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Während der Luftbrücke brachten US-amerikanische und britische Flugzeuge Versorgungsgüter bis nach West-Berlin. 

© dpa

Potsdamer Historikerin: Warum die Berliner Luftbrücke eine Win-win-Situation war

Vor 70 Jahren endete die fast einjährige Berliner Luftbrücke, bei der West-Berlin von den Alliierten aus der Luft versorgt wurde: Stefanie Eisenhuth vom Potsdamer Zentrum für Zeithistorische Forschung würdigt die USA als Schutzmacht der Hauptstadt.

Potsdam/Berlin - Wenn Stefanie Eisenhuth in ihrer Studie „Die Amerikaner in Berlin 1945“ über die damalige Zeit schreibt, legt die Potsdamer Historikerin viele Details offen. Zum Beispiel, warum die amerikanischen Soldaten von den Berlinern, die mit der ersten, der russischen Besatzungsmacht schon gemischte Erfahrungen gesammelt hatten, nur zögernd begrüßt wurden.

Es geht auch um die Zusammenarbeit der USA und Russland

Es war demnach kein Wunder, wenn die Amerikaner erst einmal ein ganzes Viertel in Zehlendorf requirierten und die GIs als „schöne, wohlgenährte Männer“ den ausgemergelten deutschen Kriegsheimkehrern Konkurrenz machten, wie es in dem Buch heißt. Ebenso geht es um die ersten Erfahrungen der USA mit ihren russischen Kriegsalliierten, die den amerikanischen General Lucius Clay mehrfach im Alliierten Kontrollrat überspielten.

Stefanie Eisenhuth vom Potsdamer Zentrum für Zeithistorische Forschung (ZZF).
Stefanie Eisenhuth vom Potsdamer Zentrum für Zeithistorische Forschung (ZZF).

© ZZF/promo

Danach war es der spätere Regierende Bürgermeister Ernst Reuter, der als Stadtrat General Clay davon überzeugte, sich der sowjetzonalen Währungsreform zu versagen und in West-Berlin die D-Mark einzuführen. Die Westmächte, schrieb Clay seinen schwankenden Vorgesetzten in Washington, würden andernfalls „nur noch Gäste in Berlin sein“.

Die Amerikaner gingen als Freunde

Die Sowjets antworteten mit der berüchtigten Berlin-Blockade, Clay und die Amerikaner mit der im Mai 1949 érfolgreich beendeten Luftbrücke, Reuter mit seiner berühmten Freiheitsrede an die „Völker der Welt, dass ihr diese Stadt und dieses Volk nicht preisgeben dürft“. Seit 1948 Oberbürgermeister und mit Verabschiedung der West-Berliner Verfassung 1950 Regierender Bürgermeister, war er für die Welt die Stimme Berlins. Aber in Interviews betonte er stets, das seien noch immer die Amerikaner. Clay stimmte Reuter zwar zu, aber die Berliner hätten „nie etwas von uns verlangt, sondern sie haben stets gesagt, sie werden ihren Weg gehen, ganz gleich, was wir machen“.

Mag sein. Wahr ist: Die Amerikaner waren zwar wie die Russen „als Sieger gekommen“, wie es bei ihrem Abschied 1994 hieß, aber „sie gingen als Freunde“ – ohne Anführungszeichen wie die Sowjets.

West-Berliner und USA waren eine antikommunistische Erfahrungsgemeinschaft

Längst war die Besatzungsmacht zur Schutzmacht West-Berlins geworden, der die 500-Seiten-Studie von Eisenhuth über „Die Amerikaner in Berlin 1945“ den Titel verdankt. Die an der Humboldt-Universität promovierte Autorin, die heute am Potsdamer Zentrum für Zeithistorische Forschung (ZZF) die Öffentlichkeitsarbeit leitet, erklärt ausdrücklich, „keine Besatzungsgeschichte“ schreiben zu wollen – denn mit klassischen Besatzungsregimes zur Eintreibung von Kriegskosten und politischen Kontrolle der Besiegten sei die Geschichte West-Berlins kaum vergleichbar. Stattdessen habe die Teilstadt einen schnellen Rückzug der Alliierten aus Verwaltung und Stadtpolitik erlebt, der ihre Rolle weitgehend auf ihre Sicherheitsgarantie beschränkte. Aus einem kriegsbedingten Okkupationsregime sei so eine Schutzmacht im Sinne des Diplomatenrechts und der Genfer Konventionen geworden. Der Begriff Schutzmacht wird auch verwendet, „um die Schutzgarantien eines Staates gegenüber einem anderen im Falle eines Angriffs durch eine dritte Partei zu umschreiben“.

Das trifft tatsächlich ziemlich genau die Situation West-Berlins, das zwar nach dem Grundgesetz zur Bundesrepublik Deutschland gehörte, die aber aufgrund alliierter Vorbehalte die Stadt weder regieren noch verteidigen durfte, auch wenn sie die Gesetze der Bundesrepublik übernahm und wirtschaftlich von ihr abhängig war. Das geschah mit so weitgehender Duldung der (West-)Alliierten, dass unter Protest der Sowjets sogar die Bundesversammlung bis 1971 viermal in Berlin tagte und den Bundespräsidenten wählte.

Trotzdem war und blieb West-Berlin – eine These der Autorin – eine „dritte Entität“ zwischen Bundesrepublik und DDR, eine „eigene Sinnprovinz“ im Vergleich mit „Westdeutschland“, wie man in Berlin gern sagte. Mit den USA verband die West-Berliner eine antikommunistische Erfahrungsgemeinschaft, die auch dann noch als deutsch-amerikanische „Meistererzählung“ funktionierte, als deutsche und amerikanische Studenten gegen den Vietnamkrieg protestierten und in Berlin Steine und „Eier niedrigster Preisklasse“ – so „Der Spiegel“ 1966 – gegen das Amerikahaus flogen.

John F. Kennedy war beliebter als Kanzler Konrad Adenauer

Selbst da war die Wertschätzung der amerikanischen Schutzmacht noch höher als das Vertrauen auf Bonner Berlinbekenntnisse. Als „Berliner“ war Präsident John F. Kennedy beliebter als Kanzler Konrad Adenauer, und sogar Richard Nixon, von West-Berliner Maoisten als „Erzfeind der Menschheit“ beschimpft, wurde auf dem Kurfürstendamm mit „Ha-ho-he, Nixon ist okay“ begrüßt. Noch 1988 sprachen sich bei einer Umfrage achtzig Prozent der befragten West-Berliner und sogar siebzig Prozent der unter Dreißigjährigen für den Berlin-Besuch von US-Präsident Ronald Reagan aus. 25.000 geladene Gäste drängten sich vor dem Brandenburger Tor, um seinem Appell an die Sowjets zu lauschen: „Mr. Gorbatschow, tear down this wall!“

Der Mauerfall 1989 erlaubte schließlich – so eine weitere These der Autorin – das Vergessen aller Konflikte mit der amerikanischen Schutzmacht und die Herstellung einer linearen Erfolgsgeschichte von der Luftbrücke bis zur friedlichen Revolution und der Wiedervereinigung der deutschen „Entitäten“. Natürlich kann man darin eine Verdrängung unliebsamer und eine Überhöhung populärer Momente der amerikanischen Präsenz in Berlin sehen, die die Autorin detailverliebt ins Gedächtnis ruft – beispielsweise das groteske Pudding-Attentat der linken Kommune I gegen den amerikanischen Vize-Präsidenten Hubert Humphrey aus dem Jahr 1967, die Bombenanschläge der „Revolutionären Zellen“ auf eine amerikanische Militärparade oder die alljährliche Bombenstimmung auf dem Deutsch-Amerikanischen Volksfest.

An einer Stelle zeigt die Studie Zurückhaltung

Ausführliche Exkurse widmet die Autorin dem Berliner Alltag der GIs und ihrer Familien und ihren Ausflügen nach Ost-Berlin, wo beim Eintausch von Dollars gegen DDR-Mark saftige Steaks natürlich billiger waren als die Hamburger in West-Berlin.

Erstaunliche Zurückhaltung zeigt die Studie bei der amerikanischen Berlin-Präsenz in Wissenschaft und Kultur – von der Gründung der Freien Universität über den „Kongress für kulturelle Freiheit“ 1950 bis zu den Förderprogrammen der Ford Foundation und anderer amerikanischer Stiftungen in Berlin – und bei den Aktivitäten amerikanischer Geheimdienste im Berliner Spionage-Dschungel. Nur aus trüben Quellen („Tatsachen über Westberlin“, Ost-Berlin 1962) kennen wir über 40 Adressen von amerikanischen Geheimdienststellen in Berlin mit ihrer Zentrale in der Clayallee 170–172. Die CIA unterhielt Kontakte zu Aktivisten der deutschen „Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit“ und zu innerdeutschen Fluchthelfern, die sie auch finanziell unterstützte, obwohl sie die Mitwirkung eigener Bürger und von Militärangehörigen missbilligte.

Der Berliner Senat war sich jedenfalls laut dem verstorbenen SPD-Außenpolitiker Egon Bahr „sicher, dass die Amerikaner in dieser Stadt alles wussten“ und dass sie „jeden Tunnel kannten, bevor er angefangen wurde“. Einen gruben sie sogar selbst – als Abhörtunnel, den die DDR-Abwehr aber spektakulär enttarnte. Was bei alldem dem Schutz West-Berlins und was Amerikas Sieg im Kalten Krieg diente, ist schwer zu unterscheiden. Autorin Stefanie Eisenhuth nennt das eine Win-win-Situation. Vom guten Ende für Berlin aus betrachtet, mag das sogar zutreffen.

Stefanie Eisenhuth, „Die Schutzmacht. Die Amerikaner in Berlin 1945-1994“, Wallstein Verlag, Göttingen 2018, 512 S., ISBN: 978-3-8353-3291-1 (2018), 39 Euro

Hannes Schwenger

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