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Ankommen. Damit Kinder mit Migrationshintergrund in Schulen Erfolg haben, müssen sie sich dort gut aufgehoben fühlen. Ein positives Schulklima ist laut Forschung für die Integration unabdingbar.

© dpa

Potsdamer Pädagogen über Vielfalt an Schulen: Die Mischung macht’s

Inklusionspädagogen der Universität Potsdam setzen auf kulturelle Vielfalt beim Schulerfolg. In bunt gemischten Schulklassen lernt sich demnach am besten. Wichtige Voraussetzung dafür sei allerdings ein positives Schulklima.

Potsdam - Eine kulturell stark gemischte Schulklasse muss kein Manko sein – ganz im Gegenteil. Für Linda Juang, Professorin für Inklusionspädagogik an der Universität Potsdam, liegt in der kulturellen Vielfalt einer der Schlüssel zum Schulerfolg. Die Förderung von Kreativität, kritischem Denken, gegenseitigem Verständnis und interkultureller Kompetenz seien positive Effekte von kultureller Vielfalt und Migration in der Bildung. Diese Kompetenzen sieht Juang als zentrale Fähigkeiten für das Leben in einer globalisierten Welt des 21. Jahrhunderts. „Entsprechende Grundlagen sollten daher bereits zu einem frühen Zeitpunkt in der Schule gelegt werden“, so Juang.

Warum man vor allem in bunt gemischten Klassen diese Kompetenzen erhält, erklärt die Psychologin Juang im PNN-Gespräch mit erhöhtem Verständnis und Einfühlungsvermögen, das die Schüler durch die Auseinandersetzung mit der Andersartigkeit von Mitschülern gewinnen würden. Ende der vergangenen Woche hatte Linda Juang, gemeinsam mit ihrer Mitarbeiterin Maja Schachner, rund 150 Wissenschaftler aus mehr als 20 Nationen an die Potsdamer Uni eingeladen, um das Thema zu diskutieren. Die Frage der Forscher war, was Lehrer, Schulen, Gemeinden und Pädagogen leisten können, um zugewanderten Kindern zu helfen, sich in dem für sie neuen Bildungssystem zurechtzufinden. Und wie das, was sie mitbringen, für die anderen Schüler genutzt werden könne.

Vorurteile verringern Bildungserfolg

Oft hören die Wissenschaftler von Lehrern, die betroffenen Kinder seien anders und man wisse nicht, was man mit ihnen anfangen soll. „Solche Vorurteile und negativen Sichtweisen verringern den Bildungserfolg“, so Juang. Hier müsse man ansetzen. Denn ein wichtiger Aspekt für Schulerfolg sei, wie Lehrer über Heterogenität in den Klassen denken. „Lehrer müssen erkennen, dass in der Vielfalt auch Vorteile liegen.“ In der Wissenschaft hingegen würden gemischten Klassen überwiegend positive Effekte zugeschrieben. „Vielfalt ist Teil des Menschseins, sie ist normativ, jeder Mensch ist anders – und das kann auch eine Ressource sein“, sagt Juang.

Laut Bildungsministerium waren Mitte Mai in Brandenburg rund 5500 Flüchtlingskinder an den öffentlichen Schulen, in insgesamt 721 Vorbereitungsgruppen und Förderkursen, was landläufig als Willkommensklassen bezeichnet wird. In Berlin sind sogar 11 400 Kinder und Jugendliche in Willkommensklassen, die sie auf die Integration in eine Regelschule vorbereiten sollen. Schule wird also zunehmend vielfältiger, von der Politik wird der Integration der steigenden Zahl junger Menschen mit Migrations- oder Flüchtlingshintergrund in Schulen und Gemeinden hohe Priorität eingeräumt. Für die Wissenschaftler steht indes fest, dass die erfolgreiche Eingliederung dieser jungen Menschen in Bildung, Arbeit und Gesellschaft nicht nur für deren eigenes Wohlbefinden, sondern auch für die Gesellschaft insgesamt förderlich sind. Den Bildungsakteuren, also Lehrern, Erziehern und Sozialarbeitern komme bei der Unterstützung dieser Entwicklung eine zentrale Rolle zu.

Andere Kulturen verstehen

Ein bunt gemischter Klassenraum eröffne den Schülern verschiedene Perspektiven und Blickwinkel, sagt Linda Juang. Damit werde das Einfühlungsvermögen gefördert. „Einen anderen Menschen zu verstehen, das kann in der Zukunft – mit Blick auf die vielen Konflikte in der Welt – hilfreich sein.“ Wenn man andere Kulturen nicht verstehe, würden unbegründete Ängste entstehen. Dafür sei eine Schulklasse, in der die Schüler aus verschiedenen Hintergründen kommen, das beste Gegenmittel: „Verschiedene Denkweisen und Perspektiven regen die Schüler an, in verschiedene Richtungen zu denken.“ Linda Juang beschreibt das als einen intellektuellen Prozess. Kleine Kinder würden nur ihre eigene sehr egozentrische Perspektive kennen, mit dem Älterwerden kämen neue Sichtweisen hinzu – allerdings nur, wenn dazu auch ausreichend Anstöße vorhanden seien.

Für den Schulerfolg müssten sich die Kinder in der Klasse auch wohl fühlen. In einer Klasse, in der die Lehrer die Schüler ihre Andersartigkeit negativ spüren lassen würden, sie ausschließen und auf ihre Kultur herabschauen, sei für die Betroffenen kein Erfolg möglich. Nur wer sich in der Klasse angenommen und durch den Lehrer in seiner Herkunft akzeptiert fühlt, komme auch weiter.

Kein Idealmaß für die Mischung

Was ist nun aber mit Schulklassen, in denen es über 90 Prozent Nichtmuttersprachler gibt, wie an einigen Berliner Schulen? Wie muss eine Mischung aussehen, um zu funktionieren? Dafür gebe es kein Idealmaß, meint Juang. Es gebe Lehrer, die mit einer 90-Prozent-Klasse gut klar kommen und andere, die an 20 Prozent Migrantenanteil scheitern.

Schönreden wollen die Potsdamer Bildungsforscher die Lage an vielen Schulen keineswegs. „Wir sind nicht so naiv zu sagen, dass alles gut ist – es gibt heute große Herausforderungen“, so Juang. Dennoch müsse man auch beachten, dass das schlechte Bild von Migrationsklassen vor allem auch durch die Medien transportiert werde. Hier werde meist behauptet, es sei schwer, Flüchtlings- und Migranten-Kinder an den Schulen zu integrieren. Aber die Forschung zeige, dass dem nicht immer so ist. Linda Juang bezieht sich auch auf Studien, die besagen, dass Vielfalt in Schulklassen möglich ist – und eben positive Effekte habe.

Hohe Motivation als Inspiration

Von vielen Lehrern würden die Forscher immer wieder hören, dass die Kinder mit Migrationshintergrund, die neu ins Land gekommen sind, eine sehr hohe Motivation zum Lernen hätten. „Sie sind dankbar, an einem sicheren Platz zu sein und zur Schule gehen zu können“, sagt Juang. Diese Motivation könne eine Inspiration für die anderen Schulkinder sein. Am wichtigsten sei aber das Schulklima. Das betreffe die Schulleitung genauso wie die Lehrer und Schüler. Ein wichtiger Schritt dahin sei, dass Lehrer sich selbst verstehen, ihre eigene Perspektive und Kultur und wie sie Schüler anderer Kulturen sehen. „Man muss seine eigene Perspektive verstehen, um zu erkennen, was man im Unterricht weitergibt.“ Es brauche dringend eine Lehrerbildung, die ein solches Verständnis im Blick habe.

Das Schulklima ist entscheidend

Auch Maja Schachner, Postdoktorandin in der Inklusionspädagogik der Uni Potsdam, hält das Klima in der Klasse von vorrangiger Bedeutung. Das würden Forschungsergebnisse belegen. Ob alle Kinder mitgenommen werden oder ob die Lehrer ethnische Grenzen ziehen, sei von zentraler Bedeutung. Negative Effekte durch eine vielfältige Zusammensetzung der Klassen seien hingegen viel geringer als landläufig angenommen. „Das sind in den meisten Fällen Ängste der Mehrheitsgesellschaft“, so Schachner. Wenn überhaupt finde man negative Auswirkungen vor allem bei den Migrantenkindern, nicht aber bei den deutschen Schülern. Das gelte auch dann, wenn Schulen in ein Extrem kippen – etwa mit über 90 Prozent Einwandereranteil. Für Migrantenkinder seien solche Schulen dann eine vertane Chance. Ein sehr großes Ungleichgewicht zwischen den einzelnen Kulturen sei keine ideale Situation. Doch der Schulerfolg der einheimischen Kinder würde an solchen Schulen hingegen kaum geschmälert. „Die bringen nicht unbedingt schlechtere Leistungen, das zeigt sich nicht in den Daten.“

Zudem würden sich auch unter den Schulen mit hohem Migrantenanteil positive Beispiele finden. „Für jedes Negativbeispiel findet sich auch ein positives.“ Bei einem Forschungsprojekt in Baden-Württemberg sei sie auf eine Klasse gestoßen, in der kein einziges Kind mit deutschem Hintergrund war. Doch die Lehrkräfte an dieser Schule seien so extrem motiviert gewesen, dass es in dieser Klasse kein Problem gegeben habe. Maja Schachner sieht daher vor allem die Schulleitungen gefragt: An Schulen, an denen es gut läuft, sei meistens die Schulleitung sehr darum bemüht, dass sich alle Kinder wohl fühlen und mitgenommen werden. An Schulen hingegen, die von ihren Rektoren bereits aufgegeben seien, entstehe eine Abwärtsspirale. „Die Leitung macht den Unterschied, ihre Haltung wird an die Lehrer weitergegeben.“

Lehrer mit Migrationshintergrund

Integration ist für Maja Schachner eine Aufgabe für alle. Die Mehrheit müsse sich genauso um Integration der Minderheit bemühen, wie auch die kleinere Gruppe einen Schritt auf die größere zugehen müsse. Maja Schachner hält es für sehr wichtig, mehr Lehrkräfte mit Migrationshintergrund einzustellen. Deren Anteil in Deutschland sei immer noch erschreckend gering. „Das steht in keinem Verhältnis zu den Schülerzahlen“, sagt sie. Hinzu komme, dass auch Vertreter der ethnischen Minderheiten mit ins Boot geholt werden müssten. Sie könnten Brücken zwischen den Lehrern und den Eltern bauen. Der Wunsch nach Bildung sei bei Migranten sehr hoch. „Doch dies ist oft nur ein abstrakter Wunsch, weil das Wissen über Schule und Bildung in Deutschland fehlt.“

Kulturelle Vielfalt verlange von den Lehrkräften, dass alle Kinder gleichberechtigt behandelt werden müssten. Das erfordere, dass die Lehrer sehr sensibel mit ihren eigenen Vorurteilen umgehen und ihr eigenes Verhalten hinterfragen. „Lehrer müssen ein diskriminierungsfreies Umfeld in der Schule schaffen und dürfen nicht voreingenommen handeln.“ Ein anderer Punkt sei, dass Vorurteile und etwaige Übergriffe der Schüler offen angesprochen werden sollten. Schachner empfiehlt auch, die kulturelle Vielfalt als Thema mit in den Unterricht zu nehmen. „Die Lehrer sollten die verschiedenen Lebenswelten der Kinder miteinander thematisieren.“ Beispielsweise sollten Fest- und Feiertage der verschiedenen Kulturen mit allen zusammen erörtert werden.

Berührungsängste abbauen

Wichtig ist es nach Ansicht der Potsdamer Bildungsforscherinnen vor allem, die Stärken der zugewanderten Kinder in den Unterricht einzubringen, beispielsweise deren Sprachkompetenzen in ihrer Muttersprache, aber auch ihr Wissen über die Lebenswelt und Kultur in anderen Ländern. „Es gibt viele Dinge, die Kinder aus der deutschen Mehrheitsgesellschaft von Kindern aus anderen Gesellschaften lernen können.“ Durch den direkten Kontakt mit Kindern aus anderen Kulturkreisen wird die Lebenswelt in anderen Ländern und Kulturen lebendig. Dies kann auch helfen, politische Ereignisse und internationale Beziehungen besser zu verstehen und mehr Empathie für die Betroffenen zu zeigen, wie zum Beispiel für Flüchtlingsfamilien in Deutschland.

Die Potsdamer Inklusionspädagogen haben sich auch zum Ziel gesetzt, Vorschläge und Empfehlungen für Schulen und Lehrer zu erarbeiten. Man will Lehrern helfen, gleichzeitig erwarte man von ihnen aber auch Hinweise über die Arbeit in der Praxis. „Es ist wichtig, die Lehrer auf die Situation vorzubereiten, denn viele fühlen sich in der aktuellen Situation in Deutschland überfordert.“ Einige Lehrer, die in einer Schule mit hohem Zuwandereranteil unterrichten, hätten selbst Ängste. „Daran muss man nun arbeiten, auch in der Lehrerbildung, um ihnen die Berührungsängste zu nehmen“, sagt Schachner. Denn konstruktiv mit der Situation umgehen könne man nur ohne Ängste.

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