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Die Historikerin Sina Rauschenbach hat die Forschung über die Sefarden in den letzten Jahren vorangetrieben und engagiert sich auch fernab ihres Lehrauftrags.

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Sefarden-Forschung an Uni Potsdam: Multiple Persönlichkeiten

Die Historikerin Sina Rauschenbach erforscht an der Universität Potsdam die Geschichte der Sefarden. Die Nachfahren der iberischen Juden entwickelten ein einzigartiges Verständnis für Religion.

Sina Rauschenbachs Engagement für die Sefarden geht weit über den normalen Wissenschaftsbetrieb hinaus. Die Historikerin vom Lehrstuhl für Religionswissenschaft mit dem Schwerpunkt Jüdisches Denken an der Universität Potsdam beschäftigt sich bereits seit ihrer Promotion in jüdischer Philosophie mit der spannenden und wechselvollen Geschichte der iberischen Juden. Die Sefarden – so werden die Juden und deren Nachfahren bezeichnet, die vor der Vertreibung 1492 auf der Iberischen Halbinsel lebten. Ihr Name leitet sich von Obadja 20 in der Bibel ab, wo ein Ort bezeichnet wird, der später auf die Iberische Halbinsel und die dort lebenden und herkommenden Juden übertragen wurde.

Islamischer Schutz und christliche Zwangskonvertierung

Die ersten jüdischen Siedlungen lassen sich auf der Iberischen Halbinsel für das erste Jahrhundert nach Christus belegen. Nach der islamischen Eroberung im achten Jahrhundert standen die Juden unter dem Schutz der islamischen Herrscher, waren jedoch nie gleichberechtigt. Dennoch gelang es einigen sefardischen Persönlichkeiten, in hohe Ämter aufzusteigen. Die Zeit der muslimischen Herrschaft, in der Muslime, Christen und Juden in relativ friedlicher Koexistenz lebten, wird „Convivencia“ genannt und gilt als „goldenes Zeitalter“ für die jüdische Kultur in Spanien. Im Zuge der Reconquista, die spätestens mit der Einnahme von Granada 1492 abgeschlossen war, wurden mit dem sogenannten Alhambra-Edikt die Sefarden gezwungen zu konvertieren oder Spanien zu verlassen. Viele flohen zunächst nach Portugal, wo sie jedoch nur wenige Jahre später zwangskonvertiert wurden.

Andere Siedlungsgebiete gab es im Osmanischen Reich, in Nordwestafrika und Italien, später auch in den Niederlanden, Hamburg oder England. Die westliche Diaspora der Sefarden ist von den „Conversos“, den Konvertiten und ihren Nachfahren, gekennzeichnet. Denn zwischen der Vertreibung von 1492 und der Entstehung der ersten sefardischen Gemeinden in Amsterdam um 1600 oder ab 1655 in London gab es in Westeuropa über 100 Jahre kein offenes jüdisches Leben. „Es entstanden sogenannte kryptojüdische Gemeinden, also Gemeinden, in denen Konvertiten im Geheimen zu Hause am Judentum festhielten, aber in der Öffentlichkeit als Christen lebten“, so Rauschenbach. Als offenes Judentum wieder gelebt werden konnte, entwickelte sich aus dieser Konstellation ein sehr einzigartiges Verständnis für Religion. Es entstanden, wie Rauschenbach es formuliert, „hybride und multiple Persönlichkeiten“.

Tiefe Religiosität und rationale Denkweisen

Die Konvertiten und ihre Nachkommen verstanden sich als Juden, hatten als solche Vertreibung und Verfolgung ertragen, hatten aber nie in ihrem Leben einen Rabbiner getroffen oder waren in Kontakt mit den jüdischen Gesetzen gekommen. Sie entwickelten daher ein ganz eigenes Verständnis vom Judentum, das auf mündlicher Tradition und der Bibel basierte. Ihre Auffassung war von christlichen Vorstellungen, vielfach auch von Skeptizismus geprägt. Teilweise waren ehemalige Kryptojuden zutiefst religiös, hielten streng am jüdischen Gesetz und den Vorgaben der Rabbiner fest, teilweise entstanden besonders rationale und religionskritische Denkweisen.

In diesem Kontext sind Persönlichkeiten wie der niederländische Philosoph und Nachkomme immigrierter Sefarden, Baruch de Spinoza (1632-1677), zu sehen, der wegen seiner Ansichten aus der jüdischen Gemeinde ausgeschlossen wurde und als einer der Begründer moderner Bibel- und Religionskritik gilt. Heute gibt es immer noch Zeugnisse blühenden sefardischen Lebens, wie in Amsterdam, wo die wunderbare portugiesische Synagoge aus dem 17. Jahrhundert den Reichtum und das Selbstbewusstsein ihrer Erbauer widerspiegelt.

Geschichte und das Schicksal der Sefarden wenig bekannt

Doch im Gegenteil zur Frühen Neuzeit, in der sie die Mehrheit des Judentums ausmachten, ist der Anteil von iberischstämmigen Juden an der jüdischen Weltbevölkerung heute nur noch gering. Auch Sefarden wurden Opfer des Holocaust. Zudem endete in Deutschland mit der Schreckensherrschaft der Nazis die Erforschung ihrer Geschichte und Kultur.

Rauschenbach hat als eine der wenigen die Forschung in den letzten Jahren vorangetrieben und engagiert sich auch fernab ihres Lehrauftrags. Im letzten Jahr organisierte sie zwei Konzerte des Liederzyklus „Verfolgt und verbrannt. Mexikos geheime Juden“ von Osias Wilenski. Der Zyklus handelt vom Leben und Tod des mexikanischen Juden Luis de Carvajal dem Jüngeren, der 1596 von der Inquisition wegen seiner im Geheimen gelebten Religion hingerichtet wurde. De Carvajal schrieb eine Biografie, Gedichte und Briefe, die erhalten geblieben sind und ein einzigartiges Zeugnis darstellen. Rauschenbach überlegt, den Liederzyklus zu veröffentlichen. Derzeit sucht sie nach Partnern, die ihr musikalisches Projekt weiterverfolgen können. Denn die Geschichte und das Schicksal der Sefarden sollen auch außerhalb der Universitäten bekannt werden.

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In Deutschland gibt es heute wieder sehr vielfältiges jüdisches Leben. Warum der Antisemitismus wieder wächst und welche Rolle die Geschichte dabei spielt, erklärt der Potsdamer Historiker Jullius H. Schoeps im Interview.

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Sarah Stoffers

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