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Das Schloss, das keines ist. Die Potsdamer Künstlerin Annette Paul versah den Potsdamer Landtag mit dem Ausspruch „Ceci n’est pas un château“. Er ist angelehnt an das Bild „Ceci n’est pas une pipe“ (Dies ist keine Pfeife) des Surrealisten René Magritte, das besagt, dass das Abbild einer Pfeife keine wirkliche Pfeife ist.

© Sebastian Gabsch

Potsdamer Stadtmitte: Steingewordene Sehnsüchte

Zeithistoriker haben sich mit dem Wiederaufbau des Potsdamer Stadtschlosses befasst – und stufen dabei auch die Bauten der DDR-Moderne als historisch ein. Das unterstützt indirekt auch die Kritik, die aktuell am Abriss des ehemaligen FH-Gebäudes am Alten Markt laut geworden ist.

Das Schloss ist kein Schloss – sondern ein Landtag. Doch am Ende ist das Schloss auch ein Schloss, denn seine Erscheinung ähnelt der des ehemaligen Stadtschlosses – mit hoher Authentizität. Die Wiedererrichtung des Potsdamer Stadtschlosses als Parlament des Landes Brandenburg passt gut in den Boom der Authentisierung, den Wunsch nach historischer Echtheit, der auch in der Stadtplanung spätestens seit dem Umbruch von 1989/90 von Zeithistorikern verzeichnet wird. Und die Debatte um die Wiedererlangung historischer Authentizität an diesem zentralen Potsdamer Ort ist mittlerweile schon wieder so alt, dass die Zeitgeschichte sie selbst als historisches Untersuchungsobjekt betrachtet.

Die Debatte um den Wiederaufbau des Potsdamer Stadtschlosses wird akribisch analysiert

Wissenschaftler des Zentrums für Zeithistorische Forschung Potsdam (ZZF) haben zusammen mit Kollegen des Leibniz-Forschungsverbundes Historische Authentizität – also den Wunsch nach möglichst hoher Originaltreue – bereits seit 2014 in Tagungen und Publikationen Deutschland- und europaweit reflektiert. Ergebnis ist der Band „Gebaute Geschichte – Historische Authentizität im Stadtraum“, der vor Kurzem erschienen ist (Wallstein Verlag). Selbstredend liegt ein Fokus dabei auch auf dem Wiederaufbau des Potsdamer Stadtschlosses, den ZZF-Historikerin Kathrin Zöller mit seinen bisweilen detailversessenen Authentizitätskonflikten und jahrelangen Debatten in dem Band akribisch analysiert hat.

Ein Anker der Selbstvergewisserung zwischen Vergangenheit und Gegenwart

Städtische Auseinandersetzungen über den Wert ihrer gebauten Vergangenheit beschreiben die Historiker als Authentizitätskonflikte. Das ist nicht unbedingt neu, solche Debatten gab es bereits früher. Doch die neuerliche Lust auf historische Wahrhaftigkeit scheint aktuell von besonders großer Amplitude. In Potsdam wie in Berlin hatten Rekonstruktionsbefürworter nach 1989 zunächst einmal „entmilitarisieren“ und positive Traditionslinien finden müssen, wie ZZF-Direktor Martin Sabrow in seinem Beitrag mit Christoph Bernhardt (Leibniz-Institut für Raumbezogene Sozialforschung/IRS) und Achim Saupe (ZZF) schreibt. „Zudem galt es, ästhetische Argumente ins Feld zu führen, um für die Wiedererschaffung eines historischen Antlitzes zu sorgen – „und die für manche quälende Leere in der Eingangssituation der Stadt zu überwinden“. Der Authentisierungsschub nach der Wende ist für die Historiker ein Zeichen neuer staatlicher Souveränität, neuen städtischen Selbstbewusstseins und einer sich verstärkenden Kritik an den Bauten der Nachkriegsmoderne. Und letztlich auch eine Auseinandersetzung mit der Geschichte: Die Spur des Authentischen bleibe ein Anker der Selbstvergewisserung zwischen Vergangenheit und Gegenwart.

Die Rekonstruktion des Potsdamer Stadtschlosses betrachtet Historikerin Kathrin Zöller als Teil einer ganzen Welle von Rekonstruktionsvorhaben in der Bundesrepublik und Europa, die seit den 1970er- und 1980er-Jahren evident wurde – und sich nach dem Umbruch von 1989/90 verstärkt auf Ostdeutschland und Ostmitteleuropa konzentriert habe. Das Authentizitätsbedürfnis war im Falle der langjährigen Debatte um das Potsdamer Stadtschloss vornehmlich von zwei bürgerlichen Vereinen – Mitteschön und dem Verein Potsdamer Stadtschloss – getragen worden.

Abgrenzung von der DDR-Geschichte, Ästhetik und eine positive Identität

Doch worauf ging diese „Sehnsucht nach Geschichte“ zurück? Eine naheliegende Interpretation der Rekonstruktionsvorhaben nach 1990 sei die geschichtspolitisch intendierte „symbolische Restitution der vorsozialistischen Vergangenheit“. Der Wunsch, sich von der kommunistischen Vergangenheit loszusagen, sei in der Potsdamer Debatte um das Stadtschloss zu Beginn der 1990er-Jahre vordergründig gewesen, schreibt die Historikerin in ihrem Beitrag „Das ist kein Schloss!“. In der Folge sei die Abgrenzung von der DDR-Geschichte aber in den Hintergrund getreten und den ästhetischen Kategorien von „schön“ und „hässlich“ gewichen. Auch habe man sich von den Plänen einen Stimmungsumschwung zum Positiven in Stadt und Land durch den Wiederaufbau versprochen. Mit dem „Landtagsschloss“ bestehe in Potsdam die Chance, eine „positive brandenburgische Identität“ aufzubauen – für mehr „Stolz auf das Eigene und eine Chance zur Versöhnung mit der eigenen Geschichte“. Die Sehnsucht nach einer „ungebrochenen Geschichtsnarration, nach einer glorreichen Vergangenheit, die möglichst ohne Brüche auskommt“, habe hier Ausdruck gefunden.

Rückgriff auf heimatbezogene Paradigmen

Für die beiden Schlossvereine habe dabei auch die Erhaltung von „Heimat“ eine Rolle gespielt. Der Rückgriff auf heimatbezogene Paradigmen sei ein für Rekonstruktionsvorhaben kennzeichnendes Phänomen. Die Forschung sieht dies vor allem als Ausgleichsstrategie mit deren Hilfe auf Globalisierung und Mobilitätsdruck und die Auflösung bekannter Orientierungsmuster reagiert werde. „Die Sehnsucht nach einer Heimat, die sich in der Stadtgestaltung spiegelt, wird als Kompensation von Unsicherheit und als Erschaffung einer auf die Zukunft gerichteten ,Besänftigungslandschaft’ interpretiert“, schreibt die junge, aus Hamburg stammende Autorin, die 2014 ihr Geschichtsstudium an der Uni Potsdam mit einer Arbeit zum Stadtschloss beendet hat.

Heimat werde hier einerseits zur Utopie, andererseits mache sie aber als kommerziell verwertbare Kategorie das Typische und Spezifische einer Stadt verwertbar. Nicht unerheblich ist dabei auch der Faktor Tourismus: Das Gebäude auf dem Alten Markt sollte den innerstädtischen Raum aufwerten. Zöller spricht von einer „Kommerzialisierung“ des städtischen Raums: „Im Erlebnisraum Innenstadt wird Geschichte als ökonomische Ressource verwertet und künstlich erzeugt.“

Die Differenzierung zwischen Schönheit und Hässlichkeit in der Diskussion erscheint der Historikerin beispielhaft: Als schön erscheine, was als historisch wahrgenommen werde. Allerdings sei dabei selektiert worden: „Kriegszerstörte Bauten oder Bauwerke der DDR-Modernen werden ausgeklammert und als ,nicht schön’ diskursiv delegitimiert“, so Zöller. „Das vermeintlich Alte und Originale wird zum geschmacklichen Allgemeingut und zur Norm erklärt und verdrängt einen Teil der zuvor erlebbaren Historizität der Stadt im öffentlichen Raum.“

Der Umgang mit der DDR-Moderne sei ahistorisch und selektiv

Den Umgang mit der DDR-Moderne – aktuell gibt es eine Debatte um den bevorstehenden Abriss des Gebäudes der Fachhochschule am Alten Markt – greift die Historikerin in ihrem Fazit explizit auf. Und gibt damit den Kritikern des FH-Abrisses zumindest darin Recht, dass auch die DDR-Bauten mittlerweile als geschichtsträchtige Bauwerke zu sehen sind. Die Geschichte des Wiederaufbaus des Stadtschlosses werde zugleich von einer „Geschichte des Verschwindens“ anderer Orte im städtischen Raum begleitet, die Teil des baukulturellen Erbes der DDR waren, schreibt Zöller. Durch die Auslöschung von DDR-Bauten und die Errichtung eines an ein preußisches Schloss angelehnten Gebäudes habe man versucht, an die vermeintlich preußische Tradition Potsdams anzuknüpfen – aber auch die Geschichte der Wiedervereinigung und der Rückgewinnung des öffentlichen Raumes durch die Demokratie zu etablieren.

Für die Historikerin offenbart sich dabei eine „ahistorische, selektive und instrumentelle Geschichtsaneignung“, die Gegenwarts- und zukunftsorientierten Zwecken unterliege. „Die in der DDR entstandenen Erinnerungsschichten werden zurückgewiesen und negiert, sie sollen nicht Teil der öffentlich sichtbaren architektonisch manifestierten Erzählung über Stadtgeschichte sein“, schreibt die Zeithistorikerin. Am Beispiel des Potsdamer Stadtschlosses lasse sich sehr gut zeigen, inwiefern Geschichte als plastische Verfügungsmasse geformt werden könne. Letztlich sei der Wiederaufbau des Potsdamer Stadtschlosses eine Geschichtsvergegenwärtigung im öffentlichen Raum – „mit all ihren Widersprüchen“.

Christoph Bernhardt, Martin Sabrow und Achim Saupe (Hg.): Gebaute Geschichte.

Historische Authentizität im Stadtraum.

Wallstein Verlag, Göttingen 2017. 328 S., 48 Abb., 29,90 €.

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