muss als schwarzgelockter Engel der sozialistischen Moral die rote Fahne in „Tannbach“ hochhalten. Um sie ist es einsam geworden, seitdem ihr Mann Friedrich (Jonas Nay) beim Rettungsversuches eines Bauerns, der seinen Hof wegen drohender Zwangskollektivierung angezündet hatte, verbrannt ist. Der evangelische Ost-Pfarrer (Clemens Schick) zieht die schöne Witwe und Mutter dreier Kinder an, bis dessen Verrat während der Nazi-Zeit ruchbar wird...

Ja, die Erzählmaschine hat gewaltige Arbeit geleistet, wenn man bedenkt, dass auch die Themen Homosexualität der frühen Jahre, Abschiebung frecher Töchter in die Heimerziehung, elendes Siechtum Unbelehrbarer verarbeitet wurden. Zu viel eigentlich für ein kleines Dorf, zu wenig für die Erklärung der nie erklärbaren großen Historie, bewundernswert aber als betäubende Fernsehanstrengung. Und der Sehbeteiligung wert, die „Tannbach I“ mit rund sechseinhalb Millionen Zuschauern 2015 erzielte.

„Tannbach: Neue Zeiten, alte Wunden“, ZDF, Montag, Mittwoch, Donnerstag, 20 Uhr 15

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