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SERIE: 20 Jahre Uni Potsdam Von der Baustelle zum Traumhaus Kognitionswissenschaft: Exzellenzbereich der Uni

In diesem Jahr begeht die Universität Potsdam ihr 20-jähriges Jubiläum. Die PNN lassen gemeinsam mit der Hochschule wichtige Erinnerungen aus diesen 20 Jahren wach werden.

In diesem Jahr begeht die Universität Potsdam ihr 20-jähriges Jubiläum. Die PNN lassen gemeinsam mit der Hochschule wichtige Erinnerungen aus diesen 20 Jahren wach werden.

Er hätte auch ins beschauliche Salzburg gehen können. Das verlockende Angebot eines etablierten, modernen Instituts in reizvoller Umgebung erreichte den Psychologen Reinhold Kliegl zeitgleich mit der Offerte, an einer gerade erst gegründeten Universität im Osten Deutschlands Pionierarbeit zu leisten. Er entschied sich für Potsdam, für die „Baustelle“ Golm.

Als Kliegl 1993 vom Berliner Max-Planck-Institut für Bildungsforschung nach Potsdam wechselte, waren die Bedingungen auf dem tristen Golmer Campus alles andere als komfortabel. Es regnete rein, man hauste in Containern, war permanent am Improvisieren. Dafür aber zeigten alle Forschungswege ins Offene. Der Professor für Allgemeine Psychologie sah die Möglichkeiten, entdeckte ungewöhnliche Schnittstellen und fand Kollegen, die wie er die Grenzen der eigenen Disziplin überschreiten wollten.

Das führte zu interessanten Allianzen mit der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät, in der Kliegl auf den Physiker Jürgen Kurths traf. Gemeinsam mit ihm und dem Linguisten Gisbert Fanselow begann er fächerübergreifend kognitionswissenschaftlich zu forschen. Zu dritt schrieben sie in der Rekordzeit weniger Monate einen Antrag an die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) für eines der begehrten Innovationskollegs – und setzten sich gegen 60 andere Bewerber durch. Wohl auch, weil sie die damalige Universitätsleitung hinter sich wussten.

Hochkarätige Gastprofessuren wurden nun möglich. Psychologen arbeiteten mit Mathematikern, Linguisten mit Physikern und Biologen mit Informatikern zusammen, um die Leistungen des Gehirns, die Wahrnehmung und das Gedächtnis, das Denken, Fühlen und die Sprache besser zu verstehen. Eine groß angelegte Untersuchung von Blickbewegungen beim Lesen gab ihnen zum Beispiel darüber Aufschluss, welche Strategien Menschen entwickeln, um einen Satz wahrzunehmen, zu verstehen und schließlich im Gedächtnis zu behalten. Die mathematischen Modelle kognitiver Prozesse brachten dem 1994 gegründeten Interdisziplinären Zentrum für kognitive Studien weltweit höchste Anerkennung ein. Reinhold Kliegl wurde mit dem Leibniz-Preis ausgezeichnet und übernahm die Leitung einer DFG-Forschergruppe. Zusammen mit dem linguistischen Sonderforschungsbereich „Informationsstruktur“ war eine international konkurrenzfähige Basis geschaffen. Der Senat der Universität zog daraus die folgerichtige Konsequenz und beschloss 2008, die Kognitionswissenschaften zum ersten und vorerst einzigen Exzellenzbereich auszubauen.

Inzwischen gibt es hier eine nächste Generation engagierter Forscher: Die DFG-Forschergruppe und der Sonderforschungsbereich sind verlängert und die Sprecherrollen an jüngere Kollegen übergeben worden. Ein neues DFG-Graduiertenkolleg der Psychologie untersucht Entwicklungsrisiken bei Kindern und Jugendlichen. In den komfortabel ausgestatteten Babylabors ist ein Team den frühkindlichen Fähigkeiten auf der Spur. International gefragt sind die Masterstudiengänge der Patholinguistik. Jüngst ist es nun gelungen, mit dem renommierten Psycholinguisten Harald Clahsen eine Humboldt-Professur nach Potsdam zu holen. Und an dem Forschungsstandort erfüllt sich derzeit unter Lärm und Schmutz noch ein ganz anderer Traum Kliegls: Der graue Plattenbau am einst so tristen Campus Golm verwandelt sich in ein modernes interdisziplinäres „Haus der Kognitionswissenschaften“. In dieser Hinsicht wäre Salzburg tatsächlich keine Alternative gewesen. Antje Horn-Conrad

Antje Horn-Conrad

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