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Dem Tod auf der Spur. Michael Tsokos, geboren 1967 in Kiel, ist Professor für Rechtsmedizin und seit 2007 Leiter des Instituts für Rechtsmedizin an der Berliner Charité. Seine spannendsten Fälle hat er in mehreren Bestsellern geschildert, acht Obduktionen werden für die Real-Crime-Doku bei Sat 1 fernsehgerecht aufbereitet.

© Andre Kowalski/Sat 1

Rechtsmediziner Michael Tsokos im Interview: „Das Einzige, was ich höre, ist die Knochensäge“

Michael Tsokos ist Rechtsmediziner an der Charité, in der kommenden Woche beginnt seine TV-Sendung auf Sat1: Ein Gespräch über Professor Boerne, Leben und Tod – und über Mentholpaste.

Herr Tsokos, Sie sind das, was man einen Aufschneider nennt, oder?

Was das Berufliche betrifft, ist das sicher richtig. Aufschneiden gehört nun mal zu meinem Beruf. Privat eher nicht.

Aufschneider auch im übertragenen Sinne?

Wenn Sie wissen wollen, warum ich jetzt auch noch Fernsehen mache, dann ist die Antwort einfach: Für mich ist das eine Form des Wissenstransfers. Und wenn die Leute das sehen wollen, umso besser. Es geht nur um Fälle, mit denen ich tatsächlich zu tun hatte. Ich weiß also, wovon ich spreche.

Welcher Typ ist für Ihren Beruf besser geeignet: das Sensibelchen oder der harte Bursche?

Eine Mischung aus beidem ist hilfreich. Gerade wenn es um Todesfälle von Kindern geht, kann ein bisschen harte Schale nicht schaden, denn das geht in jedem einzelnen Fall unter die Haut. Man muss das professionell abarbeiten, sich aber auch darüber im Klaren sein, dass es sich um menschliche Schicksale handelt.

Das heißt?

Das heißt, dass man immer auch sensibel und empathisch bleiben muss. Aber man muss aufpassen, diese Fälle nicht mit nach Hause zu nehmen.

Was glauben Sie, wie die Fernseh-Zuschauer auf die Fälle, die Sie bei Sat 1 zeigen, reagieren?

Wir zeigen ja keine echten Obduktionen, sondern behelfen uns mit verfremdeten Darstellungen. Wir zeigen den echten Körper, aber als Hologramm, in das man hineinsehen kann. Wer Blut fließen sehen will, den muss ich enttäuschen. Wir machen virtuelle Obduktionen, das ist das Neue.

In fast jedem TV-Krimi gibt es inzwischen einen Rechtsmediziner. Wird da ein realistisches Bild Ihrer Tätigkeit gezeigt?

Überwiegend ja. Das ist in den letzten zehn Jahren viel besser geworden. Der Rechtsmediziner ist nicht mehr das kleine, blasse Männchen, das schlecht gelaunt und zynisch in gekachelten Kellerräumen den Kommissar abspeist, sondern ein aufgeklärter Mensch und Wissenschaftler, der auch mit eleganten Methoden und Verfahren zu verblüffen weiß. Das ist ein gewaltiger Fortschritt.

"Mit alten Klischees kann man keinen Blumentopf mehr gewinnen."

Ist das Publikum auch klüger geworden?

Das kann man sagen. Die Leute wollen etwas dazulernen. Das habe ich auch bei Lesungen gemerkt. Sie glauben gar nicht, was da für Fragen kommen. Die Leute wissen heute eine ganze Menge über die Rechtsmedizin, mit irgendwelchen alten Klischees kann man da keinen Blumentopf mehr gewinnen.

Ist die Rechtsmedizin geradezu schick geworden?

Sie werden es nicht glauben, aber ja. Wenn junge Menschen gefragt werden, was sie mal werden wollen, dann liegt der Rechtsmediziner gleich nach Model auf dem zweiten Platz. Vor allem für junge Frauen scheint der Beruf attraktiv zu sein.

Haben Sie eine Erklärung?

Verantwortlich dafür soll der sogenannte CSI-Effekt sein, benannt nach der gleichnamigen US-Serie. Wissenschaftlich belegt, nachzulesen bei Google. In dieser Serie sind die Rechtsmediziner wahnsinnig klug, schön, erfolgreich, umschwärmt und stehen immer im Mittelpunkt. Wer wollte da nicht Rechtsmediziner sein.

Wie finden Sie Ihren TV-Kollegen Professor Boerne aus Münster?

Super. Man weiß ja, dass es eine überzogene Darstellung ist. Golfspielen vor dem Rasen meines Institutes wird für mich wohl immer ein Traum bleiben. Aber gerade dieses Übertreiben macht ja die Unterhaltung aus. Ich find’s großartig.

Sie hören auch keine klassische Musik, während Sie obduzieren?

Das Einzige, was ich höre, ist vielleicht das Summen der Beleuchtung oder das Kreischen der Knochensäge. Aber auf keinen Fall Musik.

Wie reagieren die Menschen auf Sie, wenn Sie sich mit Ihrem Beruf vorstellen?

Unglaublich interessiert. Die erste Frage ist dann immer, ob es wirklich so sei, dass sich Rechtsmediziner Mentholpaste unter die Nase schmieren, bevor sie mit ihrer Arbeit anfangen. Das aber ist, wie vieles, ein Klischee.

Liefern Sie in der Sendung auch Tipps für Menschen, die sich gerade überlegen, wie sie möglichst perfekt die Schwiegermama um die Ecke bringen können?

Diese Menschen muss ich enttäuschen. Diese Büchse der Pandora werden wir nicht öffnen.

Aber Sie könnten schon ...

... natürlich könnte ich. Aber ich werde nicht. Das Internet wimmelt von Tipps und Tricks. Wer sich dafür interessiert, den muss ich ans Netz verweisen.

"Der Drogenkonsum hat zugenommen."

In Ihrem Buch „Dem Tod auf der Spur“ schreiben Sie, „die Lebenden lernen von den Toten“. Was lernen sie denn?

Zum Beispiel, was Medikamente oder toxische Stoffe im Körper bewirken. Auffällig ist schon, wie viele Menschen zum Zeitpunkt ihres Todes Psychopharmaka im Blut haben. Das war vor zwanzig oder dreißig Jahren noch anders. Der Drogenkonsum hat allgemein sehr zugenommen. Ein Spiegel der Gesellschaft, in der wir leben.

Sie haben rund 20 000 Obduktionen hinter sich. Von welchen Mythen müssen wir Ihren Erkenntnissen nach Abschied nehmen?

Zum Beispiel von dem Mythos, man könne an dem Gesichtsausdruck eines toten Menschen ablesen, ob er einen friedlichen oder einen grausamen Tod gestorben ist. Denn bevor die Totenstarre nach etwa zwanzig Minuten einsetzt, erschlaffen alle Muskeln. Das bedeutet, wenn jemand im Bett sitzend stirbt, wird man ihn mit geöffnetem Mund auffinden. Das heißt also nicht, dass er zu Tode erschrocken war, als er starb, sondern nur, dass die Gesichtsmuskeln erschlafft sind.

Haben Sie es überwiegend mit gewaltsamen Todesfällen zu tun?

Im Gegenteil. In Berlin haben wir es pro Jahr nur mit 100 bis 110 Tötungsdelikten zu tun. Das muss nicht immer gleich Mord sein. Diese Zahl ist seit Jahren konstant.

Wie hoch ist die Dunkelziffer?

Laut der letzten Studie, die zu diesem Thema aus dem Jahr 1999 vorliegt, ist das Verhältnis bei 1:1. Ich glaube nicht, dass sich daran viel geändert hat. Wir Rechtsmediziner fordern seit Jahren eine Verbesserung der Leichenschau. Aber viel Hoffnung habe ich da nicht.

"Wenn's um Geld geht, wird's schwierig."

Haben Rechtsmediziner denn keine Lobby?

Doch, doch. Polizei und Staatsanwaltschaften stehen hinter uns. Aber wenn’s um Geld geht, wird’s schwierig. Das ist bei uns nicht anders.

Wenn Sie sich als Rechtsmediziner etwas wünschen dürften, was wäre das?

Ein Gerät, mit dem wir in den Körper hineinblicken könnten und es zum Beispiel möglich wäre, ohne Obduktion nur über die Haut festzustellen, ob eine Vergiftung vorliegt. In zehn oder zwanzig Jahren könnten wir so weit sein. Aber dann müsste noch die Strafprozessordnung geändert werden, die vorsieht, dass bei einem gewaltsamen Todesfall der Körper des Opfers immer geöffnet werden muss.

Was fasziniert Sie mehr: das Leben oder der Tod?

Das Leben! Ich werde oft gefragt, ob sich mein Blick auf den Tod in den zwanzig Jahren, in denen ich jetzt Rechtsmediziner bin, gewandelt habe. Meine Antwort lautet: Nicht der Blick auf den Tod. Aber der Blick auf das Leben.

Ärzte gelten allgemein als Zyniker. Was sind Sie?

Auf jeden Fall kein Zyniker. Bei meinen Kollegen sehe ich da auch keine Gefahr. Wenn man eines als Rechtsmediziner nämlich nicht sein darf, dann: Zyniker. Man muss das Leben bejahen. Und die schönen Seiten des Lebens schätzen und annehmen können. Sonst könnte es passieren, dass man trübsinnig wird.

Das Interview führten Thomas Eckert und Joachim Huber.

„Dem Tod auf der Spur“, Sat 1, Mittwoch, 22 Uhr 30

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