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Helmut Assing (83).

© PNN

Streit um DDR-Vergangenheit der Uni Potsdam: „Manch ein Hardliner ist geblieben“

Helmut Assing war 1991 von der Pädagogischen Hochschule an die neue gegründete Universität Potsdam gekommen. Die These vom Forschungsstau und der ideologischen Belastung durch mangelnde Kompetenzen der DDR-Dozenten kann er bestätigen. Er sagt im PNN-Interview auch, dass politische Linientreue typisch für die Potsdamer PH war.

Herr Assing, an der Universität Potsdam gibt es aktuell eine Diskussion darum, ob die Übernahme einer Vielzahl der Mitarbeiter der Pädagogischen Hochschule der DDR 1991 an die Universität einen Forschungsstau ausgelöst habe. Sie sind selbst von der PHP an die Universität gekommen. Können Sie diese Ansicht teilen?

Zwei Gründe sprechen dafür, nach 1991 einen Forschungsstau zu sehen. Einmal ergab er sich aus der Übernahme der wissenschaftlichen Mitarbeiter in die Universität, die als Lehrer im Hochschuldienst oder als Lektoren in erster Linie für die Lehre eingestellt waren und kaum Forschungspraxis besaßen. Ihre Effektivität war sicher geringer als die erfahrener Wissenschaftler, die von außen hätten geholt werden können. Zum anderen spielten die unbefristeten neuen Arbeitsverträge der Mitarbeiter eine Rolle. Fast alle der ungefähr 500 Kollegen waren 1990/91 ziemlich jung, hatten demnach noch 30 bis 35 Dienstjahre vor sich. Doch schon nach wenigen Jahren zeigt sich erfahrungsgemäß eine Gruppierung in forschungsstärkere und forschungsschwächere Mitarbeiter, ohne dass die letzteren nunmehr durch die Leistungsträger der nachfolgenden Jahrgänge hätten ausgetauscht werden können. Die mögliche Forschungspotenz wurde daher nach 1991 nicht ausgeschöpft, und das lässt sich schon als Forschungsstau bezeichnen.

Wie sah es mit der Forschung an der Pädagogischen Hochschule Potsdam aus?

Vielleicht war 1948 bei der Gründung an eine forschungsorientierte Hochschule gedacht worden, doch seit der Umbenennung der Brandenburgischen Landeshochschule in „PHP“ stand dann eindeutig – und dies bis 1990 – die Lehre im Mittelpunkt. Potsdam hatte der SED treu ergebene Lehrer in hoher Qualität auszubilden, und insofern hatte auch die Forschung ihren Platz. Besonders die Professoren haben hier gute und sehr gute Qualität geliefert, aber ebenso müssen viele Assistenten und Oberassistenten genannt werden. Die Betonung der Lehre führte allerdings dazu, dass viele Kollegen eingestellt wurden, die kaum an der Forschung beteiligt waren. Die PHP war daher keine forschungsorientierte Einrichtung, sodass mit der Gründung der Universität 1991 gerade in dieser Hinsicht etwas getan werden musste.

Welche Blockaden gab es an der neu gegründeten Universität noch?

Als Direktor des Historischen Instituts drängte ich schon sehr früh auf eine sehr strenge Evaluierung der Kollegen, scheiterte aber – im Unterschied zu der der Professoren – mit einer korrekten Evaluierung der wissenschaftlichen Mitarbeiter, die es in keinem Fach gab. Gerade in den Gesellschaftswissenschaften wäre die Evaluierung wegen des oft vorherrschenden Dogmatismus notwendig gewesen. So gab es beispielsweise einen Kollegen, der noch lange nach 1990 Lehrveranstaltungen zur DDR-Geschichte durchführte, obwohl er eine sehr fragwürdige Habilitation vorgelegt hatte. Sie wurde ihm aberkannt, gelehrt hat er aber weiter, obwohl die Ideologie eine Hauptbelastung war. Mancher Hardliner blieb und zählte nunmehr zu den anerkannten Wissenschaftlern.

Vor allem der Satz von Uni-Historiker Manfred Görtemaker, dass die Mitarbeiter der DDR-Hochschule in ihrer großen Mehrzahl keine Opfer des SED-Regimes waren, sondern dieses unterstützt, gefördert und darin Karriere gemacht hatten, sorgt nun für Kritik und Empörung.

Das hat viele meiner damaligen Kollegen sehr erregt. Mich überrascht hingegen, was diese Menschen in 25 Jahren alles vergessen haben. Sie hatten sich in der Regel den DDR-Oberen doch völlig angepasst. Ich selbst galt als einer der wenigen kritischen Geister an der PHP und stand wegen meiner Haltung mehrfach kurz vor der Entlassung.

War die PHP tatsächlich so stark politisch-ideologisch ausgerichtet, wie man ihr heute nachsagt?

Das war sie, dort wurden schließlich die Lehrer für den Nachwuchs ausgebildet, der den eingeschlagenen Weg fortsetzen sollte. Sehr viele Hochschulangehörige haben im Laufe der 40 Jahre Funktionen in den parteigebundenen, staatlichen und gewerkschaftlichen Gremien ausgeübt, in denen sie fast ausnahmslos – zumindest verbal – die Politik der SED in den zentralen Fragen unterstützten und somit förderten. Ich nehme dies bis heute niemandem übel, denn eine zur Diktatur neigende Gesellschaft fordert die Aufrichtigkeit der Menschen oft übermäßig heraus. Aus Angst vor unliebsamen Gegenmaßnahmen kapitulieren viele und passen sich an. Mein Verständnis erlischt aber, wenn der eine oder andere sich nachträglich moralisch überhöht, wie es gegenwärtig geschieht, und eine Gesinnung durchblicken lässt, die er in den Jahren vor 1989 nicht besaß. So geht es einfach nicht.

Sie waren selbst in der Partei.

1959/61 trat ich – zunächst als Kandidat – in die Partei ein, nachdem ich in den 1950er-Jahren wegen meiner oppositionellen Haltung aus der FDJ ausgeschlossen werden sollte. Die berühmte Tauwetter-Rede von Chruschtschow 1956 auf dem 20. Parteitag der KPdSU hatte mir zuvor aber viel Zuversicht gegeben, dass der Sozialismus doch noch demokratisch werden würde. Mein Ziel in der Partei war, von innen heraus kritisch zu wirken. Und das tat ich auch, ohne zu behaupten, dass ich alle Register gezogen hätte. Man hätte noch viel mehr sagen müssen.

Wie weit ging Ihr Widerspruch?

Mir ging es nicht um die Abschaffung des Sozialismus, sondern um die Einhaltung der Verfassung und des Parteistatuts, das heißt um mehr Meinungsfreiheit sowie um mehr Rechte der gewählten Volksvertretungen, zum Beispiel der Volkskammer, gegenüber den führenden Persönlichkeiten bis zu deren Absetzbarkeit, später dann auch zunehmend um eine effektivere Wirtschaftspolitik. Dafür trat ich offen ein und rechnete schließlich im Sommer 1989 mit einem 21-seitigen Papier, gerichtet an das ZK der SED und dort im Beisein zweier Mitkämpfer abgegeben, mit der Führung ab. Der damals für mich zuständige neue Stasi-Offizier setzte unter mein Schreiben „das reicht“ – und das wäre dann zumindest meine Entlassung geworden. Doch mit der Wende kam alles anders.

Wie haben Sie die anderen Hochschulangehörigen in jener Zeit erlebt?

Hier passt der Begriff der politischen Unehrlichkeit am besten. Die Menschen waren doch intelligent und erkannten in ihrer überwiegenden Mehrheit die Missstände. Dennoch haben sie bewusst dazu bis zum Herbst 1989 geschwiegen, den „17. Juni 1953“ für einige ausgenommen. Es ging so weit, dass man im kleinen Kreis, zum Beispiel vor einer Versammlung, Mut zur Kritik bekundete, um Minuten später, wenn ich gesprochen hatte, still zu bleiben oder sogar, schlimmer noch, gegen mich zu sprechen. Das war oft DDR-Alltag.

Sie waren auch im Visier der Stasi.

Ich habe eine lange Stasi-Akte. Insgesamt waren elf IM auf mich angesetzt, wovon einige in die Versammlungen eingeschleust waren. Aber mich haben auch Kollegen verraten und bespitzelt. Ich musste mich mehrfach verantworten, wurde vorgeladen beim Rektor und Parteisekretär, meist in Anwesenheit von Vertretern der SED-Kreisleitung und mit Sicherheit auch von Stasi-Leuten. Mir wurde mehrfach mit Entlassung gedroht, was merkwürdigerweise nie geschah.

Warum?

Der Grund war das etwas unerklärlich besonnene Verhalten des für mich bis 1989 zuständigen Stasi-Offiziers. Meiner Stasi-Akte konnte ich entnehmen, dass er zum Beispiel die Unterstellung eines IM, ich hätte „faschistoide Auffassungen“, gestrichen hatte – womit er mich vor der Verhaftung rettete. Denn ein solches Vergehen hätte für ein paar Jahre Bautzen gereicht.

Es gibt jetzt einen „offenen Brief“ von ehemaligen Uni-Dozenten, die sich gegen die pauschale Abwertung ihrer Kompetenzen wenden. Warum haben Sie nicht unterschrieben?

Einer der Unterzeichner forderte noch am 13. Oktober 1989, fünf Tage vor der Absetzung Honeckers und dem Beginn des Zusammenbruchs der DDR, die Professoren der Sektion Geschichte auf, meiner aus politischen Gründen erwogenen Entlassung zuzustimmen. Schon deshalb fühlte ich mich nicht in der Lage zu unterschreiben. Es kamen aber noch zwei Gründe hinzu. Ein Interview in den PNN mit Manfred Görtemaker vom 27.01.2016 deuteten die Unterzeichner als Abwertung ihrer Forschungsleistungen, die ich in keiner Weise herauszulesen vermochte. Anders bei den wissenschaftlichen Mitarbeitern, wozu ich schon etwas sagte. Akzeptabel war für mich auch nicht, dass der „offene Brief“ es ablehnte, die im Interview angesprochene verbreitete politische „Linientreue“ der Hochschulangehörigen als gegeben anzusehen. Doch sie war typisch, und alles Gegengerede ist für mich weiter nichts als Schönfärberei.

Die Unterzeichner des Briefes behaupten, dass man die Vormacht der SED 1990 an der PHP beziehungsweise der Brandenburgischen Landeshochschule aus eigener Kraft gebrochen habe.

Einen solchen Prozess hat es überhaupt nicht gegeben. Reformierungsversuche gingen im Herbst 1989 nur von einer Gruppe oppositioneller Mitarbeiter und Studenten sowie von einigen Einzelkämpfern aus. Die Gruppe hatte sich seit 1988 unter meiner Leitung langsam zusammengefunden. Erfolg war den Versuchen nicht beschieden. Die bisherigen Leitungsgremien wurden nicht abgelöst. Sie blieben noch bis in den Sommer 1990. Durch die Herbst-Ereignisse 1989 hatte die alte Leitung allerdings keine politische Wirkung im Sinne der SED mehr, sondern sie nutzte ab November 1989 ihre verbleibende Macht, sich anzupassen und ihre Vergangenheit zu schönen. Diesen Zustand beendete dann der „Putsch“ der Professoren der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät, aber erst sehr spät im September 1990 – und so war das keine politische Leistung mehr. Auch im Umbruch von 1989/90 war die Pädagogische Hochschule wahrlich kein Ruhmesblatt.

Das Gespräch führte Jan Kixmüller

ZUR PERSON: Helmut Assing (83) ist Mittelalterhistoriker und Logiker. Er gilt als Nestor der Mediävisten der Universität Potsdam. Er kam von der Pädagogischen Hochschule Potsdam (PHP) an die 1991 neu gegründete Universität Potsdam. Habilitiert hatte er sich als Mathematiker im Fach Logik, das als Nebenfach für alle Lehrerstudenten gegründet und später wieder abgeschafft worden war. Daher wurde er Dozent im Fach Geschichte, in dem er promoviert war. Assing galt an der PHP als „kritischer Geist“, insbesondere ab 1988 bildete er in der SED eine „Opposition von innen“. Als Rehabilitation wurde seine Dozentur von Brandenburgs erstem Wissenschaftsminister Hinrich Enderlein (FDP) zu einer Professur an der Uni Potsdam erhöht. PNN

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