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Potsdamer Geoforscher und Istanbuls Erdbebengefahr: Warten auf den großen Knall

In naher Zukunft erwarten Geoforscher ein Starkbeben bei der türkischen 15-Millionen-Metropole Istanbul. Es gibt aber auch etwas Hoffnung.

Potsdam - Dass es kommen wird, ist ziemlich sicher. Die Frage ist nur wann, wie stark es sein wird und aus welcher Richtung es kommt. Die Mega-City Istanbul könnte schon in naher Zukunft von einem Starkbeben heimgesucht werden. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Metropolenregion mit fast 15 Millionen Einwohnern von einem verheerenden Erdbeben der Magnitude 7 oder größer getroffen wird, ist sehr hoch. Geologen betrachten die Entwicklung seit Jahren mit zunehmender Sorge. Auch Potsdamer Geowissenschaftler haben den Hot-Spot seit langem schon im Blick.

Die vielen Millionen Bewohner Istanbuls leben auf einem Pulverfass. Die sogenannte Nordanatolische Verwerfungszone verläuft unterhalb des Marmara-Meeres direkt vor den Toren der Stadt. Hier staut sich seit dem letzten großen Erdbeben von 1999 die Energie im Untergrund auf. Die Erdplatten haben sich dort ineinander verhakt, das hält die natürliche Bewegung der Platten so lange auf, bis die mechanischen Spannungen so groß werden, dass sich die Blockade mit einem plötzlichen Ruck löst.

Experten rechnen bis 2025 mit einem großen Beben

66 größere Erdbeben hatten sich entlang der Verwerfungszone allein zwischen 1711 und 1894 ereignet, auch in der Vorzeit sind zahlreiche starke Beben dokumentiert. Mit dem nächsten großen Beben rechnen die Experten nun bis 2025. Die verheerenden Erdbeben vom August 1999 bei Kocaeli mit mehr als 17 000 Toten und im Winter 2002 in der Provinz Afyon gelten als Vorboten. Die mehr als 900 Kilometer lange Nordanatolische Verwerfung reicht von der Nordägäis im Westen bis fast zum Kaukasus im Osten und läuft quer durch die nördliche Türkei.

Entscheidend für die Dimension der erwarteten Naturkatastrophe wird sein, wie stark die Erdplatten ineinander verhakt sind und wo genau der Ursprung der Erschütterungen liegen wird, wenn sich die Blockade löst. Marco Bohnhoff vom Deutschen GeoForschungsZentrum in Potsdam (GFZ) hat jetzt mit seinem Team eine Studie in der Fachzeitschrift „Geophysical Journal International“ veröffentlicht, die diesen Fragen nachgeht. Die Forscher kommen zu dem Schluss, dass das nächste große Beben eher im östlichen Marmara-Meer von Istanbul beginnen wird.

Frühwarnzeit könnte nur kurz sein

Das bedeute eine gute und eine schlechte Nachricht: „Die Gute: Die Bruchausbreitung wird dann in östlicher Richtung verlaufen, also weg von Istanbul“, sagt Bohnhoff. Die schlechte Nachricht sei allerdings, dass es für die Bewohner nur eine kurze Frühwarnzeit von wenigen Sekunden geben wird.“ Gerade das aber ist besonders gefährlich, da Frühwarnzeiten benötigt werden, um beispielsweise Ampeln auf Rot zu schalten, Tunnels und Brücken zu sperren oder kritische Infrastruktur abzuschalten. GFZ-Forscher sind seit Jahren darum bemüht, für derartige Ereignisse eine ausreichende Frühwarnung zu schaffen.

Zur Vorsorge gehört allerdings auch, in Istanbul, das jährlich um rund 300 000 Einwohner wächst, erdbebensicher zu bauen. Zumindest theoretisch ist das möglich. Bauingenieure haben verschiedene Methoden entwickelt, um Häuser vor dem Einsturz durch Erdbeben zumindest bis zu einem bestimmten Grad zu bewahren. Auch lassen sich nach einer Vorwarnung – wenn erste seismische Wellen auftreten – Gasleitungen sperren, Züge stoppen und Kraftwerke herunterfahren. Doch diese Vorsorge ist dann keine Frage der Wissenschaft mehr, das muss die Politik der betroffenen Länder durchsetzen, wie auch die GFZ-Forscher wissen.

Die Energie staut sich auf

Die Wissenschaft kann aber immerhin grundlegende Einschätzungen liefern, wie das GFZ-Team um Bohnhoff es nun getan hat. Ihre Analyse beruht auf einer Auswertung zahlreicher kleiner Beben entlang der Marmara-Störung. So sind die Forscher zu dem Ergebnis gelangt, dass der Grad der Verhakung im westlichen Teil der Bruchzone geringer ist. Offenbar schieben sich die zwei Erdkrustenplatten dort ganz langsam aneinander vorbei, wobei es immer wieder zu kleinen Erdstößen gleicher Signatur kommt – sogenannten „Repeatern“. „Weiter östlich vor Istanbul hingegen werden keine Repeater beobachtet und die Platten scheinen dort komplett verhakt zu sein“, berichten die Forscher. „Die tektonische Energie staut sich also auf, die Gefahr, dass es ein großes Erdbeben gibt, nimmt zu.“

Die Beobachtungen der GFZ-Forscher hat ein neuer hochpräziser Seismizitätskatalog für die Region ermöglicht. Dazu war die Bebentätigkeit minutiös ausgewertet worden, indem erstmals die beiden großen türkischen Erdbeben-Messnetze und Messdaten aus dem GFZ-Plattenrandobservatorium als deutsch-türkisches Kooperationsprojekt miteinander kombiniert wurden. „Auf diese Weise haben wir die wiederkehrenden Erdbeben unterhalb des westlichen Marmarameeres gefunden“, sagt Bohnhoff. Daraus leiten die Forscher ab, dass die beiden Platten dort zu einem beträchtlichen Teil – 25 bis 75 Prozent – aneinander vorbeikriechen – „also weniger Energie akkumulieren, als wenn sie komplett verhakt wären“.

Beben im Osten stärker

Und es gibt noch eine andere gute Nachricht, die sich aus vorangegangen Studien Bohnhoffs ableitet: Aus einem Katalog historischer Seismizität für die Nordanatolische Verwerfungszone für einen Zeitraum von 2300 Jahren geht demnach hervor, dass im Nordwesten der Türkei niemals Erdbeben mit Magnituden größer als 7,5 beobachtet wurden. Im Gegensatz dazu seien im Osten der Türkei Magnituden bis 8 gut dokumentiert, so Bohnhoff. Im Ostteil der Verwerfung befinden sich ältere und größere zusammenhängende Segmente, die offenbar Energie dort stärker aufstauen. Es treten stärkere Beben auf als im Westen, wo sich aktuell noch mehrere kleinere und teilweise noch nicht miteinander verwachsene Teilabschnitte befinden. Im Raum Istanbul wären demnach stärkere Erdbeben mit Magnitude 8 erst in vielen Jahrtausenden zu erwarten. Dies bedeute jedoch keinesfalls Entwarnung, da sich die Erdbebenzone direkt vor der Stadt befindet: „Auch auch ein Beben mit Magnitude M 7,5 kann so entsprechend große Schäden anrichten“, sagte Bohnhoff.

Falls es wider Erwarten doch unterhalb des westlichen Marmarameeres zu einem starken Beben kommen sollte, gäbe es immerhin eine etwas längere Frühwarnzeit für Istanbul. Doch die Bruchausbreitung würde in diesem Fall in Richtung der Metropole erfolgen – und damit würde es dort zu schwereren Erschütterungen kommen als bei einem Bruchbeginn weiter östlich. Die aktuelle Datenlage lasse allerdings das gegenteilige Szenario erwarten: „Ein Beben mit einem Epizentrum vor den Toren der Stadt, das den Menschen zwar nur wenig Zeit lässt, sich zu schützen, das dafür aber weniger starke Bodenbewegungen auslöst.“

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