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Potsdamer Forscher untersuchen König Fußball: Das Jahrhundertspiel

Zeithistoriker untersuchen die Bedeutung des Fußballs heute und in der DDR. Bei einer Konferenz wollten sie nun den gesellschaftlichen und kulturellen Ordnungssystemen des Sports auf die Spur kommen

Schon früh war der Fußball ein Integrationsmotor – und ist es bis heute geblieben. Das betonte Frank Bösch, Direktor des Zentrums für Zeithistorische Forschung (ZZF), zur Eröffnung des Symposiums zur Geschichte und gesellschaftlichen Bedeutung des Fußballs. Ziemlich genau zur Halbzeit des auf zwei Jahre angelegten Forschungsprojektes am ZZF gab das Symposium einen Einblick in den gegenwärtigen Forschungsstand.

In seiner aktuellen Satzung hat sich der Deutsche Fußballbund die „Förderung von Integration und Vielfalt“ ausdrücklich fest geschrieben. Die transnationale Ausrichtung des Fußballs begann schon in den 1920er-Jahren in England. Damals nahm die britische Insel Spieler aus den ehemaligen oder damals noch existierenden Kolonien in ihre Mannschaften auf, erklärte Bösch. Diese Geschichte schreibt sich heute im europäischen Bieterwettbewerb um hoch qualifizierte Spieler fort. Und auch auf lokaler Vereinsebene finden sich zahlreiche Spieler mit Migrationshintergrund.

Die Wahrnehmung von Spiel und Spielern unterliegt beim Fußball einer erheblich größeren Beachtung als die der meisten anderen Sportarten. Dies sei nicht nur ein Ergebnis der frühen weltweiten Vernetzung der Mannschaften, sondern auch der gewandelten medialen Wahrnehmung, stellte Bösch fest. „Die Medien haben den Fußball groß gemacht.“ Erst habe die Bildpresse um 1900 einen Eindruck vom Geschehen auf dem Rasen vermittelt und das Fernsehen in den 1960er-Jahren bewegte Bilder geliefert. In den 1990er- Jahren dann habe die weltweite Vermarktung und Übertragung von Spielen noch einmal eine andere Dimension erreicht. Stets habe man gefürchtet, das Interesse am unmittelbaren Spielgeschehen würde nachlassen. Aber die Übertragung des Bildes in die Wohnzimmer habe die Wahrnehmung weiter gesteigert, so Bösch.

Gegen eine strikte Orientierung hin zu einem gewinnorientierten Geschäftsmodell habe sich der deutsche Fußball lange gewehrt, erklärte der Historiker Nils Havemann, der unter anderem für das Deutsche Historische Museum in Berlin arbeitet. Aber schließlich sei im Jahre 2000 genau dieses mit der Gründung der Deutschen Fußball Liga (DFL) eingetreten. Havemann hat die Fußball- Bundesliga als „wirtschaftliches Erfolgsmodell“ untersucht – mit dem Ergebnis, dass die Kommerzialisierung der Fußballbundesliga erfolgreich war.

Ausgangspunkt des Symposiums war das Forschungsprojekt von Jutta Braun (ZZF) und Michael Barsuhn (Uni Potsdam) zur Geschichte des DDR-Fußballs. Beim ZZF, zusammen mit dem Zentrum deutsche Sportgeschichte und der Universität Münster forschen die Wissenschaftler im Auftrag des DFB.

Auch in Deutschland waren schon früh Spieler vieler Nationen im Fußball vereint, so der Sportwissenschaftler Diethelm Blecking (Freiburg) . In den 1930er- Jahren änderten Spieler mit polnischen Abstammungswurzeln ihre Nachnamen hin zur deutschen Semantik. Heute sind Spieler wie der an der türkischen Schwarzmeerküste geborene Gelsenkirchener Mesut Özil Aushängeschilder der deutschen Nationalmannschaft. Bei der Fußballweltmeisterschaft in Südafrika im Jahr 2010 hatte mehr als ein Drittel der deutschen Nationalmannschaft einen Migrationshintergrund, so Blecking.

Fast 60 000 Mannschaften in mehr als 25 000 Vereinen mit 80 000 Spielern bieten jedes Wochenende eine „sozial konkurrenzlose Kontaktfläche zwischen den gesellschaftlichen Gruppen und zwischen Einzelnen“, so Jutta Braun. Das schlägt sich auch im Lokalen nieder. In Berlin-Wedding werden die Boateng-Brüder an einer Brandwand mit metergroßem Bild und dem Spruch: „Gewachsen auf Beton“ geehrt. Jerome Boateng hatte bei der Weltmeisterschaft 2014 in der deutschen Nationalmannschaft gespielt. Sein Vater stammt aus Ghana, Jerome wuchs in Berlin-Charlottenburg auf.

Wie sich nationale Stereotypen in dem Bild widerspiegeln, dass sich die Öffentlichkeit von einzelnen Clubs macht, hat Christopher Young (Universität Cambridge) untersucht. Solche Stereotypen gebe es immer noch meint Young. Das werde dadurch begünstigt, dass im Fußball „ungestraft gehasst und geschmäht“ werden könne. In seinem Buch „Der Lieblingsfeind“ schildert er die komplexen, emotional geprägten Strukturen der Fußballnationen Deutschland, Holland, Österreich und England und kommt zu dem Schluss: „Deutschland ist das Holland Englands.“

Während der Zeit des Nationalsozialismus in Deutschland war auch der Fußball nicht vor faschistischen Übergriffen gefeit. Der Potsdamer Sportwissenschaftler Berno Bahro gelangt zu dem Schluss, dass Turn- und Sportvereine generell recht anfällig für die von den Nazis oktroyierten Strukturen gewesen seien. Der Fußballsport allerdings habe sich recht lange gesträubt, das Führer- und Arier-Prinzip strikt durchzusetzen. Bis 1937 hätten die Vereine Frankfurt und Kaiserslautern auch jüdische Spieler aufgenommen. Erst 1940, als die Nazis eine entsprechende Mustersatzung verabschiedeten, seien Juden auch aus den Fußballvereinen vollständig verdrängt worden. Abseits des erfolgreichen Geschäftsmodells Fußball existiert die hoch emotionale Bindung des einzelnen Fans an „seinen“ Verein. Die geht so weit, dass auf dem Hamburger Hauptfriedhof ein „Sterben in Vereinsfarben“, möglich ist. Der Sarg wird mit den Farben des HSV dekoriert, berichtete der Historiker Hans Joachim Teichler (Uni Potsdam). Die letzte Ruhestätte für die Fans liegt dann in Hörweite zum Stadion.

Richard Rabensaat

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