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Klimaforscher Stefan Rahmstorf.

© Nick Cubbin

Potsdamer Klimaforscher zu Folgen der Erderwärmung: "Das hat mich am meisten erschreckt"

Regenfluten, Hitzewellen und steigender Meeresspiegel: Der Potsdamer Klimaforscher Stefan Rahmstorf spricht im PNN-Interview über Temperaturrekorde, die Abschwächung des Golfstromsystems und seine Sorge um den westantarktischen Eisschild.

Herr Rahmstorf, die vergangenen zwölf Monate waren alle zu warm. Wir sind also bereits mitten drin im Klimawandel?

Natürlich, das steht außer Frage. Die globalen Temperaturen steigen seit vier Jahrzehnten stetig an. 2014 war das bis dahin wärmste Jahr seit Beginn der Aufzeichnungen, 2015 hat dies noch überboten, und 2016 wird schon wieder einen neuen Rekord setzen. Dazu hat auch ein starkes El Niño-Ereignis im tropischen Pazifik beigetragen. Dieses natürliche Phänomen ist für 0,1 bis 0,2 Grad in der globalen Temperatur verantwortlich, zusätzlich zu rund einem Grad Klimaerwärmung seit Beginn der Industrialisierung. Ich erwarte aber, dass sich die Temperatur nun, nach Ende des El Niño, wieder dem langfristigen Trend annähert.

Vor fünf Jahren noch wurde von einigen Seiten behauptetet, die Erwärmung würde auf hohem Niveau stagnieren.

Ich habe ja immer darauf hingewiesen, dass dies alles im Bereich der ganz normalen Temperaturschwankungen lag. Das hat sich nun bestätigt. Der Klimatrend zeigt weiterhin unvermindert nach oben.

Während auf dem Nordatlantik etwas ganz Gegenläufiges abläuft.

Es gibt tatsächlich eine interessante Ausnahme in der weltweiten Erwärmung. Seit den 1930er-Jahren kühlt sich der subpolare Nordatlantik ab. Hier gab es 2015 sogar das kälteste Jahr seit Beginn der Aufzeichnungen 1880, die Temperatur lag dort bis zu 1,5 Grad unter den Werten des frühen 20. Jahrhunderts. Das ist doppelt erstaunlich, war doch 2015 insgesamt global das wärmste Jahr seit Aufzeichnungsbeginn.

Haben Sie eine Vorstellung, woran das liegen könnte?

Ich interpretiere diese Kälteblase als Folge einer Abschwächung des Golfstromsystems, wie wir sie durch die Klimaerwärmung auch erwartet haben. Sogenannte Proxydaten sprechen ebenfalls dafür, dass die Atlantikzirkulation in den letzten Jahrzehnten tatsächlich schwächer war als jemals zuvor im vergangenen Jahrhundert, vielleicht sogar vergangenen Jahrtausend.

Hat das Auswirkungen auf unser Wetter?

Diese Kälteblase hat auch für uns Folgen, denn unser Wetter kommt häufig vom Atlantik. Zum Beispiel gibt es eine Studie, die als Folge einer Golfstromabschwächung eine erhöhte Sturmaktivität bis hin nach Deutschland vorhersagt. Schwerpunkte sind hier die Deutsche Bucht und die südöstliche Ostsee. Eine aktuelle Studie zeigt zudem eine Verbindung zwischen der Kälteblase über dem Nordatlantik und sommerlichen Hitzewellen in Europa.

Wärmer trotz Kälte, wie das?

Verändern sich Temperaturen im Ozean, wirkt sich das auch auf die atmosphärische Zirkulation aus. Das kalte Wasser beeinflusst die Position von Hochdruck- und Tiefdruckgebieten. So gab es beispielsweise im Sommer 2015 eine Hitzewelle über Mitteleuropa, während draußen auf dem Atlantik Rekordkälte herrschte.

Wird das Wetter immer extremer?

Die erste Dekade im 21. Jahrhundert war nicht nur die wärmste seit Beginn der Aufzeichnungen, sondern auch gekennzeichnet durch zahlreiche Wetter- und Klimaextreme von zum Teil nie dagewesenem Ausmaß. Bei Hitzewellen ist der Zusammenhang klar. Kollegen aus der Schweiz haben zum Beispiel in einer Studie zum Hitzesommer 2010 in Russland die Sommertemperaturen in Europa seit 1500 verglichen. Ihre Ergebnisse zeigen, dass die fünf wärmsten Sommer der vergangenen 500 Jahre der Jahrhundertsommer 2003 – mit über 70 000 Hitzetoten in Europa – und die Jahre 2002, 2006, 2007 sowie 2010 waren. Das hat mit einer Normalverteilung nach Carl Friedrich Gauß nichts mehr zu tun, sondern ist eine Folge der Klimaerwärmung. Und so geht es wohl weiter: Auch 2015 gehörte erneut mit zu den wärmsten Sommern in Europa.

Was zeigen die Beobachtungsdaten vom Boden?

Der Prozentsatz der Landfläche mit ungewöhnlich hohen Temperaturen geht seit den 1970er-Jahren stetig hoch, inzwischen erreicht er in manchen Jahren 40 Prozent, während es von 1950 bis 1970 höchstens zehn Prozent waren. Den höchsten Ausschlag gab es bislang bei den starken El Niño-Jahren 1998 und 2010. Auch 2015 dürfte wieder dazugehören. Wir wissen auch aus entsprechenden Analysen, dass Rekordhitzewellen heutzutage fünf Mal häufiger vorkommen, als ohne Klimawandel zu erwarten wäre. Bei einem Hitze-Monatsrekord lässt sich daher heute mit rund 80 Prozent Wahrscheinlichkeit sagen, dass er eine Folge der globalen Erwärmung ist.

Und in Zukunft?

Wenn wir weiter ungebremst Treibhausgase emittieren, würden bis Ende des Jahrhunderts zum Beispiel 90 bis 100 Prozent der Sommermonate in den Tropen drei so genannte Standardabweichungen über den Werten von 1950 bis 1980 liegen – was früher fast nie vorkam. Bei uns hier in Mitteleuropa wäre etwa die Hälfte aller Monate so heiß, wie es zuvor nur in extrem seltenen Ausnahmefällen war.

Gibt es nicht auch eine Zunahme von sintflutartigen Regenfällen?

Die Häufigkeit neuer Rekorde in den Tagessummen des Niederschlags steigt global seit 1990 an. Allein 2010 gab es 80 Prozent mehr solcher Rekordniederschläge, als durch Zufall erklärbar gewesen wäre. Es gab schon lange keine Jahre mehr, in denen es weniger solcher Rekorde gab. Durchschnittlich liegt der Wert bei rund 20 Prozent, also eine geringere Zunahme als bei den Hitzewellen. Das liegt daran, dass Niederschläge räumlich und zeitlich sehr großen Schwankungen unterliegen. In manchen Regionen nehmen durch die Erwärmung die Niederschläge auch ab.

Wie wird sich das weiter entwickeln?

Dazu kann man sich einen einfachen physikalischen Zusammenhang anschauen: Nach der Clausius-Clapeyron-Gleichung befindet sich bei gesättigten Luftmassen mit jedem Grad Erwärmung sieben Prozent mehr verdunstetes Wasser in der Luft. Das heißt, mit jedem Grad steigt die Regenmenge in Extremniederschlägen um sieben Prozent. Bei Gewitterregen erwarten wir sogar eine deutlich raschere Zunahme.

Was hat sich im Frühsommer 2016 abgespielt, als es in Deutschland katastrophale Regenfluten gab?

In diesem Frühsommer war es eine andauernde Großwetterlage eines Tiefs in Mitteleuropa, die ihr Unwetterpotenzial mit starken Gewittern und massiven Schäden in Deutschland entfaltet hat. Solche Gewitterschauer sind sehr kleinräumig, daher ist es schwierig, aus den Daten Trends abzuleiten. Der Deutsche Wetterdienst findet trotzdem in seinen Stationsmessungen und in seiner Radarklimatologie ein vermehrtes Auftreten von Starkregen in den vergangenen 15 Jahren.

Sie beobachten auch Veränderungen in der Höhenströmung.

Der Jetstream, ein gigantisches Windband in der oberen Troposphäre, wirft mitunter große Wellen. Dann kommt es meist zu Wetterextremen am Boden. Es gibt Situationen, da schaukeln sich diese Wellen zu besonders starken Ausschlägen auf – ähnlich einer Resonanz. Ein Beispiel dafür ist der Mai 2013, der gekennzeichnet ist durch die Rekordfluten an Elbe und Donau, gleichzeitig gab es ein solches Resonanzereignis beim Jetstream. Ein weiteres Fallbeispiel sind die Rekordfluten auf dem Balkan im Mai 2014. Auch hier haben wir ein sehr stark aufgeschaukeltes planetares Wellenmuster festgestellt.

Wie kommt es zu diesem Phänomen?

Wir haben in einer Untersuchung des PIK einen Resonanz-Mechanismus entdeckt, durch den sich die planetaren Wellen aufschaukeln können. Unsere Forschung zeigt, dass dieses Resonanzphänomen in den letzten zehn Jahren häufiger aufgetreten ist als früher. Unsere Vermutung ist, dass es hier einen Zusammenhang gibt mit der besonders starken Erwärmung in der Arktis.

Inwiefern?

Die Arktis erwärmt sich deutlich rascher als der globale Durchschnitt. Das verändert das Temperaturprofil in der Atmosphäre, also den Abfall der Temperaturen von den Subtropen zur Arktis. Dieses Temperaturgefälle ist jedoch wesentlicher Treiber des Jetstream. Eine Störung dieser Luftströmung kann zur Entstehung von Wetterextremen beitragen, wenn dadurch die Amplitude der Wellen größer wird und sich die Wellen gleichzeitig verlangsamen. Normalerweise bewegen sich diese Wellen von West nach Ost, und mit diesen Wellen auch die Hoch- und Tiefdruckgebiete, die vom Atlantik zu uns ziehen. Bleiben diese aufgeschaukelten Wellen wochenlang quasi auf der Stelle stehen, dann können beispielsweise lange Hitzewellen oder Dauerregen über Europa zu Problemen führen.

Der Meeresspiegel ist seit dem 19. Jahrhundert bereits um 20 Zentimeter angestiegen. Wird Venedig demnächst untergehen?

Tief liegende Städte wie Venedig sind schon heute von häufigen Hochwassern betroffen, aber auch Miami oder Boston. In Venedig sind deshalb ja gigantische Sturmflutsperren im Bau. Problematisch ist, dass der Meeresspiegel ein System mit großer Trägheit ist. Er reagiert sehr langsam auf die Erderwärmung. Im Umkehrschluss wird er aber auch sehr langsam reagieren, wenn die Erwärmung gestoppt wird. Wenn wir die globale Temperatur langfristig auf zwei Grad stabilisieren, wird der Meeresspiegel trotzdem noch für Jahrhunderte weiter ansteigen. Alles, was wir durch einen Stopp der Erwärmung erreichen können, ist, dass der Meeresspiegelanstieg sich nicht weiter beschleunigt. Denn je wärmer es wird, desto schneller schmelzen die Eismassen.

Seit dem Höhepunkt der letzten Eiszeit vor 20 000 Jahren ist der Meeresspiegel um 120 Meter angestiegen. Wie weit kann das noch gehen?

Am Ende der Eiszeit sind bei etwa drei bis vier Grad globaler Erwärmung zwei Drittel der damaligen Eismassen abgeschmolzen. Das verbleibende Drittel liegt heute noch auf Grönland und der Antarktis und reicht noch für weitere 60 Meter Anstieg. Wir sollten tunlichst vermeiden, auch nur einen kleinen Prozentsatz davon abzuschmelzen. Die Gefahr besteht, dass selbst bei einem niedrigen Erwärmungsszenario mit umfassenden Klimaschutzmaßnahmen in den folgenden Jahrtausenden mit 25 Meter Anstieg der Meere zu rechnen ist. Bei weiter steigenden Treibhausgasemissionen wären es sogar bis zu 50 Meter Anstieg. In 10 000 Jahren wäre dann Grönland komplett eisfrei und erhebliche Teile des Eises der Antarktis wären geschmolzen.

Grönland gilt als besonders kritisch. Warum?

Grönland verliert bereits heute stark an Eismasse. Die Nasa-Satellitendaten zeigen momentan eine starke Abnahme des Eises an den Rändern. In der Mitte nimmt das Eis derzeit zwar etwas zu, denn auf der 3000 Meter dicken Eisschicht herrscht Dauerfrost. Und da bei einem wärmeren Klima auch die Schneefälle zunehmen, bleibt dort derzeit auch mehr liegen.

Wann wird es heikel?

Der Eispanzer Grönlands könnte in einem Bereich zwischen ein und drei Grad Erwärmung instabil werden und dann langfristig komplett verloren gehen – wir sprechen hier von einem möglichen Kipp-Element im Erdsystem. Das ist auch eine der wichtigsten neuen Erkenntnisse im jüngsten Bericht des Weltklimarates IPCC. Im vierten Bericht hieß es noch, dass der Kipppunkt Grönlands vermutlich erst ab zwei Grad überschritten werden könnte. Nun heißt es, dass dies bereits ab einem Grad Erwärmung erreicht sein kann. Ein Grad haben wir bereits erreicht.

Was passiert beim Überschreiten des Kipppunktes?

Davon werden wir zunächst nichts bemerken. Das ist der Punkt, ab dem der weitere Eisverlust sich selbst verstärkt und unaufhaltsam wird, in einer Art Teufelskreis. Das Eis wird dann zwar nicht in den nächsten Jahrzehnten schneller schmelzen, aber langfristig wird das ganze Eis verloren gehen.

Was beunruhigt Sie derzeit am meisten?

Was mich in jüngster Zeit am meisten erschreckt hat, ist die Erkenntnis, dass der westantarktische Eisschild seinen Kipppunkt wahrscheinlich bereits überschritten hat. Das ist sehr gravierend, denn das würde bedeuten, dass wir langfristig drei Meter Meeresspiegelanstieg bereits fest einprogrammiert hätten. Umso wichtiger ist es, den Klimawandel rasch einzudämmen, um die schlimmsten Folgen der globalen Erwärmung noch vermeiden zu können.

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ZUR PERSON: Stefan Rahmstorf (56) ist seit 2000 Professor für Physik der Ozeane an der Universität Potsdam und forscht seit 1996 am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK). Er gehört zu den Leitautoren des 2007 veröffentlichten vierten Sachstandsberichtes des Weltklimarates (IPCC). Zur aktuellen Weltklimakonferenz COP 22, die noch bis 18. November im marokkanischen Marrakesch stattfindet, werden in der kommenden Woche PIK-Direktor Hans Joachim Schellnhuber als Berater der Deutschen Delegation und der PIK-Chefökonom Ottmar Edenhofer reisen.

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