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Puzzlearbeit. Mit akribischer Recherche der Akten wollen die Zeithistoriker Licht in das dunkle Kapitel zwischen Stasi und der Grünen-Partei bringen.

© Stephanie Pilick, dpa

Potsdamer Historiker zu Stasi-Spitzeln: Unterwandert

Potsdamer Zeithistoriker haben die Beziehung zwischen DDR-Staatssicherheit und der westdeutschen Grünen-Partei untersucht. Bei manchem Parteimitgleid hatte die DDR politischen Kredit.

Potsdam. Wer von den Grünen für die Staatssicherheit als Informant oder Agent gearbeitet hat, ist mittlerweile in den meisten Fällen bekannt. „Die Zeiten der Enthüllungsbücher sind vorbei“, sagt Jens Gieseke vom Zentrum für Zeithistorische Forschung (ZZF) in Potsdam. Der Historiker interessiert sich vielmehr dafür, wie weit die Stasi mit ihren erheblichen Aufkommen an Spitzeln auf die Grünen-Partei habe einwirken können. Hier liegt noch viel im Dunklen. Durch akribische Recherche der Berichterstattung an das MfS und anderer geheimdienstlicher Ressourcen will Gieseke zusammen mit Andrea Bahr Licht in dieses Kapitel bringen.

Die Grünen wollten die DDR völkerrechtlich anerkennen

Im Auftrag des Bundesverbandes Bündnis 90/Die Grünen haben die beiden Autoren die Geschichte des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) und der Grünen in einer Studie beleuchtet, die im Christoph Links Verlag erschienen ist. Unlängst hat Andrea Bahr für ihre Beteiligung an der Studie den Postdoc-Preis des Landes Brandenburg 2017 für die beste geisteswissenschaftliche Nachwuchsstudie erhalten.

Die Beziehungen zwischen Grünen und SED-Staat waren wechselvoll. Vonseiten der DDR ging es darum, ob die neue Partei als Störfaktor oder als Bündnispartner zu betrachten war. Die Grünen wollten die DDR – als einzige Bundestagspartei – völkerrechtlich anerkennen. Gleichzeitig bestanden sie aber darauf, mit der Opposition in der DDR „basisdemokratisch“ zusammenzuarbeiten. Viele Grüne gaben der DDR auch politischen Kredit als antikapitalistischer und antifaschistischer deutscher Staat. Hier konnte die Stasi ansetzen, um die Diskussionen in der Partei zu beeinflussen. Eine eindeutige Position gab es letztlich nicht. „Eigentlich herrschte ein heilloses Durcheinander“, sagt Wolfgang Templin, der in der DDR zur Opposition zählte, dort Berufsverbot erhielt und 1990 für die westdeutschen Grünen für den Bundestag kandidierte.

Grünen-Funktionäre besuchte auch Ost-Berliner Oppositionelle

Besonders nah dran und besonders zerstritten über die DDR-Fragen war die Alternative Liste (AL), die sich 1978 in Westberlin gegründet hatte und faktisch als Landesverband der Grünen fungierte. Im Ergebnis setzte sich eine Doppelstrategie durch: Sie pflegte die Kontakte mit der SED-Spitze in der anderen Hälfte der geteilten Stadt und thematisierte Menschenrechte und Umweltfragen. Andererseits besuchten AL-Funktionäre wie Renate Künast oder Hans-Christian Ströbele auch Ost-Berliner Oppositionelle und druckten ihre illegalen Zeitschriften. Darüber gab es regelmäßig Streit, den die Staatssicherheit befeuerte. Denn auch bei AL und Grünen gab es durchaus Stimmen, die dem „anderen deutschen Staat“ für die bessere Staatsform hielten und deshalb wenig Anlass sahen, auf einen grundlegenden Systemwechsel hinzuwirken. Nach Einschätzung von Wolfgang Wieland, Gründungsmitglied der AL, hatten die anderen Parteien ihren Frieden mit der DDR gemacht, während bei AL und Grünen immerhin um die Position gestritten wurde.

Die Sternstunde des Spitzenagenten Schneider schlug 1983

Die Position von AL und Grünen maßgeblich beeinflusst hat nach Einschätzung der beiden Autoren Dirk Schneider. Die Aktenlage sei dünn, weil zahlreiche Akten über Schneider vernichtet worden seien, sagt Gieseke. Sicher ist allerdings, dass Schneider am 26. November 1975 von der Staatssicherheit angeworben wurde und sich regelmäßig mit deren Vertretern traf. Denn der selbst aus Rostock stammende AL-Funktionär sah sich als Sozialisten und Mittler zwischen den Welten. Die Sternstunde des mittlerweile verstorbenen Spitzenagenten schlug 1983. Da wählte die AL-Mitgliedervollversammlung Schneider mit knapper Mehrheit zum ersten Vertreter der AL in den zukünftigen Bundestag. In Bonn nahm er als deutschlandpolitischer Sprecher eine Schlüsselposition ein und erwarb sich schnell den Ruf einer „ständigen Vertretung der DDR bei den Grünen“ (wie Joschka Fischer ihn damals ironisch nannte). 1985 musste er aufgrund des in der Partei herrschenden Rotationsprinzips wieder aus dem Bundestag ausscheiden. Aber die beiden Jahre waren die „qualitativ und quantitativ erfolgreichste Zeit für das MfS“, so die Autoren.

Warum aber gelang es Schneider überhaupt, eine derart herausragende Position einzunehmen und dabei unentdeckt zu bleiben? „Schneider konnte hervorragend formulieren, und er lenkte geschickt die Debatten innerhalb der Partei“, erinnert sich Wieland an die Fähigkeiten des vormaligen SFB-Mitarbeiters Schneider. Vor dem Treffen des Staatsratsvorsitzenden Erich Honecker mit einer Delegation der Grünen am 31. Oktober 1983 lieferte Schneider allein acht Meldungen mit Persönlichkeitsprofilen der grünen Politiker, die Honecker erhielt.

Grünen-Aktivistin Petra Kelly erschien im Schwerter-zu-Pflugscharen-T-Shirt bei Honecker

Auch dies schützte Honecker allerdings nicht vor Überraschungen der Grünen-Aktivistin Petra Kelly. Die erschien spontan mit einem Schwerter-zu-Pflugscharen-T-Shirt und wollte mit dem Staatschef einen „persönlichen Friedensvertrag“ abschließen. Das gelang der Grünen-Politikerin auch. Honecker hatte schon zwei von drei der von Kelly geforderten Punkte des Vertrages unterzeichnet, als ein Mitarbeiter Honeckers einschritt.

Gieseke und Bahr beleuchten schließlich auch die Aktenlage zu Gert Bastian, ein damals prominenter grüner Politiker und ehemaliger Bundeswehrgeneral. Bastian war Mitglied der „Generale für den Frieden“, einer Gruppe von Nato-Militärs, die sich im Sinne der sozialistischen Staaten gegen westliche Atomrüstung aussprachen und die vom Ministerium für Staatssicherheit der DDR unterstützt wurden. Die Autoren haben allerdings keinerlei Hinweis gefunden, dass Bastian selbst von der Stasi als Agent geführt wurde.

Trotz des immensen Aufwands, so die Autoren, konnte die Staatssicherheit die Grünen nicht stoppen. Dafür sorgte schon Erich Honecker, der immer wieder Einreiseverbote aufhob und Zugeständnisse machte, um seine Westpolitik nicht zu gefährden. Die Wiedervereinigung brachte die westdeutschen Grünen dann in Not: Bei der Wahl 1990 flogen sie aus dem deutschen Bundestag. Nur dem Bündnis 90 gelang der Sprung ins Parlament.

Richard Rabensaat

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