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Rosa-Luxemburg-Biografie: Die Internationale als treibende Kraft

Der Historiker Ernst Piper von der Universität Potsdam hat eine viel beachtete Biografie Rosa Luxemburgs vorgelegt.

Potsdam - Ernst Piper ist gerne genau, auch in kleinsten Dingen. An einem strahlenden Freitagnachmittag sitzt er in einem hübschen Café mit einer Tapete, die deckenhohe, gefüllte Bücherregale simuliert. Für einen Historiker, Autor und Publizisten sind diese Eigenschaften – die Genauigkeit wie die Geduld in der Darlegung – Kardinaltugenden. In den vergangenen Wochen hat die glückliche Verbindung der beiden dafür gesorgt, dass sein neues Buch „Rosa Luxemburg. Ein Leben“ auf den beiden relevanten Bestseller-Listen in Deutschland auf Platz Eins gelandet ist. „Gleichzeitig! Das ist wohl einmalig bisher“, sagt er mit Nachdruck, und nimmt einen Schluck von dem Tee, in dem viele große Ingwerstücke schwappen.

Seit 2013 hat Ernst Piper, seit 2016 Privatdozent an der Uni Potsdam, sich vor allem mit der 1871 im russischen Teil (Kongreß-)Polens geborenen Rozalia Luxenburg befasst. „Rosa Luxemburg“ nannte sie sich erst später. Detailgetreu schildert und erklärt Piper die Verhältnisse, in die sie hinein geboren wurde: Das zeitlebens weniger als 1,50 Meter große Nesthäkchen einer jüdischen, hochassimilierten, begüterten, gebildeten Kaufmannsfamilie, das ein Gymnasium besuchen durfte und 1888 als Jahrgangsbeste das Abitur ablegte, die verdiente Goldmedaille dafür jedoch nicht erhielt, weil sie schon als Schülerin politisch aufmüpfig war. Die dann „noch in ihrer Schülerinnenschürze“, teilweise versteckt im Heuwagen, die mehr als 1000 Kilometer allein in die Schweiz zurücklegte, um in Zürich zu studieren.

Detaillierter Werdegang

Piper schildert fast minutiös Luxemburgs Weg durch insgesamt sieben Parteien, denen sie angehörte, ihre Kämpfe für die Revolution eines Proletariats, das ihr einfach nicht folgen mochte, wie sehr sie rhetorisch auch glänzte und wie viel sie auch schrieb in den Kampf-Blättern ihrer Zeit. „Sie war leider nicht sehr pragmatisch“, bedauert Piper. „Sie ging davon aus, dass alle anderen Probleme auch wegfallen, wenn der Hauptwiderspruch zwischen Kapital und Arbeit gelöst ist.“

Daher habe sich Rosa Luxemburg weder als diskriminierte Jüdin noch als Feministin betrachtet. Und deshalb wollte sie keinen polnischen Nationalstaat, sondern setzte auf die Internationale als treibende Kraft. Dieser Gedanke brachte sie nach Deutschland – dort war die sozialistische Idee am stärksten. Und das vor allem wirft man ihr bis heute vor: Noch 2018 hat die PiS-Regierung Polens die Gedenktafel an ihrem vermeintlichen Geburtshaus in Zamosc aus der Wand reißen lassen.

In seiner Einleitung schreibt Piper, dass er 1988 in dem FAZ-Fragebogen auf die Frage „Ihre Heldinnen in der Geschichte?“ geantwortet habe: „Rosa Luxemburg und ihre Schwestern im Geiste“. Weil er ein ’68er ist, wie er einmal in einem Interview gesagt hat. Die ’68er, die Rosa Luxemburgs Ausspruch „Freiheit ist immer die Freiheit des anders Denkenden“ wie eine Fackel vor sich hertrugen? Piper überlegt. Genau genommen, sagt er dann, seien die Dinge, die ihn wesentlich beeinflusst hätten, schon 1965 passiert: Die Eröffnung der Gedenkstätte des KZ Dachau, die er sofort mit seinen Eltern besucht habe. Das Anhören des Hörspiels „Die Ermittlung“ von Peter Weiß, die zu nachtschlafender Zeit im bayerischen Rundfunk gesendet wurde, unter der Bettdecke. Und die Verjährungsdebatte um die nationalsozialistischen Verbrechen, die von 1965 auf 1969 verschoben wurde. Im Münchner Verlegerhaushalt Piper (1904 von Ernst Pipers Großvater Reinhard gegründet) wurde darüber viel diskutiert. „Mein Vater war ein im weitesten Sinne liberal Konservativer, der sich immer mit großer Entschiedenheit um Aufklärung bemühte“, sagt Piper rückblickend. „Im Nachhinein fand er sich 1933 zu unpolitisch.“

1968 war Ernst Piper 16 Jahre alt. Er war „kein Protagonist“, doch die Denkweise prägte ihn: „Karl Marx hat mal gesagt, es genügt nicht, dass der Gedanke zur Wirklichkeit strebt. Die Wirklichkeit muss auch zum Gedanken streben. Ideen werden nicht durch Strukturen transportiert, sondern immer nur durch Menschen“, sagt Piper. „Ohne Marx hätte es keinen Marxismus gegeben, und ohne Hitler hätten wir vielleicht auch ein autoritäres System gehabt, aber es hätte anders ausgesehen.“

Bemerkenswertester Fund in Bonn

Auch deshalb – und weil er die Zeit rund um den Ersten Weltkrieg schon einmal betrachtet hatte in seinem Buch „Nacht über Europa“ (2013) – nahm Piper sich Rosa Luxemburg noch einmal genau vor, wandelte buchstäblich auf ihren Spuren. „Ich halte viel vom genius loci“, sagt er. Als erster Biograf habe er sich den Geburtsort der vor gut 100 Jahren ermordeten Spartakistin angesehen – und dank des Dokumentars Jörg Becken eine große Menge Material mit zurückgebracht. Den bemerkenswertesten Fund jedoch machte er im Bonner Bundesarchiv. „Dort haben sie riesige Massen herangekarrt“, erzählt Piper sichtlich erfreut. Darunter sogar eine Inventarliste ihres Elternhauses. Viel Material sei dann noch nach dem Mauerfall hinzugekommen.

Bis jetzt seien schon 8015 Exemplare seiner Biographie verkauft worden; die erste Auflage mit 6500 Büchern komplett weg. „Noch“ beobachte er die Verkaufszahlen jeden Tag. Raubkopien zum Download, wie sie bereits einige Tage nach Erscheinen im Internet auftauchten, machen ihm keine Sorgen. „So ein Buch liest man nicht auf dem E-Book-Reader“, sagt Piper mit einem Grinsen. Den Stand der Forschung werde er damit wohl eine Weile abbilden können.

» Ernst Piper: „Rosa Luxemburg. Ein Leben“, Blessing Verlag, 832 Seiten, 32 Euro.

Stefanie Schuster

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