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Heinz Kleger hat an der Universität Potsdam politische Theorie gelehrt.

© Andreas Klaer

Potsdams Toleranz-Experte: Zeit für Gedankensplitter

Der Autor des Neuen Potsdamer Toleranzedikts, Heinz Kleger, hat eine Autobiografie verfasst: Es ist eine Liebeserklärung an Zürich und Potsdam geworden.

Potsdam - Man müsse mit seinem Leben einen eigenen Aufsatz schreiben – und dabei die Erinnerung nicht außer Acht lassen. „Das Erinnerungsgebot gehört zur Zivilreligion“, schreibt Heinz Kleger. Bemerkenswerte Sätze eines emeritierten Potsdamer Professors, der nun Bilanz seines Lebens zieht, die Welt um ihn herum dabei aber auf keiner Seite vergisst. So kennen Studierende, Verwandte, Freunde und Politiker den Politikwissenschaftler Heinz Kleger. In seinem Buch „Gedankensplitter – Ein Schweizer in Potsdam“ lässt er nicht wenige von ihnen Revue passieren. Meist in wohlwollendem Ton, doch ohne dabei unkritisch und „glatt“ zu werden. Konfliktscheu ist eben nicht sein Stil.

Kleger ist ein Herzenslinker

Der 67-jährige Kleger ist ein Herzenslinker, zugleich katholisch verwurzelt, basisdemokratisch verortet, und obendrein ein Weltenbürger. Toleranz verkörpert für ihn einen der höchsten Werte überhaupt. Wenn ihm etwas wirklich gegen den Strich geht, dann sind es Floskeln, Formalismen, starre Rituale. Eine Krawatte trug er während des gesamten akademischen Lebens nur ein einziges Mal – zum Habilitationsvortrag in Zürich. An der Universität Potsdam lehrte er fast ein Vierteljahrhundert politische Theorie, und testete sie nach Feierabend in der Praxis. Heinz Kleger brachte in Potsdam, gemeinsam mit dem einstigen Oberbürgermeister Jann Jakobs und weiteren Mitstreitern, unter anderem den Bürgerhaushalt auf den Weg. Maßgeblich verhalf er 2008 dem Verein „Neues Potsdamer Toleranzedikt“ auf die Beine, initiierte Buchreihen, beriet Politiker und mischte sich immer wieder auch in kommunalpolitische Diskurse ein. Unvergessen die vielen, thematisch breit aufgestellten Klegerschen Bücher wie „Toleranzedikt als Stadtgespräch statt Sarrazin-Theater“ (2011), „Tugendethik ohne Tugendterror“ (2015) oder auch „Flüchtlingshilfe – von der Notsituation zur Integration“.

Politisierende Lebensschule

Klegers Eltern, die aus dem romantischen schweizerischen Obertoggenburg stammten und von denen er mit viel Hochachtung schreibt, hatten ihn vor der Politik gewarnt. Sie empfahlen ihm, die Finger davon zu lassen. Als die Familie in den 1960er Jahren nach Zürich zog und Sohn Heinz (Groß-)Stadtluft zu schnuppern begann, sich für Hockey, Fußball, Buchläden und das legendäre Cabaret „Rotstift“ gleichermaßen begeisterte, scheiterten die Eltern mit ihren Warnungen endgültig. Schon das Züricher Gymnasium Freudenberg wurde für Heinz Kleger zu einer ersten politisierenden Lebensschule. Der 16-jährige und seine Freunde „saugten alles auf – die Musik, die Zeitschriften, die Slogans, kurzum: alles, was innerhalb der ,Neuen Linken’, die eine internationale Perspektive hatte, angesagt war (…) Vieles wurde gelesen und mehr oder weniger verstanden: Marx, Marcuse, Reich, Lukács und andere. Es war eine intensive und produktive Zeit ohne Angst vor Irrungen und Wirrungen.“ An das Verständnis der Marxschen Schriften, erinnert sich Kleger, führten ihn übrigens die Dominikaner heran.

Zum Studium der Politik und Philosophie ging es schließlich nach Frankfurt am Main. Am meisten, so Kleger, habe er dort bei Karl-Otto Apel und Herbert Schnädelbach gelernt. Geschichte und Soziologie kamen als Studienfächer hinzu, bevor er für eine Assistenzstelle an das Philosophische Seminar der Uni Zürich zu Hermann Lübbe ging. Entgegen dem weit verbreiteten Bild vom dezidiert konservativen Denker zeichnet Heinz Kleger in seinen Erinnerungen ein viel differenzierteres Bild von dem erklärten Gegner der 68er Bewegung: „Lübbe war offen von rechts bis links. Obwohl er damals heftig als Neo-Konservativer angegriffen wurde, war er liberaler als die meisten Linken, jedenfalls an seinem Lehrstuhl. In der deutschen Politik vertrat er eine streng antimarxistische Position (…) und ging mit den 68ern entsprechend hart ins Gericht.“

Am Potsdamer Kapitel wird noch weitergeschrieben

In jener Zeit als Assistent bei Lübbe findet Heinz Kleger dann auch eines seiner großen Themen, mit denen er sich über Jahrzehnte hinweg beschäftigen wird: den zivilen Ungehorsam der 1980er Jahre, welcher in die neuen sozialen Bewegungen mündet. Hier kommen Fragen auf die Agenda, die gesellschaftspolitisch Sensibilisierte auch heute umtreiben: Datenschutz, Minderheitenrechte, Emanzipation der Frauen, Kirchenasyl, die Grenzen des Fortschritts und zunehmende Umweltprobleme.

Anfang der 1990er Jahre gibt es für Heinz Kleger noch ein kurzes Zwischenspiel als Professor für Politische Theorie an der Universität Konstanz. 1994 dann beginnt das Potsdamer Kapitel seiner Vita – ein Kapitel, an dem noch weitergeschrieben wird. Die Potsdamer Uni beruft Kleger auf den Lehrstuhl für Politische Theorie, und hier stürzt sich „der Schweizer“ mit Feuereifer in die neuen Herausforderungen. „In Potsdam“, erinnert er sich, „eröffneten sich Möglichkeiten, Themen der politischen Philosophie eigenständig, an einem anderen Ort und in einer anderen Zeit fortzusetzen, ja zu müssen.“

Völlig neue Themen kommen hinzu, so der Strukturwandel in Ostdeutschland und Osteuropa. Kleger vertieft sich mit Kollegen und Studierenden in ein Forschungsprojekt zur Landesplanung von Berlin und Brandenburg, und keiner schaut auf die Uhr. „Ich hätte Tagebuch führen sollen“, schreibt Kleger, „aber dazu fehlte die Zeit, denn ich arbeitete sieben Tage in der Woche (…) Nach der Arbeit ging ich jeweils in unsere arabische Eckkneipe an der Glogauer Straße in Berlin-Kreuzberg, oftmals bis drei Uhr morgens. Am anderen Tag war ich mit großem Elan wieder in meinem Büro am Griebnitzsee.“

Lange dauerte es, bis auch Potsdam zur Heimat wurde

Die 1990er Jahre in Potsdam, der einstigen preußischen Residenz- und späteren DDR-Frontstadt, werden – gerade durch die vielen Umbrüche und oft schwierigen Transformationsprozesse – auch für Heinz Kleger zu einer bewegenden Zeit. Mittlerweile nach Potsdam gezogen erlebt Kleger an der Universität junge Studierende, die die Welt verändern wollen. Tatsächlich gehen einige seiner Studierenden später schnurstracks in die Politik, werden Kommunalpolitiker, Landtagsabgeordnete, Generalsekretäre oder sogar Minister. Trotzdem dauert es lange, bis Heinz Kleger auch in Potsdam Heimat so fühlt wie in Zürich, der Stadt seiner Kindheit und Jugend. Heute kann er sich nicht mehr vorstellen, aus Brandenburgs Landeshauptstadt wegzugehen.

Umso mehr bewegen den umtriebigen Professor emeritus die Fragen nach der Stabilität der Gesellschaft und den spezifischen Problemen des Ostens. Spontane und frühzeitige Bürgerbeteiligungen bleiben für ihn elementar wichtig – „ansonsten sollen die Leute reden, wie ihnen der Schnabel gewachsen ist.“ Heinz Kleger wird weiter das seinige tun, um spezifische Erinnerungen für Handlungskonzepte verwertbar zu machen. Und wie zu hören ist, soll er bereits am nächsten Buchprojekt sitzen: diesmal zu den aktuellen Formen und der Bedeutung von Zivilreligion. 

Heinz Kleger, Gedankensplitter: Ein Schweizer in Potsdam, 204 Seiten, Book on Demand, Potsdam 2019

Olaf Glöckner

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