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Else Starkenburg vom Leibniz-Institut für Astrophysik Potsdam (AIP) leitet das internationale Team „Pristine Survey“.

© Manfred Thomas

Potsdamer Forscherin sucht nach Uralt-Sternen: Die Milchstraßen-Archäologin

Else Starkenburg erforscht die Entstehung unserer Galaxie und wurde dafür von der Astronomischen Gesellschaft prämiert.

Potsdam - Acht starke Ausschläge zeigt der Stern mit dem Namen Pristine_221.8781+9.7844. Wie Eiszapfen hängen die Ausreißer an der ansonsten beinahe gleichmäßigen Linie im Diagramm. Die kleine Grafik ist Teil der Computeranalyse des Stern-Spektrums von eben jenem Pristine_221.8781+9.7844. Aus den Linien und Wellenlängen kann die Astronomin Elsa Starkenburg herauslesen, aus welchen chemischen Elementen der Stern besteht und so feststellen, wann er ungefähr geboren wurde: eine spannende Analyse für die Expertin, die sich mit der Erforschung der Vergangenheit der Milchstraße beschäftigt. Deshalb versteht sie sich als eine Art Archäologin – eine, die nicht in der Erde buddelt, sondern im All.

Licht an. „Pristine_221.8781+9.7844“ entstand kurz nach dem Urknall.
Licht an. „Pristine_221.8781+9.7844“ entstand kurz nach dem Urknall.

© AIP

Für ihre Arbeit im Zusammenhang mit der Entdeckung von „Pristine“ , der sich als ein besonders alter Stern entpuppte, wurde ihr jetzt der Biermann-Preis der Astronomischen Gesellschaft verliehen: Eine Auszeichnung für in Deutschland tätige Nachwuchsforscher und Forscherinnen. Die 34-Jährige arbeitet zurzeit am Leibnitz-Institut für Astrophysik Potsdam (AIP) und leitet gemeinsam mit einem Astronomen von der Universität Straßburg das Projekt „Pristine Survey“, ein internationales Team von Wissenschaftlern auf der Suche nach solchen Uralt-Sternen.

Mit 16 liest sie die Bücher von Steven Hawkings

Starkenburg stammt aus den Niederlanden. Physik und Philosophie, das interessiert sie bereits als Kind und Jugendliche. Im Alter von etwa 16 Jahren liest sie Steven Hawkings Bücher. Populärwissenschaftliche Literatur findet sie gut. „Aber ich war schon noch ein normales Kind“, sagt sie heute. In der Schule hat sie guten Physikunterricht und der Lehrer traut ihr als Mädchen genauso viel zu wie einem Jungen. „Ich glaube, solche Erfahrungen sind sehr wichtig“, sagt sie. Sie studiert in Groningen zunächst Physik. „Aber dann fand ich Astronomie plötzlich viel spannender“, erzählt sie. Sie schwenkt um und promoviert als „Milchstraßenarchäologin“ – ja, das sei, so lustig das klingt, tatsächlich ein echter Fachbegriff. Von 2012 bis 2014 lehrt sie in Kanada und kommt dann 2014 nach Potsdam.

Dass sie nicht in die Lehre oder Wirtschaft gehen würde, sondern in der Forschung bleibt, entscheidet sich bereits in einer Nacht 2006. Da blickt sie mit zwei Physikern in Arizona durch ein Teleskop, sie schauen sich Stern-Spektren an und graben sich tief in die Vergangenheit. Das habe sie sehr aufregend, sehr inspirierend gefunden. Und dann habe ihr Professor jenen Satz gesagt: „Kannst du dir vorstellen, jemals woanders zu sein? Gibt es etwas Besseres als die Sterne?“ Nein, das konnte sie sich nicht vorstellen, sagt sie.

Seitdem ist sie fasziniert von dem Gedanken, mehr über den Ursprung der Milchstraße, in der auch unser Sonnensystem herumflitzt, zu erfahren. „All diese Sterne, die wir mit Hilfe des Spektrums analysieren, sind so weit weg und so alt – und trotzdem erfahren wir etwas über sie“, sagt die Astronomin. Die Sterne am Rande der Milchstraße sind 100 Kiloparsec entfernt, was etwa 300 000 Lichtjahren entspricht. Ob ein Stern noch da ist, wenn man ihn heute sieht? Gut möglich, sagt die Archäologin, „Sterne können sehr, sehr alt werden“.

Das Universum erklärt sie, als ginge es um Plätzchen

Die Forschung endet natürlich nicht mit dem Wissen über die Zusammensetzung und das Alter eines Sterns. Das Studium von Sternen verschiedener Generationen mache es möglich, die Geschichte der Galaxis zu verstehen und die Mechanismen und Abläufe der Entstehung der Galaxie, vom Urknall bis zur dicht besiedelten Milchstraße, zu erkunden.

Nach dem Urknall ist die chemische Zusammensetzung des Universums zunächst recht übersichtlich. Wasserstoff, Helium und Lithium sind die Elemente dieser ersten Phase – und Starkenburg erklärt das, als ginge es um ein Rezept zum Plätzchenbacken. „Schwerere Elemente können nur im heißen Inneren eines Sterns erzeugt werden – aber es gab ja noch keine Sterne.“

Erst nach der Auflösung der ersten Generationen fliegen mehr und mehr verschiedene Elemente im All herum. Die anschließend quasi recycelt werden: Teilchenwolken verklumpen, fusionieren langsam mit Hilfe der Schwerkraft und bilden einen neuen Stern, der dann eben auch Reste seiner Vorgänger beinhaltet. Neue Sterne setzen sich folglich aus immer diverseren Materialien zusammen. Je vielfältiger ein Sternenspektrum, je schwerer und metallhaltiger der Stern, desto jünger ist er. Auch die Sonne gehört zu den jüngeren Sternen. Je leichter und reiner die Zusammensetzung – desto älter ist der Himmelskörper.

Das Forscher-Team entwickelte einen speziellen Farbfilter

In Pristine 221.8781 + 9.7844 findet sich vor allem Wasserstoff. Er ist extrem metallarm und entstand deshalb vermutlich kurz nach dem Urknall. Ein echter Glücksgriff und bisher erst der zweite bekannte Stern dieser Art, sagt Starkenberg schwärmerisch: Ein weiteres Zeugnis ganz vom Anfang der Existenz der Milchstraße. Es wäre schön, wenn das Entdecken solch seltener Sterne schneller gehen würde und nicht mehr von Zufällen abhinge. Deshalb entwickelte das Forschungsteam von Starkenburg und ihren Kollegen einen speziellen Farbfilter, mit dem Spektren in größeren Mengen ausgelesen werden können. Das wäre etwa so, als würde man beim Bernsteinsuchen am Strand nicht mehr mit einem kleinen Schäufelchen losziehen, sondern mit großem Gerät den Strand auf einmal untersuchen.

Warum man das überhaupt alles erforschen will, dazu sagt sie: „Man muss dahin gehen, wo man nichts weiß. Ich bin neugierig. Mir reicht das als Motivation. Aber im Grunde ist die Suche nach dem Woher die uralte Frage der Menschheit.“ Grundlagenforschung ist immer ergebnisoffen.

Ihre persönliche Zukunft sieht sie zunächst am AIP. Neben ihrer Forschung begleitet sie Doktorandinnen und unterrichtet als Gastdozentin an der Universität Potsdam. Außerdem verfolgt sie die Entwicklung neuer Teleskope und Analyse-Software am AIP. In den nächsten fünf bis zehn Jahren könnte die neue Technik, mit der viel mehr Daten als bisher verarbeitet werden können, einsatzbereit sein. „Dann bricht ein neues Zeitalter in der Milchstraßenforschung an“, sagt Starkenburg mit Begeisterung in der Stimme. „Und das wird sehr aufregend.“

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