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Blut ist dicker als Wasser. Polizist Nikolai Andreassen (Tobias Santelmann) hilft seinem Bruder Lars, eine Mordtat zu verschleiern. Foto: Sky

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Skandinavischer Krimi "Der Grenzgänger": Keine Gewalt – bitte!

Korruption, Geltungssucht und Drogen: Sky bietet mit der achtteiligen Serie „Grenzgänger“ ungewöhnliche skandinavische Krimikost.

Die Ausgangslage skandinavischer Krimis ist schnell umrissen. Tendenziell eigenbrötlerische Ermittler mit eher mehr als weniger Macken müssen am Tatort zunächst mal das zerstückelte, gefolterte, verätzte, lebendig begrabene oder ähnlich grausam zugerichtete Opfer zusammenpuzzeln, bevor sie bei der Jagd nach dem Täter in Abgründe ritueller Gewalt blicken, die stets noch mehr zerstückelte, gefolterte, verätzte, lebendig begrabene oder sonstwie grausam zugerichtete Leichen zutage fördern. Seit der fiktionale Blutdurst des schwedischen Autorenpaars Sjöwall/Wahlöö vor 25 Jahren fürs Fernsehen entdeckt wurde, pflegen Regisseure nördlich von Flensburg einen Überbietungswettbewerb krimineller Brutalität, in der ein gewöhnlicher Totschlag praktisch als Streicheleinheit gilt.

Das muss man im Hinterkopf haben, wenn der pflichtbewusste Polizist Nikolai Andreassen im neuen Produkt des „Scandi Noir“ genannten Genres ins grüne Umland von Oslo fährt und dort einen Mann vom Baum schneidet. Weil er körperlich ansonsten unversehrt wirkt, hätten Serienkommissare von Thomas Beck über Sarah Lund bis Kurt Wallander jetzt wohl dasselbe gesagt wie jene im norwegischen Wald: Suizid, ab zu den Akten, Feierabend. Nicht mit Nikolai Andreassen! Da der Erhängte am Kopf blutet, spricht der Kommissar von Verbrechen und löst damit eine Kettenreaktion aus, die mit jeder Minute dieses beeindruckenden Achtteilers mehr sein eigenes Leben an den Rand des Abgrunds reißt.

Der Täter erweist sich nämlich nicht nur als Polizist. „Ich bin dein Bruder“, fleht dieser Lars Andreassen nach seinem Geständnis, den Toten im Suff erwürgt zu haben. Das macht den prinzipientreuen Nikolai, der zuvor noch wider jeden Kodex gegen einen Kollegen unter Mordverdacht ausgesagt hat, zum „Grenzgänger“, wie die Serie hierzulande heißt. Eingepfercht zwischen Berufsethos und Blutsverwandtschaft hilft Nikolai seinem Bruder, die Tat zu verschleiern. Dabei unterdrückt er allerdings nicht nur Informationen, sondern fälscht gar Beweise und verrät somit alles, was seinem Rechtsverständnis entspricht.

Es geht hier erkennbar nicht um den größtmöglichen Thrill

Diesen Zwiespalt spielt der norwegische Superstar Tobias Santelmann mit einer reduzierten Präzision, die das kongeniale Gegenstück zum fiebrigen Wankelmut von Benjamin Helstad als Lars bildet. Ihr Metier wäre allerdings ein anderes als Scandi Noir, gäbe es nicht noch weit dickere Bretter zu bohren als moralische Befindlichkeiten.

„Der Grenzgänger“ präsentiert zudem stolz den grobschlächtigen Cop Bengt (Frode Winther), den windigen Lokalpolitiker Josef (Eivind Sander), den haltlosen Kiffer Ove (Ole Christoffer Ertvaag ) und allerlei doppelbödige Haupt- wie Nebenfiguren, die unterm kritischen Blick der unterkühlten Kommissarin Anniken (Ellen Dorrit Petersen) immer tiefer im Morast kollektiver Schuld versinken.

Dass sich dieses undurchdringliche Gestrüpp aus organisierter und beiläufiger Kriminalität, aus Korruption, Geltungssucht und Drogen nicht heillos ineinander verknotet, hat gute Gründe: ein schlüssiges Drehbuch der Showrunnerin Megan Gallagher etwa, das die Regisseure Bård Fjulsrud und Gunnar Vikene kunstvoll, aber frei von Effekthascherei inszenieren.

Im diffusen Dämmerlicht des winterkargen Waldes ringsum entfalten die Charaktere einen Tiefgang, der die inhaltliche Bedeutung durch den dauernden Kampf um einen Sinn im Einerlei des Alltags bereichert. Selbst Nikolais verheimlichte Homosexualität fügt sich hier angenehm unprätenziös in die Zeichnung verschiedenartigster Persönlichkeiten im selben Mikrokosmos ein.

Nachdem „Grenseland“ 2017 das heimische Publikum begeistert hat, lief die Serie unter dem Titel „Borderliner“ auf Netflix in den USA, Russland und Großbritannien. Nun ist sie bei Sky abrufbar. Nach den ersten drei Episoden zu urteilen, kommt „Der Grenzgänger“ zwar nicht ohne die übliche Entstellung durch überdrehte Synchronstimmen aus, verkneift sich aber jene blutspritzenden Gewaltexzesse, die man sonst aus Norwegen, Dänemark oder Schweden kennt. Es geht hier erkennbar nicht um den größtmöglichen Thrill, sondern um den Versuch, selbst unter Unmenschen human zu bleiben – und krachend daran zu scheitern.

„Der Grenzgänger“, insgesamt acht Folgen, auf Sky

Jan Freitag

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