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Akribische Recherche. Auf der Rückseite des Bildes „Federpflanze“ von Paul Klee finden sich diverse Aufkleber von Galerien und Transportunternehmen. Solche Hinweise helfen, Schritt für Schritt den Weg möglicher NS-Raubkunst zu rekonstruieren.

© Martin Gerten/dpa

Raubkunst: „Wir werden uns alle noch die Augen reiben“

Julius H. Schoeps über den Umgang mit Raubkunst, nötige Gesetzesänderungen, verdächtige Bilder in Ministerien und die Verantwortung der deutschen Museen

Herr Schoeps, Kunstwerke, die in der NS-Zeit beschlagnahmt wurden oder unter Druck verkauft werden mussten, sind nach der Washingtoner Erklärung von 1998 den Eigentümern oder deren Erben zurückzugeben. Die Bundesrepublik Deutschland hat sich verpflichtet, alles zu tun, um den jüdischen Familien das Auffinden ihres Eigentums zu ermöglichen. Warum sind Sie damit nicht zufrieden?

Das Problem ist, dass man zu lange gewartet hat. 14 Jahre nach der Washingtoner Konferenz zeigt sich im Fall des Gurlitt-Skandals, dass die Hausaufgaben in Deutschland nicht gemacht wurden. Mir erscheint ein bindendes Rückgabegesetz nach dem Vorbild Österreichs notwendig zu sein. In dieser Richtung müssten wir uns auch in Deutschland bewegen. Wobei der gutgläubige Erwerb von Raubkunst sowie die Verjährungsfrist berücksichtigt werden müssten. Beides scheint mir gegenwärtig ein Hindernis für die Rückgabe der verfolgungsbedingt entzogenen Kunstwerke zu sein. Das heißt nicht, dass die im Bürgerlichen Gesetzbuch festgeschriebene Verjährungsfrist für Delikte dieser Art angetastet werden sollte. Für diesen Sachverhalt müssten aber doch einige Veränderungen an der Gesetzeslage vorgenommen werden. Das Washingtoner Abkommen alleine ist keine rechtlich verbindende Übereinkunft, es hat nur den Charakter eines moralischen Appells.

Der bayerische Justizminister Winfried Bausback will nun eine Verjährung ausschließen, wenn der derzeitige Besitzer weiß, dass ein Kunstwerk geraubt wurde. Was halten Sie davon?

Das ist ein erster Schritt, den ich sehr begrüße, aber er ist noch nicht ausreichend.

Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) sagt, die Bundesregierung setze sich vorbehaltlos für die Suche nach NS-Raubkunst und deren Rückgabe nach den Grundsätzen der Washingtoner Konferenz von 1998 ein.

Der Vorgänger von Monika Grütters hat Ähnliches gesagt. Das ist erfreulich. Aber das Problem ist, dass die Museen sich nicht oder nur sehr bedingt an diese Grundsätze gehalten haben. Es gibt Widerstände bei den Museen, sich mit diesen Fragen auseinanderzusetzen.

Es heißt, weil den Museen geschultes Personal zur Provenienzforschung – also der Frage nach der Herkunft von Kunstwerken – fehle und diese Zeit und Geld koste.

Das halte ich für eine Ausrede. Jeder Museumsdirektor weiß genau um die Probleme in seinem Haus, er sollte die Kunstwerke kennen, die problembehaftet sind.

Also sehen Sie auch die Museen in einer historischen Verantwortung?

Selbstverständlich, zumal sie entsprechende Vereinbarungen unterschrieben haben. Wie sich nun aber zeigt, haben sich weniger als fünf Prozent der deutschen Museen mit dem Thema Raubkunst überhaupt beschäftigt. Von den rund 6000 deutschen Museen haben nach ARD-Recherchen nur etwa 350 die notwendigen Provenienzforschungen betrieben.

Das Washingtoner Abkommen betrifft ohnehin nur die staatlichen Museen, die freiwillig die Herkunft ihrer Bilder erforschen. Was ist mit den Bildern aus Privatbesitz?

Das ist eine etwas kompliziertere Angelegenheit. Die Washingtoner Prinzipien betreffen in der Tat nur die staatlichen Museen. Der Fall Gurlitt hat nun aber gezeigt, dass sich offensichtlich Raubkunst in Privatbesitz befindet.

Der Fall des Münchner Kunstsammlers Cornelius Gurlitt kam nicht unpassend. Er hat das Thema in den Mittelpunkt der gesellschaftlichen Debatte geholt.

Ich bin mir sicher, dass dieser Fall nur die Spitze eines Eisbergs ist. Es werden noch ganz andere Fälle in diesem Zusammenhang diskutiert werden. Das hat damit zu tun, dass hier im Zuge des Generationenwechsels immer wieder Raubkunst auf dem internationalen Kunstmarkt auftaucht. Es ist davon auszugehen, dass zwischen 1933 und 1945 rund 600 000 Kunstwerke in Europa ihren einstigen Eigentümern abgepresst, beschlagnahmt oder gestohlen wurden. Allein in Deutschland wird die Zahl der Kunstwerke, die in den Depots von Museen oder an den Wohnzimmerwänden von Privatleuten hängen, auf mehrere Tausend geschätzt, vielleicht sind es aber auch mehr. Es werden, so denke ich, noch ganz andere Konvolute auftauchen. Wir werden uns vermutlich alle noch die Augen reiben.

Was offenbart die aktuelle Debatte um die Rechtmäßigkeit der Rückgabe in Deutschland?

Diese Debatte hat sich in den vergangenen Jahren zugespitzt, nun durch Gurlitt noch einmal mehr. Sie wird jetzt international beachtet. Die Politiker werden nun nervös wegen der Verpflichtungen, die man eingegangen ist, aber die nach wie vor auf die Einlösung warten. Die Provenienzforschung muss auf andere Füße gestellt werden. Sie muss unabhängiger gemacht werden. Zurzeit werden die Wissenschaftler von den Museen ausgewählt und mit Bundesmitteln bezahlt. Das geht so nicht. Die Museen sollten Provenienzforschung betreiben, aber nicht zu dem Zweck, Rückgabeansprüche abzuwehren. Dieser Eindruck drängt sich im Augenblick auf.

Also?

Man sollte die Provenienzforscher künftig nicht an den Museen, sondern an unabhängige Forschungseinrichtungen anbinden, beispielsweise an den kunsthistorischen Instituten der Universitäten.

Sie schlagen auch vor, dass die Forscher ihre Herangehensweise ändern sollen. Wie könnte das aussehen?

Sie sollen proaktiv handeln können. Also nicht nur auf Restitutionsgesuche von Erben der NS-Opfer reagieren, was oft nur eine Abwehrreaktion ist. Vielmehr sollten sie von sich aus Projekte ansetzen, was untersucht werden soll. Das könnte, wie gesagt, ein kunsthistorisches Institut sehr gut machen. Zum Beispiel wäre es eine Aufgabe, zu untersuchen, was im Bundestag oder in den Amtsstuben der Ministerien an Raubkunst an den Wänden hängt. Es wird geschätzt, dass die Anzahl staatseigener Kunstwerke mit zumindest zweifelhafter Provenienz in deutschen Behörden in die Hunderte geht. Das könnte sich zum nächsten handfesten Skandal entwickeln.

Sie haben den Präsidenten des World Jewish Congress, Ronald S. Lauder, nach Deutschland eingeladen. Er forderte, eine internationale Kommission einzusetzen. Mit welchem Ziel?

Erst einmal, um Klarheit darüber zu schaffen, was an Raubkunst in den Depots deutscher Museen lagert. Dafür ist eine Internationalisierung der Gremien nötig. Dass die deutsche Taskforce zur Identifizierung von NS-Raubkunst nun auch zwei israelische Forscher aufnimmt – aus dem Umfeld der Jewish-Claims-Conference – ist ein sehr wichtiges Signal. Grundsätzlich sollte sich aber auch eine unabhängige Kommission des Themas annehmen, ähnlich der Schweizer Banken-Kommission, die auch international besetzt war.

Hat der Umgang Deutschlands mit dem Thema international Zweifel geweckt?

Das ist zu beobachten. Im Ausland ist der Eindruck entstanden, dass man sich in Deutschland dagegen wehrt, Kunst, die von den Nationalsozialisten Juden abgepresst oder gestohlen worden ist, an die Besitzer oder deren Erben herauszugeben. Die einstigen jüdischen Besitzer beziehungsweise deren Erben im Ausland stehen in Deutschland oft vor einer Mauer der Abwehr und des Schweigens. Transparenz, was die Raubkunst in deutschen Museen und Amtsstuben angeht, ist nur sehr bedingt vorhanden. Die Erben sind heute in der Regel in einer benachteiligten Situation.

Was macht die Sache so kompliziert?

Neben der fehlenden gesetzlichen Grundlage vor allem auch die Frage der zeitlichen Ebene. Was geschieht eigentlich dort, wo keine Erben mehr vorhanden sind? Gehören die Werke dann automatisch den Museen, in denen sie sich befinden? Das ist meines Erachtens nicht in Ordnung. Das österreichische Restitutionsgesetz von 2002 hat festgelegt, dass diese Werke verauktioniert werden und der Erlös an Institute ausgekehrt wird, die sich um Opfer des Nationalsozialismus kümmern. Hier muss auch bei uns ein radikales Umdenken erfolgen.

Immerhin gibt es seit 2003 die Limbach-Kommission zur Rückgabe NS-verfolgungsbedingt entzogener Kulturgüter.

Diese Kommission hat einen Strukturfehler. Bei Differenzen zur Rückgabe von Kulturgütern kann sie nur gemeinsam von Erben und Museen angerufen werden. Bisher sieht es aber meist so aus, dass die Erben die Kommission anrufen, aber die Museen nicht mitgehen wollen. Das ist bis auf wenige Ausnahmen, wie aktuell etwa dem Welfenschatz, zu beobachten. Die Kommission sollte aber, so meine ich, die Arbeit aufnehmen, sowohl wenn Museen als auch wenn Erben sie einzeln anrufen.

Im Washingtoner Abkommen heißt es, die Rückgabe sollte gerecht und fair erfolgen. Wie könnte so etwas aussehen?

Da so viel Zeit mittlerweile verstrichen ist, haben wir es nicht mehr mit einzelnen Erben, sondern Erbengruppen zu tun. Darin liegt die Schwierigkeit. Eine faire und gerechte Lösung zu finden, ist nicht ganz einfach. Ich denke, es sollte zunächst die Rückgabe erfolgen, dann kann man verhandeln. Voraussetzung ist, dass beide Seiten einer fairen und gerechten Lösung zustimmen.

Welcher Weg wäre also vorstellbar?

Ich denke, es ist möglich, zu Vergleichen zu kommen. Aber wenn nun Museumsdirektoren behaupten, dass ein Betroffener gar nicht verfolgt worden ist, oder es zu einem bestimmten Zeitpunkt noch keine Verfolgung gegeben habe, dann wird es schwierig. Solche Aussagen waren in anhängigen Fällen in den vergangenen Wochen wiederholt zu hören gewesen. Oder es wird erklärt, dass ein verfolgungsbedingter Entzug eines von Erben beanspruchten Kunstwerkes nicht vorläge, da seinerzeit ein „angemessener Kaufpreis“ bezahlt worden sei. Da fragt sich, was ein angemessener Preis war, wenn ein Jude, der zur Flucht aus Nazi-Deutschland gezwungen war, sich von seinem Besitz trennen musste. Ich hoffe sehr, dass durch die aktuelle Debatte nun etwas in Bewegung kommt und die Museumsdirektoren, die sich bisher weigern, überhaupt mit sich sprechen zu lassen, zugänglicher werden.

Sie sind als Mendelssohn-Nachfahre selbst von dem Thema betroffen. Um welche Kunstwerke handelt es sich, unter welchen Umständen wurden sie enteignet?

Es geht um den Kunstbesitz von Paul von Mendelssohn-Bartholdy, die Erben sind eine ganze Gruppe, deren Sprecher ich bin. Aufgrund des laufenden Verfahrens will ich mich dazu nicht weiter äußern. Generell ist zu sagen, dass jeder Fall anders gelagert ist. Man muss immer die historischen Umstände und die damals handelnden Personen genau betrachten. Notwendig ist es, zu fragen, wie es zum Besitzerwechsel kam, wie der Druck aussah, dem die Eigentümer eines Kunstwerks in der NS-Zeit ausgesetzt waren. Grundsätzlich aber gilt: Alle Kunstwerke, die zwischen 1933 und ’45 den Besitzer wechselten, stehen unter einem Vorbehalt.

Das Gespräch führte Jan Kixmüller

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