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Die Geschichte kennen. De Maizière hat die Studie in Auftrag gegeben.

© dpa

Potsdamer Historiker untersuchen NS-Belastung: Ein erstaunlicher Befund

Eine Historikerkommission unter Beteiligung des Zentrums für Zeithistorische Forschung Potsdam hat eine starke NS-Belastungen in den Innenministerien in der Nachkriegszeit festgestellt - und zwar in West und Ost. Innenminister Thomas de Maizière (CDU) hatte die Studie in Auftrag gegeben.

Potsdam/München - Der erste Befund ist recht spektakulär: Mitte der 1950er-Jahre waren 66 Prozent der leitenden Mitarbeiter des Bundesinnenministeriums früher in der NSDAP, 45 Prozent in der SA. Auch im Ministerium des Innern der DDR war der Anteil mit insgesamt 14 Prozent ehemaligen Parteimitgliedern deutlich höher als bisher bekannt und erwartet, wobei hier die Belastung bei den einzelnen Fällen deutlich geringer gewesen sei. Zu diesem Schluss ist eine Historikerkommission unter Beteiligung des Potsdamer Zentrums für Zeithistorische Forschung (ZZF) in einem ersten Fazit gekommen. Geleitet wird die Kommission im Auftrag des Bundesinnenministeriums vom Ko-Direktor des Potsdamer ZZF, Frank Bösch, gemeinsam mit Andreas Wirsching vom Institut für Zeitgeschichte München-Berlin (IfZ).

De Maizière: Verantwortung übernehmen 

„Nur, wenn wir unsere Vergangenheit kennen, können wir gegenwärtige Entwicklungen einordnen und die Zukunft verantwortungsbewusst gestalten“, so Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) zum Zwischenbericht der Historiker. Er hatte das Forschungsprojekt, bei dem vor allem mögliche personelle und sachliche Kontinuitäten aus der Zeit des Nationalsozialismus untersucht werden sollen, vor elf Monaten ins Leben gerufen. Untersucht werden Personalakten, die zwischen 1949 und 1970 angelegt wurden.

Die direkte personelle Kontinuität vom nationalsozialistischen Reichsinnenministerium (RMI) zum westdeutschen Bundesinnenministerium war nach den Erkenntnissen der Forscher jedoch gering. Zwar habe der Anteil früherer RMI-Beschäftigter anfangs bei 23 Prozent gelegen, seit 1961 sei er jedoch unter der Zehn-Prozent-Schwelle geblieben. Gleichzeitig seien im Bonner Ministerium aber auch einzelne Personen eingestellt worden, „die nach heutigem Verständnis als NS-Täter bezeichnet werden müssen“. Auch zeigten sich nach 1945 „klare Hinweise auf fortbestehende antisemitische Grundhaltungen“ sowie „Kontinuitäten bei der obrigkeitlichen Zensurpraxis“.

Der hohe Belastungsgrad am BMI wiege zudem schwer, da das Bonner Ministerium für viele sensible Themen zuständig war – wie die Innere Sicherheit, Verfassungsfragen oder den öffentlichen Dienst, aber auch für „Belange des Judentums“ oder die „Wiedergutmachung“. „Gerade das Ministerium, das für die Durchsetzung der Grundregeln des demokratischen Rechtsstaats und den Umgang mit der NS-Vergangenheit besonders zuständig war, ist im starken Maße von Verwaltungspersonal geleitet worden, das zuvor die NS-Diktatur mitgetragen oder sich zumindest opportunistisch angepasst hatte“, so ZZF-Direktor Bösch.

Auch im Osten viele Nazis

Erstaunlich dann auch der Befund zum Osten: Erstmals konnten Forscher anhand von Personalakten zeigen, dass es auch hier NS-Kontinuitäten gab. Zu den 14 Prozent Ex-NSDAP-Mitgliedern, die sich bis 1970 im Ministerium des Inneren (MdI) befanden, kamen noch fünf Prozent ehemalige SA-Leute hinzu. In der zivilen Verwaltung habe der Gesamtwert sogar 20 Prozent betragen. Das Ergebnis stehe im starken Kontrast zu internen SED-Analysen, so die Historiker. Denn die waren von einem harten personellen Schnitt ausgegangen, man rechnete intern nur mit unter einem Prozent ehemalige Nazis in Leitungspositionen der großen Behörden.

Eine Erklärung für die erstaunlich hohe NS-Belastung im BdI gibt Bösch: Auch hier habe es keine umfassenden Regelüberprüfungen gegeben. „Wie im Westen war der Eintritt in die Verwaltung während der Besatzungsphase das zentrale Eintrittsbillett“, so der Historiker. Wer hier vertrauenswürdig erschien und sich anpasste, habe auch nach 1949 in den zentralen Ministerien aufsteigen können. 

In der nun folgenden Hauptstudie geht es darum, die vorerst ermittelte rein formale Belastung weitergehend zu erforschen: Die Mitgliedschaft in der NSDAP alleine sage noch wenig aus, so die Forscher. "Wir wollen wissen, was die Mitarbeiter der beiden deutschen Innenministerien in der Zeit des Nationalsozialis­mus getan haben. Wie sahen ihre Lebensläufe aus? Welche Prägungen brachten sie mit? Und wie wirkte sich dies auf die Innenpolitik der Bundesrepublik und der DDR aus?“, heißt es. Auch werde der Wandel der poilitischen Einstellungen dann ein Thema sein. 

Das Bundesinnenministerium finanziert das Projekt, mit je vier Stellen am ZZf und IfZ seit Dezember 2014; nach Abschluss der Vorstudie gibt es nun eine Bewilligung für eine Hauptstudie bis Frühjahr 2018.

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