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SERIE: Ländliche Zukunft Kreativmarkt im Kulturhaus

Ländliche Regionen gelten gemeinhin nicht als Orte von Neuerung und Innovation, doch das sind sie sehr wohl. Von Ralph Richter

Wissenschaftler des Leibniz-Instituts für Raumbezogene Sozialforschung (IRS) in Erkner forschen seit mehreren Jahren zu Entwicklungen von Dörfern und Städten in ländlichen Regionen. Zugrunde liegt die Feststellung, dass viele ländliche Regionen – in Brandenburg etwa die Uckermark – von der wirtschaftlichen Entwicklung weitgehend abgekoppelt sind, dass sie mit Abwanderung, bröckelnder Infrastruktur und schwachen Finanzen zu kämpfen haben. Doch das Negativbild ist nur die halbe Wahrheit, sagen die Forscher. Ihre Ergebnisse zeigen Kreativität, Innovationsfähigkeit und neue Perspektiven auch für ländliche Regionen auf. Über ihre Erkenntnisse berichten sie nun in den PNN.

Während Städten eine fördernde Wirkung für neue Ideen und Entwicklungen zugeschrieben wird, sind Dörfer und Kleinstädte eher mit Attributen wie konservativ und rückwärtsgewandt belegt. Das ist jedoch eine ausgesprochen einseitige Perspektive. Tatsächlich entsteht auch in Landgemeinden fortwährend Neues, entwickeln die Bewohnerinnen und Bewohner peripherer Regionen permanent neue Lösungen für soziale und wirtschaftliche Problemlagen. In der Alltagswahrnehmung wie in der Forschung ist darüber jedoch nur wenig bekannt. Am IRS wird daher in regionalen und internationalen Forschungsprojekten untersucht, wie in Landgemeinden neue Ideen entstehen, welche Schlüsselakteure diese voranbringen und auf welche fördernden und hindernden Faktoren Innovationen auf dem Land treffen. Wenn sich eine Neuerung durchsetzt und in den Augen der Beteiligten ein gesellschaftliches Problem besser löst, als dies mit herkömmlichen Mitteln möglich war, sprechen wir von einer sozialen Innovation.

Soziale Innovationen zeigen sich oft im Kleinen und werden nicht nur von Experten und Unternehmern, sondern auch von zivilgesellschaftlichen Akteuren hervorgebracht. Dazu ein Beispiel aus Plessa in Südbrandenburg: Diese Gemeinde verfügt über ein großes Kulturhaus, das sich allein mit Kulturveranstaltungen nur schwer wirtschaftlich unterhalten lässt. Die Mitglieder des Kulturvereins begaben sich deshalb auf die Suche nach neuen Nutzungsformen. Dabei wurde ihnen bewusst, dass es für die vielen kleinen Kunsthandwerker und Hobbykünstler in der Region keine Orte gibt, an denen sie ihre Produkte verkaufen und präsentieren können. Die Idee eines Kreativmarktes in den Sälen des Kulturhauses wurde geboren. Mittlerweile zieht der Kreativmarkt alljährlich viele Besucher an und hat in der Region zahlreiche Nachahmer gefunden. Hobbyhandwerker haben sich, beflügelt durch den Erfolg auf dem Markt, selbstständig gemacht. Die zunächst unspektakulär erscheinende Innovation „Kreativmarkt“ hat sich als ein Baustein für die Bewirtschaftung des Kulturhauses etabliert und die handwerklichen Potenziale in der Region sichtbar und nutzbar gemacht.

Neues entsteht auch in solchen Bereichen, die weniger mit ländlichen Regionen in Verbindung gebracht werden. Ein Beispiel sind offene Technologielabore, die das österreichische Sozialunternehmen Otelo in Dörfern und Kleinstädten etabliert. Dabei handelt es sich um Räume und Werkstätten, die für jedermann zugänglich sind und zur Nutzung einladen. Junge Leute kommen in die offenen Labore, um mit 3D-Druckern und VR-Brillen zu experimentieren, Ältere geben in Kursen ihre Erfahrungen und Fertigkeiten im Drechseln und im Reparieren von Haushaltsgeräten weiter. Die Technologielabore reagieren auf den Mangel an öffentlich zugänglichen Räumen, sie schaffen Orte der Vernetzung und wirken als Inkubatoren für Initiativen und sogar für Unternehmensgründungen. In österreichischen Landgemeinden, die wir im Rahmen des EU-Projektes „RurInno“ untersucht haben, tragen die Technologielabore dazu bei, talentierten jungen Leuten das Landleben schmackhaft zu machen. Bis heute hat Otelo die Einrichtung von 24 ländlichen Technologielaboren angestoßen. Darunter ist mit dem „Hebewerk Eberswalde“ auch ein erster Ableger in Brandenburg.

Was lernen wir daraus für die Etablierung sozialer Innovationen auf dem Land? Unseren Beobachtungen zufolge sind drei Faktoren entscheidend dafür, dass sich neue Ideen durchsetzen: Zunächst braucht es eine tragfähige Idee, die an den Bedürfnissen der Menschen anschließt und das Lösen eines Problems verspricht. Zweitens ist es begünstigend, wenn vor Ort eine Kultur der Offenheit gegenüber Neuem und Anderem gepflegt wird und nicht Abwehrreflexe dominieren. Im überschaubaren Setting von Landgemeinden sind drittens Akteurskonstellationen von Vorteil, in welchen Ideengeber mit lokal etablierten Unterstützerfiguren wie etwa Bürgermeistern, Vereinsvorsitzenden oder Unternehmerpersönlichkeiten zusammentreffen.

Unterstützerfiguren vermögen durch ihre Überzeugungskraft und Glaubwürdigkeit dem Neuen auch gegen Widerstände den Weg zu ebnen. Um diese Widerstände zu überwinden, bedarf es zeitlicher und finanzieller Ressourcen. Die existierenden Förderinstrumente leisten durch ihre thematische Einengung und den Fokus auf Großprojekte jedoch wenig Hilfe. Gefragt sind daher auch neue Fördermöglichkeiten, die sozialen Innovationen durch mehr Ergebnisoffenheit zur Entfaltung verhelfen können.

Ralph Richter ist stellvertretender Leiter der Forschungsabteilung „Kommunikations- und Wissensdynamiken im Raum“ am IRS. Er forscht zu sozialen Innovationen in ländlichen Regionen, zum demografischen Wandel sowie zu Stadtplanung und -entwicklung

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