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Religionswissenschaft an der Uni Potsdam: Auf dem Rückzug

Religionsgemeinschaften in Potsdam neigen dazu, sich einzukapseln. Das sagt der Religionswissenschaftler Johann Hafner von der Universität Potsdam. Er hat das Wirken religiöser Gemeinschaften in Potsdam untersucht.

Potsdam - Ostdeutschland ist einer der am wenigsten religiösen Landstriche der Erde. Zu diesem Schluss kommt Johann Evangelist Hafner. Der Religionswissenschaftler der Universität Potsdam hat zwischen 2012 und 2015 mit seiner damaligen Kollegin Irene Becci (heute Universität Lausanne) und Studierenden religiöse Gemeinschaften in Potsdam aufgesucht, um so etwas wie eine „religiöse Stadtkartierung“ zu schaffen. Als konfessionskundliches Unterfangen begonnen, hatte sich das Seminarprojekt schließlich auf alle Religionen und sogar auf den Graubereich der Esoterik und Lebenshilfe ausgeweitet. Ergebnisse der Untersuchung sollen demnächst als Aufsätze in einem Sammelband erscheinen. Einige grundsätzliche Aussagen zu dem noch nicht abgeschlossenen Projekt lassen sich bereits treffen.

In Genf gibt es 400 religiöse Gemeinschaften, in Potsdam nur um die 80

Dass der Osten Deutschlands nicht sonderlich religiös ist, ist nicht neu. Hafner, der katholische Theologie und Philosophie studiert hat und neben seiner wissenschaftlichen Tätigkeit auch als Diakon aktiv ist, hat sich die Situation nun aber etwas genauer und speziell für Potsdam angeschaut. Durch einen Vergleich mit der Schweizer Stadt Genf verdeutlicht er die Lage: während es dort rund 400 religiöse Gemeinschaften gibt, zählten die Forscher in Potsdam lediglich um die 80. Hafner erklärt die Lage vor allem historisch: „Über mindestens zwei Generationen hinweg forcierte der Sozialismus die Religionslosigkeit.“ Bereits in Preußen hatten Katholiken und Alt-Lutheraner nur wenig Einfluss. Hinzu kam, dass im 19. Jahrhundert der Kirchgang in der Region seltener erfolgte als etwa in Bayern. „Im Protestantismus sind das innerweltliche Engagement für das Reich Gottes und die persönliche Gottesbeziehung wichtiger. Das muss sich nicht liturgisch ausdrücken“, so Hafner. Zudem habe die Aufklärung in Preußen die Verdrängung des „volksfrommen“ Bereichs bewirkt: Die Aufklärer hätten sich etwa gegen das Pilgern oder Bittbräuche gewandt, die als abergläubisch kritisiert wurden. „Christen sollten hier moralisch, aber nicht kultisch sein.“

Dann kam der Nationalsozialismus, es folgten der Sozialismus und schließlich die weitere Säkularisierung im vereinigten Deutschland. Seit der Wende hat der Glaube an einen Gott oder etwas Göttliches in Ostdeutschland nicht – wie anfänglich erwartet – zugenommen, sondern hat noch einmal um ein Drittel abgenommen. Eine Trendwende erwarten die Wissenschaftler nicht, weil nur rund 15 Prozent der bis 55-Jährigen hier religiös erzogen wurden. In Potsdam komme noch ein hoher Rationalitätsgrad hinzu: In der stark wissenschaftlich orientierten Stadt werde einerseits von verschiedenen Seiten Skepsis gegenüber religiösen Vorstellungen geweckt, andererseits verstärke sich das Interesse an weltanschaulichen Fragen. Das wiederum wirke sich auf den Kontakt der religiösen Gruppen zu den Bürgern aus. „In Potsdam ist eine Einkapselung der Gemeinden zu beobachten“, so Hafner. Das Interesse der säkularen Umwelt an den religiösen Gruppen sei zwar hoch. „Aber deren Wille, nach außen zu wirken, ist gering.“

Das überrascht die Religionswissenschaftler gerade bei Gruppen, die eigentlich stark missionarisch tätig sind, etwa freikirchliche Gemeinschaften: Eine offene Straßen- oder Hausmission finde sich allenfalls bei den Mormonen oder Zeugen Jehovas. Hafner vermutet, dass erfolglose Werbungsversuche dazu geführt haben, dass man die Energie nicht weiter darauf verschwenden wolle. „Die Gemeinden haben sich an das Leben in einer säkularen Umwelt gewöhnt.“ Man könne zwar kurzzeitig Interesse wecken, damit aber keine Mitglieder gewinnen.

Zurückgezogenheit geht auch auf die DDR-Zeit zurück

Die Zurückgezogenheit habe auch etwas mit der DDR-Zeit zu tun. Die Gemeinden mussten sich damals gegen eine religionsfeindliche Umgebung enger zusammenzuschließen. „Dieses Verhalten setzt sich in der gegenwärtigen religionsindifferenten Umgebung gewissermaßen fort“, stellt Religionswissenschaftler Hafner fest. Bis heute habe man das Gefühl, sich einigeln zu müssen, um schwierige Zeiten zu überstehen. „Das ist gegenwärtig das Umweltverhältnis der meisten Gläubigen hier.“ Ganz anders als etwa in Bayern, wo religiöse Feste in der Öffentlichkeit stattfinden, werde in Ostdeutschland Religion im öffentlichen Leben als etwas Befremdliches empfunden. „Das Gefühl, dass man sich nicht in einer unvoreingenommenen Umwelt bewegt, haben alle Gemeinden gemeinsam, egal ob Katholiken, Baptisten oder die Pentekostale.“

Überraschend dann allerdings die Feststellung, dass der interreligiöse Dialog in Potsdam besonders ausgeprägt ist. Was wiederum eine Folge der eingeschränkten Situation sein könnte: dass man versucht, sich wenigstens mit den anderen Religionen zu verständigen, wenn es mit der säkularisierten Umwelt schwierig ist. Man verbünde sich in einer feindlichen Umwelt: „Das gemeinsame Schicksal, lauter kleine Boote im Meer des Säkularismus zu sein, scheint die Gläubigen zusammenzuschweißen.“ Die religiösen Gemeinschaften ahnen, dass die Säkularisierung hierzulande noch lange nicht zu ihrem Ende gekommen ist.

Die Auffassung, dass es jenseits der verfassten Religionen eine Art allgemeine, menschliche Religiosität gibt, die sich immer wieder durchsetzt, teilt Hafner nicht. „Religionen brauchen Liturgien, Symbole, Handlungssteuerungen und Organisationen, sonst überleben sie nicht.“ Dennoch würden die Religionen ähnliche grundlegende menschliche Probleme und Fragestellungen auf verschiedene Weise bearbeiten. Etwa die Frage nach der Endlichkeit oder der Schuld. Die Antworten darauf seien zumindest unter den europäischen Religionen sehr ähnlich.

Hafner teilt die Vorwürfe gegen die Islamische Gemeinde in Potsdam nicht

Johann Hafner hat zusammen mit einem muslimischen Kollegen auch die Islamische Gemeinde in Potsdam aufgesucht. Die Vorwürfe des ARD-Journalisten Constantin Schreiber teilen die Religionswissenschaftler nicht. „Die Funktion einer Diaspora-Gemeinde ist zunächst, eine religiöse Heimat zu bieten. Sie soll Integration nicht behindern, aber das ist nicht ihre Aufgabe.“ Grundsätzlich hatte sich Hafner über manche Argumente in der Debatte etwas gewundert, zumindest was die Missionierung anbelangt. „In den meisten deutschen Hotelzimmern findet sich eine Bibel, aber wenn Muslime in der Fußgängerzone den Koran verteilen, ist die Aufregung groß.“ Dass der Islam und das Christentum missionarische Religionen sind, müsste der Gesellschaft klar sein. Nur so hätten sie überhaupt zu globalen Religionen werden können. Die meisten Religionen wollen Andersgläubige von der eigenen Wahrheit überzeugen. „Die Frage ist nur, mit welchen Mitteln.“ Darin liege der Unterschied, ob man den Koran verteile oder gestrauchelten Jugendlichen in einer Gruppe ermögliche, Gewaltfantasien auszuleben wie es im Rahmen der Verteilaktion „Lies!“ vorgekommen ist.

Erneuerungsbestreben im Islam durch die Gülen-Bewegung

Auch im Islam gebe es heute ein Erneuerungsbestreben. Ausgerechnet der Katholik Hafner war es, der nach dem gescheiterten Militärputsch in der Türkei 2016 eine Petition für die dort verfolgten Wissenschaftler startete. Die von der türkischen Regierung als Hintermänner des Putsches bezichtigte Gülen-Bewegung „Hizmet“ begrüßt Hafner. Sie sei eine der wenigen Beispiele dafür, dass eine fromm-konservative Richtung die Kurve in eine rechtstaatliche Moderne schafft. „Dort wird nicht einfach dem Imam zugehört, sondern in Gruppen der Koran modern ausgelegt, und dies meist in der Absicht, Gemeinsamkeiten mit anderen Religionen oder demokratischen Werten zu finden.“ Darum sei der Widerstand gegen gerade diese Gruppierung nun am heftigsten. „Sie wäre eigentlich die ideale Brücke zwischen der Moderne und dem konservativen Islam“, meint Hafner. Doch auch bei uns ist die Unsicherheit groß. Ein erster Versuch, mit einem Bildungszentrum der Gülen-Bewegung eine Kooperation zu schließen, scheiterte an Widerständen in der Universität. Erst 2013 kam es zur Vereinbarung, die sich sehr bewährt und nach dem Putschversuch geradezu politische Bedeutung erlangt hat.

Auch Yoga kann Religion sein

Grundsätzlich landete die Forschungsgruppe auch bei der Frage, was ein religiös interessanter Untersuchungsgegenstand überhaupt ist. Hafner selbst geht hier sehr weit, er bezieht auch Yoga und Homöopathie mit ein. „Von religiöser Kommunikation kann man immer dann sprechen, wenn Menschen einander unterstellen, dass das Leben in der hiesigen Welt noch in eine weitere, zweite Welt hinausragt. Diese andere Welt wird als unzugänglich vorgestellt, hat aber Wirkungen in dieser Welt.“ Wenn man Homöopathie chemisch erklärt, kann man sie zur mehr oder minder hilfreichen Medizin rechnen. „Wenn es aber um feinstofflich-geistige Energien geht, die mit den Menschen wechselwirken, dann ist es religiös.“ Religion müsse nicht immer das Anbeten einer Gottheit bedeuten, die Wirkungen können auch Engeln, Geistern oder Energien zugerechnet werden

In Potsdam suchte Hafner schließlich auch einen Hochmeister der Freimaurer-Loge Teutonia zur Weisheit auf. Denn auch hier bewege man sich vor einem religiösen Hintergrund. „Arbeit“ nennen sich die geheimen Gottesdienstversammlungen. „Das Freimaurertum bedeutet die religiöse Feier von Menschheitstugenden wie Freundschaft oder Freiheit, unabhängig von Religions- oder Standeszugehörigkeit“, so Hafner.

Keine Renaissance der Religionen

Am Ende bleibt trotz der Religiosität, die im Osten direkt nach der Wende kurz erstarkte, für Hafner nur die nüchterne Feststellung, dass die vielbeschworene Renaissance der Religionen gar nicht existiere. „Das gibt es gegenwärtig gar nicht“, erklärt der Religionswissenschaftler. Vielmehr werde die die zunehmende Berichterstattung über Religion mit Religion verwechselt – in Ost wie West.

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