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Trügerische Idylle. Akribische Quellenforschung hat einen braunen Schatten über der Rosenburg ans Licht gebracht.

©  dpa

Potsdamer Forschungsprojekt zu NS-Kontinuitäten im Bundesjustizministerium: Brauner Schatten

Das Forschungsprojekt ist nach vier Jahren akribischer Arbeit abgeschlossen: Was der Potsdamer Historiker Manfred Görtemaker über den Umgang mit der NS-Zeit im Bundesjustizministerium herausgefunden hat.

Potsdam/Bonn - So idyllisch wie sie anzuschauen ist, hätte die Bonner Rosenburg einen Neubeginn deutscher Rechtsprechung symbolisieren können. Von 1949 bis 1973 beheimatete sie das Bundesministerium der Justiz (BMJ). Tatsächlich gelang von hier in flottem Tempo der Aufbau eines mustergültigen Justizapparates westlicher Prägung. Dies ist die „Sonnenseite“ der Rosenburg. Die dunkle Seite kommt aber nun erst, mit einem halben Jahrhundert Verspätung, in vollem Ausmaß zum Vorschein – dank akribischer und schonungsloser historischer Quellenforschung. Manfred Görtemaker (Universität Potsdam) und Christoph Safferling (Universität Erlangen-Nürnberg) haben ihr vierjähriges Forschungsprojekt zu NS-Justiz-Kontinuitäten abgeschlossen und komprimierte Resultate in einer knapp 600-seitigen Monographie („Die Akte Rosenburg. Das Bundesministerium der Justiz und die NS-Zeit“, C.H.-Beck Verlag) vorgelegt. Ein neuer, wichtiger Baustein in der Forschungsserie zu NS-Kontinuitäten in der frühen Bundesrepublik (Auswärtiges Amt, BKA Verfassungsschutz, weitere Ministerien folgen) ist damit vollendet, wenn auch wiederum mit erschreckenden Ergebnissen.

50 Prozent und mehr: Anteil früherer NSDAP-Mitglieder überaus hoch

Noch ehe das Forschungsprojekt begann, lagen einige Teilstudien und Publikationen vor, die auf erhebliche NS-Belastungen im frühen BMJ schließen ließen. Dies hat sich anhand der für Görtemaker und Safferling komplett zugänglichen Personalakten und sonstigen Archiv-Dokumente klar bestätigt. Der Anteil an früheren NSDAP-Mitgliedern war in der gesamten Rosenburg überaus hoch, „in Spitzenzeiten so hoch, wie wir das auch selbst nicht erwartet hatten“, erklärte der Potsdamer Historiker Görtemaker gegenüber den PNN. Im Durchschnitt lag demnach die Zahl der einstigen Parteimitglieder bis 1973 deutlich über 50 Prozent, in manchen Abteilungen des Ministeriums zeitweilig sogar über 70 Prozent.

Pikant außerdem: „In der Abteilung Strafrecht gab es zeitweise überhaupt niemanden, der nicht NS-vorbelastet gewesen wäre, außer dem Leiter selbst. Dessen Personalakte wiederum konnten wir entnehmen, dass er sich mehrfach bemüht hatte, Mitglied der NSDAP zu werden. Aber dort hat man ihn einfach nicht reingelassen, weil er der Partei als zu katholisch erschien“, berichtet Görtemaker.

Rosenburg-Angestellte direkt an Umsetzung des "Führerwillens" beteiligt

Schwerer als die vielen formalen NSDAP-Mitgliedschaften wiegt jedoch die Tatsache, dass nicht wenige Rosenburg-Angestellte vor 1945 in den Mühlen des NS-Staates direkt an der Umsetzung des „Führerwillens“ beteiligt waren. Im Klartext: Sie agierten in verantwortlicher Position an NS-Sondergerichten – auch in okkupierten Ländern –, an den berüchtigten Militärgerichten, kommentierten „wohlmeinend“ die Nürnberger Rassegesetze oder das schon 1933 verabschiedete „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“.

Was konnte man in einer Zeit nach Hitler von derartigen Juristen überhaupt erwarten? Wo kamen sie unter, und wie wirkten sie möglicherweise im „neuen“ Deutschland? Görtemaker und Safferling rekonstruierten bei 170 Personen, wer im Dritten Reich nur formaler (Partei-)Mitläufer gewesen war, und wer schwere persönliche Schuld auf sich lud. Auch hier stießen die Wissenschaftler auf Erschreckendes, unter anderem im Fall des Juristen Walter Roemer (1902-1985). Während der NS-Diktatur war Römer Vollstreckungsanwalt in München und zuständig für die Realisierung volksrichterlicher Todesurteile gegen bayerische Delinquenten, etwa auch gegen die Mitglieder der Widerstandsgruppe „Weiße Rose“, Sophie Scholl, Hans Scholl und Christoph Probst. Ungeachtet dessen schaffte Roemer 1950 den Sprung ins BMJ, wo er es bald zum Leiter der Abteilung für öffentliches Recht brachte.

Bezeichnendes Licht auf die Denkstrukturen einstiger NS-Juristen

Ermittlungen gegen Roemer, auch von prominenter Seite, blieben stets ergebnislos. Indessen zum Ministerialdirektor befördert, waren Römer und seine Abteilung IV Anfang der 60er-Jahre auch ganz wesentlich beteiligt am geheimen Entwurf einer Notstandsverordnung für den militärischen Spannungsfall, später bekannt geworden als „V-Buch“. Wären die dort empfohlenen Verordnungen rechtskräftig worden, hätten im Ernstfall sämtliche im Grundgesetz verankerten Rechte ohne Zustimmung des Bundestages aufgehoben werden können – ein glatter Verfassungsbruch in Vorbereitung. Der Entwurf scheiterte, warf aber dennoch ein bezeichnendes Licht auf die Denkstrukturen einstiger NS-Juristen am Werk.

Viel erfolgreicher als mit dem „V-Buch“ waren die gewendeten Braunen mit ihrer kollektiven Selbstamnestierung. Eine Verurteilung einstiger Nazijuristen fand quasi nicht statt, selbst wenn sich im Nachhinein schwere Vergehen gegen die Menschlichkeit bestätigten. Von ihnen mitkonzipierte Gesetze erwiesen sich aber auch als hilfreich für Nazitäter anderer Berufssparten. Schon das so genannte „Straffreiheitsgesetz“ von 1949 bot Steilvorlagen für eine anschließende Schlussstrich-Tradition, die dazu führte, dass bis zum Ende der 1950er-Jahre die allermeisten NS-Straftäter wieder auf freien Fuß kamen. Getoppt wurde all dies noch mit dem „Einführungsgesetz zum Ordnungswidrigkeitengesetz“ vom Mai 1968, durch das zahllose NS-Beihilfe-Taten rückwirkend verjährten, auch die von KZ-Personal und SS-Ärzten. Maßgeblich „mitgestrickt“ hatte hier Eduard Dreher (1907-1996), zu NS-Zeiten ein berüchtigter Staatsanwalt am Sondergericht Innsbruck. 1951 hatte auch Dreher es schon bis zur Rosenburg geschafft. In Kürze stieg er dort, ähnlich wie Römer, zum einflussreichen Abteilungsleiter auf.

Eindeutiges Unrecht aus NS-Zeit wirkte so weiter

Schafften es die ministerialen NS-Juristen also, sich gegenseitig reinzuwaschen, so muss es ihren Opfern wie ein Hohn vorgekommen sein, dass die Aufhebung von NS-Urteilen weitaus schleppender vorankam. Hier hielt die verantwortliche Justiz beharrlich an Einzelfallentscheidungen fest, um, wie erklärt wurde, die „Rechtssicherheit“ zu wahren. Sicher ein ehrbares Kriterium, das bei der „kalten Amnestie“ und der Verjährung von Naziverbrechen bezeichnenderweise aber nicht herangezogen wurde. Eindeutiges Unrecht aus NS-Zeit wirkte so weiter, unter den Augen der einstigen Juristen-Täter. Erst in den 1990er-Jahren erfolgte etwa die Aufhebung der Erbgesundheitsurteile, und die pauschale Rehabilitierung von Homosexuellen, Deserteuren, Wehrdienstverweigerern und anderen Opfern der NS-Militärjustiz kam in Deutschland gar erst im Jahre 2002 zustande.

Für Manfred Görtemaker und Christoph Safferling ist die eigentliche Projektarbeit beendet. Doch am Thema „NS-Justiz und Nachgeschichte“ bleiben die Historiker beharrlich dran. „Es kam uns darauf an, zunächst einmal ein deutliches Zeichen zu setzen“, resümiert Görtemaker. Die ganz wesentlichen Ergebnisse sind im erschienenen Band zusammengefasst. Zu Einzelaspekten, wie den Auswirkungen der NS-Kontinuitäten auf das Familienrecht und die Militärgerichtsbarkeit, aber auch auf die Personalpolitik im Justizapparat, würden dann Historikerkollegen weitere Bücher publizieren, so Görtemaker. Und er plädiert dafür, dass in der künftigen Juristenausbildung die juristische Zeitgeschichte mehr Beachtung findet.

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Olaf Glöckner

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