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In Potsdam wurde eine Tora-Übersetzung aus dem 19. Jahrhundert neu aufgelegt.

© Björn Stelley

School of Jewish Theology an der Universität Potsdam: Tora für alle

Erstmals nach dem Holocaust ist wieder eine deutsch-hebräische Ausgabe der Fünf Bücher Moses erschienen. Die revidierte Übersetzung der Tora ist das erste greifbare Ergebnis der School of Jewish Theology, die 2013 zur Rabbinerausbildung an der Universität Potsdam eingerichtet worden war.

Potsdam - Als Walter Homolka vor einigen Jahren den Verleger Manuel Herder auf der Frankfurter Buchmesse traf, hatte der einen überraschenden Vorschlag. Im Verlagsprogramm fehle noch eine deutsche Übersetzung der Tora, der hebräischen Urfassung der Fünf Bücher Mose. Herder könne sich das Werk zweisprachig vorstellen; ob man am Potsdamer Abraham Geiger Kolleg das nicht machen wolle. Homolka, Rabbiner und Religionsphilosoph an der School of Jewish Theology der Universität Potsdam, sei, wie er heute erzählt, erst einmal ziemlich erschrocken gewesen. Denn eine Neu-Edition des Buches der Bücher, das war eine Riesenaufgabe, eine Herausforderung ohnegleichen.

Doch Homolka hat zugesagt. Er hat die kongeniale deutsche Übersetzung von Ludwig Philippson aus dem Jahre 1844 dafür ausgewählt, am Zentrum für Jüdische Studien Berlin-Brandenburg (ZJS) Wissenschaftler gesucht und das Projekt über zwei lange Jahre betreut. Nun hält er glücklich wie ein Schuljunge mit Bestnote den blauen Band in den Händen: Es ist das erste greifbare Ergebnis der 2013 neu eingerichteten Potsdam School of Jewish Theology. Zur Präsentation des Buches war das Who’s who des deutsch-jüdischen Lebens in der Berliner Vertretung der Kultusministerkonferenz zusammengekommen, um das Erscheinen der Tora-Ausgabe zu feiern. Der Verleger Manuel Herder verriet dabei, dass Homolka – bescheiden wie er ist – zwar von seiner Überraschung ob der Herkulesaufgabe berichtet habe, doch die Dynamik, den Ideenreichtum und die Durchsetzungskraft, mit der er das Vorhaben vorangebracht habe, unerwähnt ließ.

Den Juden die heilige Schrift wiederzugeben

Die Neu-Edition, die in Kooperation mit Hanna Liss, Professorin für Bibel und Jüdische Bibelauslegung an der Hochschule für Jüdische Studien in Heidelberg, entstanden ist, umfasst die Fünf Bücher Mose in der populären Übersetzung von Ludwig Philippson (1811–1889). Die erste Auflage beläuft sich auf 4500 Exemplare. Das Abraham Geiger Kolleg, das den berufspraktischen Teil der Potsdamer Rabbiner-Ausbildung gewährleistet, hat die heilige Schrift mit Hilfe der Stiftung Stuttgarter Lehrhaus im Verlag Herder herausgebracht. Die teils antiquierten Kommentare von Philippson sind ersetzt durch aktuelle Einleitungstexte eines internationalen Kreises renommierter Rabbiner und Bibelwissenschaftler.

Philippsons Anliegen war seinerzeit, den Juden die Bibel, die ihnen abhanden gekommen sei, wiederzugeben. Seine Tora-Übersetzung war im 19. und 20. Jahrhundert in den Synagogen, Schulen und Haushalten deutschsprachiger Juden weit verbreitet. Mit der Übersetzung der hebräischen Bibel, für die Philippson 20 Jahre brauchte, wollte er auch der zunehmenden Nutzung der Lutherbibel durch die deutschen Juden etwas entgegensetzen. „Ihre eindringliche Sprache überträgt den hebräischen Text kongenial und prägte damit über Generationen die jüdische Glaubenspraxis, das alltägliche Lesen, Lernen und Studieren der Tora, vor allem in Deutschland“, so Homolka. Mit der revidierten Neu-Edition liegt jetzt erstmals nach der Schoah wieder eine zweisprachige Ausgabe der Fünf Bücher Mose einschließlich der im Gottesdienst gebräuchlichen Prophetenlesungen (Haftarot) vor.

"Eine Übersetzung ist immer auch ein Kommentar"

Die Resonanz aufseiten jüdischer Gemeinden war bereits beim Erscheinen der Ausgabe groß. „Nun können wir die alte Philippson-Übersetzung neu lesen“, sagte der Vorsitzende der Allgemeinen Rabbinerkonferenz, Rabbiner Henry G. Brandt, zum Erscheinen des Werkes.

Der promovierte Rabbiner Ludwig Philippson war als Gründungsmitglied der Hochschule für die Wissenschaft des Judentums und Herausgeber der „Allgemeinen Zeitung des Judenthums“ eine prägende Gestalt des liberalen deutschsprachigen Judentums des 19. Jahrhunderts. Seine Übersetzung wurde von den Neuherausgebern nun behutsam revidiert, was sie für heutige Leser wieder interessant machen soll. „Eine Übersetzung ist immer auch ein Kommentar“, sagte Rabbiner Brandt. „Daher ist dieses alte Buch immer auch ein neues.“

Aus der Dirne wurde die Hure

Auch die deutsche Übersetzung der Edition wird wie im Hebräischen von links nach rechts geblättert, was nach kurzer Umgewöhnung auch für des Hebräischen nicht Mächtige flüssig möglich ist. Der Alttestamentler Rüdiger Liwak, der dritte Herausgeber der Neu-Edition, erzählte, dass die Wissenschaftler, die an der Übersetzung in den vergangen zwei Jahren beteiligt waren, nach den richtigen Worten durchaus sogar gerungen hätten. „Es gab heftige Diskussionen, zum Teil ging es sogar um einzelne Kommata.“

Änderungen betrafen beispielsweise Formulierungen, die wieder näher an das Original angelehnt wurden. So wurde etwa aus „Not der Belagerung“ die Umschreibung „Engnis und Bedrängnis“. Der „Ewige“ ist nun nicht mehr einzig, sondern einig und aus der Dirne wurde die Hure. Zum Teil mussten die Lektoren sogar recht amüsante Fehler aus dem Original herausholen. So macht Philippson aus einem Dattelkuchen das Wort Rindsbraten. „Wer weiß, was ihm bei der Übersetzung gerade durch den Kopf ging“, merkte der Herausgeber Liwak an. „Eine eindeutige Übersetzung war an einigen Stellen nötig“, erklärte Liwak. Und auch die Abschrift der in Fraktur gesetzten Vorlage hatte es in sich: Bei „Schafe, Ziegen, Kinder“ musste es richtig Rinder heißen, aus Hurensohn wurde wieder richtig Hurenlohn und bei den „Männern des Rums“ ging es korrekterweise um Ruhm. Und bei dem Ausspruch „Mehret Euch und seid fruchtbar“ hieß es zunächst „furchtbar“.

Berlin-Brandenburg spielt für heutiges jüdisches Leben eine wichtige Rolle

Wichtig erscheint Liwak auch, dass unter den Illustrationen, die in der neuen Ausgabe nicht mehr enthalten sind, eine mit einer jungen Frau zu finden war, die die Tora studiert. Der Herausgeber wertet das als Zeichen dafür, dass Philippson sich für die Konfirmation von Jungen und Mädchen gleichermaßen einsetzte.

Den Potsdamer Entstehungsort der Übersetzung wertete Thomas Rachel, Staatssekretär im Bundesforschungsministerium, als Zeichen der hervorgehobenen Rolle, die Berlin-Brandenburg heute für jüdisches Leben und Gelehrsamkeit spiele. Homolka sprach schließlich von einem phänomenalen Werk, einer einzigartigen Wiederentdeckung: Philippson sei durch die Neu-Edition wieder auf den Platz gehoben worden, auf den er gehöre.

Homolka, Walter/Liss, Hanna/Liwak, Rüdiger (Hrsg.): Die Tora. Mit Haftarot (hebräisch-deutsch) in der revidierten Übersetzung Ludwig Philippsons, Verlag Herder, 2015, 1168 Seiten, 38 Euro

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