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Sönke Neitzel (48) ist Militärhistoriker und hat seit 2015 den Lehrstuhl für Militärgeschichte/Kulturgeschichte der Gewalt am Historischen Institut der Universität Potsdam inne.

© T. Roese/UP

Proteste gegen Potsdamer Militärhistoriker: „Wir sind keine Politikberater“

Der renommierte Historiker Sönke Neitzel ist im Herbst von London an die Universität Potsdam gewechselt. Gegen den Studiengang „War and Conflict Studies“, den er hier einrichtet, gab es Proteste. Im PNN-Gespräch erklärt Neitzel, warum die Kritik ins Leere läuft, was wir aus Kriegen lernen können und warum die Bundeswehr als Kooperationspartner unproblematisch ist.

Herr Neitzel, gegen die Einrichtung des Studiengangs „War and Conflict Studies“ an der Universität Potsdam hat es vom Studierendenausschuss (Asta) scharfe Kritik gegeben, der Studiengang in Kooperation mit der Bundeswehr beachte zivile Lösungen von Konflikten zu wenig, hieß es. Wie lautet Ihre Antwort darauf?

Wir versuchen Kriege und Konflikte in der Geschichte in einem ganz breiten Spektrum zu betrachten. Das schließt natürlich auch zivile Lösungen mit ein. Gerade bei der Betrachtung der internationalen Beziehungen stehen sie im Vordergrund. Aktuell gebe ich ein Hauptseminar über den Ausbruch des Ersten Weltkrieges. Dabei kann man wunderbar studieren, dass in den vielen Krisen vor 1914 die Kongressdiplomatie den großen Krieg verhindern konnte.

Wie gehen Sie mit der Kritik um?

Es ist natürlich das gute Recht des Studierendenausschusses, uns zu kritisieren. Ich habe mich schon im vergangenen Jahr darüber mit Asta-Vertretern ausgetauscht. Mein Eindruck ist allerdings, dass sie sich einen ganz anderen Studiengang wünschen, nämlich „Peace and Conflict Studies“. Das kann man beispielsweise in Hamburg oder Marburg studieren. Solche Studiengänge werden vor allem von der Politikwissenschaft und der Soziologie getragen und sind fast ausschließlich aktualitätsbezogen. Im Gegensatz dazu sind wir Historiker.

Was bedeutet?

Dass wir uns primär nicht mit aktuellen Konfliktlösungen beschäftigen. Der Schwerpunkt unserer Lehrtätigkeit sind die Kriege und Konflikte der Vergangenheit – vor allem im 19. und 20. Jahrhundert. Wir glauben, dass wir aus der Analyse historischer Konflikte dann freilich auch etwas für die Gegenwart lernen können. Politikberater sind wir aber nicht. Zudem muss man bei dem Aufbau eines Studiengangs immer auch darauf achten, dass nicht Lehrveranstaltungen fest eingeplant werden, die dann nicht regelmäßig angeboten werden können. Nicht alle interessanten Aspekte des Themas werden sich in der Lehre abbilden lassen. Aber ich bin sehr optimistisch, dass wir ein sehr interessantes, interdisziplinäres Angebot von Seminaren zusammenstellen. Im letzten Semester hatten wir etwa einen Gastdozenten aus dem Irak, der zur Kurden-Problematik lehrte.

Der Asta bemängelt weiter, dass die Soziologie zu kurz kommt.

Der Studiengang „War and Conflict Studies“ umfasst selbstverständlich auch die Soziologie. Am Potsdamer Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr (ZMSBw), mit dem wir kooperieren, gibt es führende Militärsoziologen wie etwa Heiko Biehl. Es wird immer ein sozialwissenschaftliches Modul angeboten. Darüber hinaus können die Studierenden in ihrem Wahlmodul Veranstaltungen aus dem gesamten Lehrangebot der Universität wählen, auch also auch bei den Politikwissenschaftlern oder den Soziologen.

Der Vorwurf, es gäbe zu wenig sozialwissenschaftliche Anteile in dem neuen Studiengang

der läuft meiner Ansicht nach ins Leere. Wer will, kann von vier Modulen zwei in Sozialwissenschaften belegen. Auch kann man seine Masterarbeit beispielsweise im Bereich der Soziologie schreiben. Dafür ist die Kooperation mit dem ZMSBw für uns so wichtig, hier gibt es ganz exzellente Sozialwissenschaftler. Die Studierende können diese Optionen nutzen, müssen es aber nicht. Wir haben bewusst auch die Möglichkeit geschaffen, nur historische Seminare belegen zu können. So kann jeder Studierende ganz nach seinen eigenen Interessen Schwerpunkte bilden.

Sie sind Experte für die beiden Weltkriege. Was können wir aus dieser Geschichte lernen?

Zunächst ist es, glaube ich, sehr wichtig, dass wir Deutsche uns überhaupt mit der Geschichte der Weltkriege beschäftigen. Das Thema ist in der Bundesrepublik im internationalen Vergleich sicher unterrepräsentiert. Aber konkret etwa zum Ersten Weltkrieg: Christopher Clarks Buch „Die Schlafwandler“ hätte eigentlich „Die Zocker“ heißen müssen. Wenn wir uns den Ausbruch dieses Krieges anschauen, haben die Großmächte einfach gezockt – und sich dabei verzockt. Wenn man die Mechanismen von Kriegsausbruch und -verläufen analysiert, die Macht der verschiedenen Wahrnehmungen versteht, wenn man sieht, wie schwer es ist, das Gegenüber zu verstehen, dann kann man davon eine ganze Menge für die Gegenwart lernen. Was wir aus dem Zweiten Weltkrieg, aus dem Holocaust und den Kriegsverbrechen lernen können, liegt auf der Hand. Aber auch hier ist der genaue Blick wichtig, der zeigt, wozu „normale Männer“ in Kriegen fähig sind und warum das so ist. Krieg und Gewalt haben 1945 ja nicht aufgehört. Gewaltverhalten zu analysieren kann uns auch für aktuelle Konflikte etwas sagen. Der Ausgangspunkt dafür bleiben für uns die historischen Konflikte.

Die aktuellen Konflikte sind aber auch ganz anders gestrickt als früher.

Nicht unbedingt. Wenn wir den Syrien- oder auch Irak-Konflikt betrachten, müssen wir erst einmal mit dem Ersten Weltkrieg beginnen. Darauf gehen diese Konflikte nämlich zurück. Das Verhalten von Staaten und Militärs hat sich nicht grundsätzlich verändert. Es wäre schön, wenn wir prinzipiell schlauer geworden wären. Aber die aktuellen Interventionen der Großmächte kann man wunderbar mit denen der Großmächte im 19. Jahrhundert vergleichen, die damals auch immer wieder in kleineren Konflikten etwa auf dem Balkan intervenierten.

Wie sieht es mit der Unabhängigkeit der Forschung aus, wenn die Bundeswehr mit im Boot ist?

Ich habe den Asta eingeladen, sich das ZMSBw genau anzuschauen und bin mir nicht sicher, ob davon hinreichend Gebrauch gemacht wurde. Ich kenne die Potsdamer Militärforscher nun seit über 20 Jahren, hier arbeiten zivile und militärische Wissenschaftler eng zusammen. Es ist schon bemerkenswert, dass sich die Bundeswehr ein Institut leistet, in dem ganz wesentliche historische Grundlagenforschung geleistet wird. Zudem: Die schärfste wissenschaftliche Kritik etwa an der Bundeswehr kam aus diesem Institut selbst – etwa von Detlef Bald. Das damalige MGFA hat wesentlich dazu beigetragen, die Verbrechen der Wehrmacht zu thematisieren – ohne die Grundlagenforschung des Instituts hätte es so etwas wie die Wehrmachtsausstellung wahrscheinlich gar nicht gegeben. Ich kann hier keine negative Einflussnahme der Streitkräfte auf die Forschung erkennen. Hinzu kommt, dass die Bundeswehr-Forscher teilweise Akteneinsicht haben, die wir nicht bekommen. So hat Philip Münch beispielsweise ganz aktuell ein hochkritisches Buch über die Bundeswehr in Afghanistan geschrieben. Das Verteidigungsministerium gibt keine Geschichtsschreibung vor, das würde sich dieses Institut auch verbitten. Im Ausland werden wir darum beneidet, dass das Militär so viel Geld in historische Grundlagenforschung steckt. Auch der Wissenschaftsrat hat das Zentrum positiv evaluiert.

Ihre Haltung gegenüber dem Militär?

Ich sehe Kriege natürlich kritisch – wie sollte es nach dem Studium der endlosen Massengewalt in der Moderne auch anders sein. Aber ich glaube auch, dass wir den Einsatz militärischer Mittel aktuell nicht von vornherein ausschließen sollten. Es sind sicher Szenarien vorstellbar – und die historischen Beispiele sind Legion –, wo der Einsatz von militärischen Mitteln eine sinnvolle Option war. Aber natürlich wünsche ich mir eine friedliche Welt und mache in meinen Publikationen und Vorträgen immer wieder auf die verheerenden Gewaltdynamiken in Kriegen aufmerksam.

Im Senat haben die Asta-Mitglieder ein Plakat entrollt, auf dem „war starts here!“ stand. Das klingt nach Kriegstreiberei. Trifft Sie das nicht?

Nein, das trifft mich nicht, weil ich es schlicht für Unsinn halte. Ich respektiere, wenn Studierende die Bundeswehr nicht an der Universität haben wollen. Freilich habe ich dazu eine andere Meinung – wie im Übrigen auch zahlreiche Studierende der Uni Potsdam. Unser neuer Studiengang ist ja in enger Abstimmung mit diesen entstanden. Ich bin für einen engen zivil-militärischen Austausch, ich möchte die Bundeswehr nicht in eine Schmuddelecke stellen, insbesondere bin ich für einen engen intellektuellen Austausch. Von einer engen Kooperation können alle Beteiligten nur profitieren. Im Übrigen: Mir sind noch nie Klagen von Studierenden über Lehrveranstaltungen zu Ohren gekommen, die Angehörige der Bundeswehr an der Uni Potsdam abgehalten haben.

Gerade in Potsdam steht Preußen für viele unter Generalverdacht.

Als Historiker muss man darauf hinweisen, dass die Dinge doch ein wenig komplexer sind – und man sich vor plakativen Zuschreibungen hüten sollte. Natürlich hatte das Militär etwa im Deutschen Kaiserreich eine besondere Stellung. Aber dies war damals in den meisten anderen europäischen Ländern nichts anders. Zudem: Der Startschuss zum Ersten Weltkrieg kam nicht von den Militärs, sondern vom Reichskanzler, von der Politik. Dass Zivilisten gut und Militärs böse sind, das ist doch eine etwas simple Sicht der Dinge. Und Preußen lässt sich nicht allein auf das Militär reduzieren, andererseits kann man es aber auch nicht heraus deklinieren.

Was hat Sie ausgerechnet nach Potsdam geführt?

Ich war an der London School of Economics and Political Science sicher gut aufgehoben. Aber wenn man wissenschaftlich an Kriegen, Konflikten und Massengewalt interessiert ist, dann gibt es in Deutschland keinen besseren Ort dafür als Potsdam – der Lehrstuhl für Militärgeschichte/Kulturgeschichte der Gewalt am Historischen Institut der Universität Potsdam ist einzigartig. Hinzu kommt die Nähe zum ZMSBw, dem ZZF und der Hauptstadtregion. Das sind ideale Bedingungen für einen Wissenschaftler.

In der Militärgeschichte gibt es derzeit einen Generationswechsel. Was ändert sich?

Jede Generation von Wissenschaftlern muss sich eigene Fragen stellen. Dass die Wehrmacht verbrecherisch gehandelt hat, müssen wir nicht mehr nachweisen – das hat die Generation vor uns herausgearbeitet. Wir müssen nun weitergehen, stärker die Grammatik menschlichen Handelns in Kriegen analysieren, uns mit nationalen Gewaltkulturen befassen und uns auch noch einmal intensiver damit auseinandersetzen, wie Kriege entstehen und wie sie enden. Dies schließt die Auslandseinsätze der Bundeswehr seit den 1990er-Jahren mit ein. All das sind ganz wichtige Erkenntnisse der Wissenschaft, die auch für die politische Bildung in unserem Land relevant sind.

Das Gespräch führte Jan Kixmüller

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ZUR PERSON: Sönke Neitzel (47) ist von der renommierten London School of Economics (LSE) im Herbst 2015 auf den Lehrstuhl für Militärgeschichte/ Kulturgeschichte der Gewalt der Universität Potsdam gewechselt. Hier hat er den ehemaligen Studiengang „Military Studies als „War and Conflict Studies“ neu aufgestellt. Neitzel hatte vor seiner Potsdamer Zeit den Lehrstuhl für Modern History an der Uni Glasgow und den Lehrstuhl für International History an der LSE inne. Der Historiker ist als Fachberater bekannt aus Guido Knopps Sendereihe „ZDF-History“ sowie aus ARD- und n-tv-Produktionen. Sein Fachgebiet sind die beiden Weltkriege.

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