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Potsdamer Forscher auf EU-Klimagipfel in Paris: Der Wandel

Der Potsdamer Klimaforscher Hans Joachim Schellnhuber vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) reist Ende November als Regierungsberater zum Weltklimagipfel nach Paris. Einen Erfolg des Gipfels hält er für möglich – zumindest ein Minimalergebnis. Das Jahr 2015 sieht er bereits jetzt als Wendepunkt in der weltweiten Klimadebatte.

Herr Schellnhuber, warum könnte der Weltklimagipfel von Paris ein Erfolg werden?

Die Politik will diesmal auf keinen Fall wieder mit leeren Händen vom Klimagipfel zurückkehren. Ich bin relativ zuversichtlich. Unsere Wissenschaftler haben ein Modellierungsinstrument geschaffen, eine Art Politthermometer, das den aktuellen Stand der Klimaschutz-Versprechen der einzelnen Staaten in eine zu erwartende Durchschnittserwärmung in diesem Jahrhundert umsetzt. Indien hat hier beispielsweise zusätzliche 350 Gigawatt als Solar- und Windkraft angekündigt – das ist gigantisch. Die mittlere Erwartung der globalen Erwärmung lag bislang bei 3,6 Grad – also weit entfernt vom Zwei-Grad-Ziel. Nun aber ist unser „Climate Action Tracker“ erstmals auf 2,7 Grad gesunken, es könnten sogar 2,2 Grad werden. Das ist ein deutlicher Qualitätssprung und könnte das Minimalergebnis von Paris werden. Es hängt natürlich davon ab, ob die Maßnahmen tatsächlich umgesetzt werden.

Die Internationale Energieagentur IEA sieht kaum Chancen für eine globale Energiewende. Woher rührt Ihr Optimismus?

Politisch ist noch nicht erreicht, was die Wissenschaft für notwendig hält, um den menschgemachten Klimawandel zu begrenzen. Aber gleichzeitig findet die weltweite Energiedebatte heute niemals mehr statt, ohne die Klimafrage zu stellen. Damit ist schon sehr viel erreicht. 2015 ist vermutlich das Jahr, in dem das alte System gefallen ist. Wir sind bereits am Kipppunkt des industriellen Metabolismus. Überall auf der Welt entstehen Innovationen, die dem Klimaschutz in die Hände spielen. Auch wurde erkannt, dass die Klimaproblematik die derzeitige Fluchtproblematik noch befeuern würde. Ich gehe davon aus, dass Deutschland sein Ziel, bis 2020 den Ausstoß von Treibhausgasen um mindestens 40 Prozent gegenüber 1990 zu senken, erreichen wird. Dafür müssen wir ans Eingemachte gehen, also an die Braunkohle. Damit wird ein Systemwechsel initiiert.

Woher kommt die Dynamik?

Nach der Pleite von Kopenhagen hat sich das multilaterale System aus der Asche erhoben, um in Paris möglicherweise doch noch etwas Vernünftiges zu erreichen. Der aktuelle Wandel hat aber vor allem etwas mit Bewegungen zu tun, die aus der Zivilgesellschaft selbst kommen. Solche Unterströmungen und Aufwallungen sind die grundlegende Voraussetzung dafür, dass die Politik ihre Hausaufgaben macht. Es braucht diesen gesellschaftlichen Wellengang, auf dem dann die Politik gleiten kann. Dies war der eigentliche Taktgeber in den vergangenen Jahren.

Was hat sich konkret geändert?

Die Lage wäre völlig anders, wenn der Papst nicht eine Enzyklika zum Klima geschrieben hätte, ohne die Divestment-Bewegung, die den Ausstieg aus unökologischen Aktien und Fonds propagiert, ohne den Klima-Marsch in New York City. Diese Bewegungen verändern das gesellschaftliche Klima, in dem das physikalische Klima geschützt werden könnte. Das hat auf eine unterschwellige Weise auch einen Eingang in das allgemeine Bewusstsein genommen. Kohle beispielsweise ist völlig out – nur drei Prozent der Bevölkerung hält laut einer Umfrage den Einsatz der Kohle zur Deckung des Primärenergiebedarfs für richtig. Man sollte die Kraft von moralischen Symbolen nicht unterschätzen: Hätte es in den 1970er-Jahren keine Anti-Atomkraftbewegung in Deutschland gegeben, wäre der Atomausstieg nach Fukushima undenkbar gewesen.

Inwiefern moralisch?

Nun, wir müssen über Werte und nicht über Preise reden, wenn uns eine lebenswerte Umwelt kostbar ist. Die Klimadebatte verlagert sich immer mehr zu Fragen der Gerechtigkeit zwischen Generationen, den Lebenschancen von Reich und Arm, den Disparitäten zwischen Nord und Süd. Insbesondere ist es schlicht amoralisch, wenn diejenigen, welche die Erderwärmung nicht verursacht haben, die schlimmsten Folgen zu ertragen haben.

Sind also ökonomische Instrumente wie der Emissionshandel überflüssig?

Nein, wenn er funktionieren würde, wäre er nach wie vor das Mittel der Wahl. Wenn man wüsste, dass das Volumen an erlaubtem Treibhausgasausstoß jedes Jahr sinkt, würden auch keine neuen Braunkohlekraftwerke mehr gebaut. Das würde sich einfach nicht mehr rechnen.

Seit 1998 hatte die globale Erwärmung eine Pause gemacht

was einfach nicht stimmt. Es gibt das viel beschworene Plateau nicht. Wenn man die Entwicklung bis zum Jahr 2015 betrachtet, das wie schon 2014 das wärmste Jahr seit Aufzeichnungsbeginn werden dürfte, zeigt der Trend auch in den vergangenen zwei Jahrzehnten klar nach oben. Es ist zudem möglich, dass die Meeresanomalie El Niño in diesem Jahr die stärkste seit Menschengedenken wird. Wie wir bereits 2013 prognostiziert haben, kommt das Phänomen diesmal mit einer ganz langen Vorwelle und entwickelt sich jetzt erst richtig. In El-Niño- Jahren gibt der Ozean immer mehr Wärme ab, als er aufnimmt. Das schlägt jetzt durch, in Südostasien gibt es bereits verheerende Waldbrände.

Reicht die Begrenzung der durchschnittlichen Erwärmung auf zwei Grad aus?

Um das Klima zu stabilisieren, sollte der „Cordon Sanitaire“ zwischen 1,5 und zwei Grad liegen. Dazu muss man wissen, dass zwei Grad Erwärmung bereits sehr riskant sind. 1,5 Grad hingegen dürften ökonomisch äußerst schwierig zu erreichen sein. Allerdings muss man auch den Zeitrahmen sehen: Eine Überschreitung der Zwei-Grad-Linie für ein oder zwei Jahrzehnte muss nicht das Ende der Welt bedeuten. Es geht um die längerfristige Obergrenze. Wenn wir für Jahrhunderte über zwei Grad bleiben würden, dann kämen nichtlineare Prozesse im Erdsystem in Gang, die nicht mehr gestoppt werden können. Diese Frage wird heiß diskutiert werden in Paris, denn für die Inselstaaten sind zwei Grad bereits zu viel, dann stehen sie unter Wasser.

Warum sind zwei Grad außerdem riskant?

Weil dabei beispielsweise die Korallenriffe weltweit absterben dürften. Es gibt Kippelemente im Erdsystem, die bereits bei dieser Erwärmung instabil werden. Auch der irreversible Abschmelzprozess Grönlands kann bereits im Bereich von zwei Grad einsetzen. Über vier Grad wird es für den Golfstrom gefährlich. Und im Bereich von sechs bis acht Grad liegt dann das Abschmelzen der Antarktis. Das ist die beste Begründung dafür, warum es eine sehr schlechte Idee wäre, über zwei Grad Erwärmung hinauszugehen.

Was weiß die Forschung heute über den zu erwartenden Anstieg des Meeresspiegels?

Hier gibt es eine verblüffende Konstante. Untersuchungen des PIK und anderer Institute haben gezeigt, dass der Meeresspiegel im Bereich zwischen ein bis knapp drei Grad Erwärmung in der Erdgeschichte immer um ungefähr sechs Meter angestiegen ist. Langfristig gibt es offenbar eine Systemdynamik, bei der diese mindestens sechs Meter im genannten Temperaturbereich aus den Gletschern abgeschmolzen werden. Wenn wir in den Bereich von zwei Grad vorstoßen sollten, muss also langfristig mit um wenigstens sechs Meter erhöhten Wasserständen gerechnet werden. Wenn das ein langfristiger Prozess über Jahrtausende ist, wird man die Küsteninfrastrukturen zurückbauen können, viele Inselstaaten müssen dann aber evakuiert werden. Die Malediven wird es beispielsweise nicht mehr geben. Bei ungebremster Erderwärmung sind sogar bis zu 50 Meter Meeresspiegelanstieg möglich.

Was passiert zurzeit in der Antarktis?

Wir gehen davon aus, dass in der Westantarktis bereits klimatische Kipppunkte überschritten sind, also ein unumkehrbares Abschmelzen angestoßen wurde. Interessant ist nun, was in der Ostantarktis passiert. Hier liegen Eispfropfen vor Bassins, in denen große Eismassen zurückgehalten werden. Wenn die Blockaden durch die Erwärmung aufgelöst werden, wird sich das Eis in den Ozean ergießen. In einzelnen Bereichen würde das den Meeresspiegel um drei bis vier Meter erhöhen. So weit ist es zum Glück noch nicht. Aber das ist sozusagen die Achillesferse das ostantarktischen Eisschildes.

Und der Worst Case?

Mehrere Forscher haben unabhängig voneinander durchgespielt, was passiert, wenn wir alle fossilen Energiereserven aufbrauchen. Mit dem Ergebnis, dass die gesamte Antarktis abschmilzt und der Meeresspiegel insgesamt um viele Dutzend Meter ansteigt. Das wäre ein langfristiger Prozess, der aber nicht mehr aufhaltbar wäre.

Sie haben kürzlich behauptet, dass sogar die nächste Eiszeit durch den vom Mensch verursachten Klimawandel ausfallen könnte. Ist das nicht übertrieben?

Es geht darum, dass der Mensch mittlerweile ein Faktor geworden ist, der die Geologie ändern kann. Wir haben anhand von Sonneneinstrahlung und CO2- Gehalt der Atmosphäre die Vereisungen der letzten 800 000 Jahre rekonstruiert. Wenn wir nun in die Zukunft gehen, würde ohne die zusätzlich vom Mensch verursachten CO2-Emissionen in rund 50 000 Jahren die nächste Eiszeit beginnen. Wir haben aber heute bereits 500 Gigatonnen Kohlenstoff zusätzlich in die Atmosphäre eingebracht. Das reicht nach unserer Modellrechnung bereits aus, um die Vereisung aufzuhalten. Bei einer Zwei-Grad-Erwärmung werden wir sogar weit über den kritischen Punkt hinausgehen. Wir können in der Tat Eiszeiten unterdrücken, vermutlich haben wir es bereits getan.

Sie haben Ihr gerade erschienenes Buch „Selbstverbrennung“ genannt. Wieso dieser drastische Titel?

Lassen Sie es mich anhand der Bevölkerungsprognose erklären: Die aktuellen Migrationswellen durch Kriege und Unruhen und zerfallende Staaten im Mittleren Osten sind nur die Spitze des Eisberges. Die neuesten Projektionen der UN zur Bevölkerungsentwicklung auf der Erde zeigen in diesem Jahrhundert einen Anstieg der Weltbevölkerung auf bis zu elf Milliarden Menschen. Die größte Dynamik dürfte dabei Afrika entfalten. 1950 hatte der Kontinent 200 Millionen Einwohner, heute gibt es rund eine Milliarde Menschen, erwartet werden dort bis 2100 vier Milliarden Menschen. Es ist völlig unvorstellbar, wie auf diesem Kontinent so viele Menschen ernährt werden können. Das ist das eigentliche Problem, nicht die syrische Krise. Wenn wir dazu noch die extrem ungleiche Verteilung der Einkommen nehmen und den Klimawandel darüber legen, dann wird vielleicht verständlich, wieso ich das Buch „Selbstverbrennung“ genannt habe.

Der Klimawandel korrespondiert also mit entwicklungspolitischen Krisen?

Er wird durch Wasserstress und Ressourcenmangel zu einem Verstärker von bestehenden Konflikten. Wenn es in der Gesellschaft bereits Bruchstellen gab, durch ethnische Konflikte wie beispielsweise in Ruanda, und dann noch eine Wasserkrise hinzukommt, dann bricht die Gesellschaft an diesen Linien auseinander.

Am Äquator dürfte es extrem heiß werden. Wo liegt für den Menschen die Grenze?

Auch das haben wir untersucht: In einer jüngsten Studie für die Golfstaaten wurde berechnet, dass ohne weiteren globalen Klimaschutz dort die Temperatur so hoch ansteigen wird, dass eine Existenz im Freien unmöglich wird. Die Temperatur könnte dann bis auf 60 Grad im Schatten steigen. Es ist eine gewisse Ironie der Geschichte, dass dies gerade in den Staaten passiert, die vom Geschäft mit fossilen Energieträgern am besten leben. In Abu Dhabi gibt es wegen der Hitze bereits heute eine Welt im Untergrund. Doch darin zu leben, wird in den betroffenen Regionen nicht für jeden möglich sein.

Kann nicht Geo-Engineering aus der Klimafalle helfen? Zum Beispiel kann CO2 der Atmosphäre entzogen werden.

Wir haben untersucht, ob dieses Wiedereinfangen von CO2 das Versprechen hält, die Ozeanversauerung umzukehren. In einer Serie von Arbeiten hat sich leider gezeigt, dass das nicht der Fall ist. Nach 500 Jahren wäre bei einer massiven Intervention mit einer Rücknahme von fünf Gigatonnen Kohlenstoff der Effekt quasi bei null. Wenn man 25 Gigatonnen der Atmosphäre entziehen und unterirdisch speichern würde, erhielte man einen gewissen positiven Effekt – aber gleichzeitig würde der Ozean in zwei Teile gespalten. Der obere Teil würde alkalisch, hätte dann also einen höheren pH-Wert als zuvor und der untere Teil verbliebe sauer. Das wäre die schlechteste aller Lösungen! Fakt ist, dass man den Ozean nicht schnell wieder reparieren kann, weil die Austausch- und Umwälzprozesse im Meer rund 1000 Jahre dauern. Die Atmosphäre könnte man relativ schnell auf vorindustrielles Niveau bringen, die Weltmeere nicht. Das ist die Eisenkugel an unserem Fuß, die wir immer mitschleppen müssen.

Das Interview führte Jan Kixmüller

Hans Joachim Schellnhuber (65) ist Gründungsdirektor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK). Er wird als Mitglied der deutschen Delegation am Klimagipfel in Paris (30.11.–11.12) teilnehmen; die UN-Konferenz soll trotz der Terroranschläge von Paris stattfinden. Schellnhuber wird als Experte Stellung nehmen, etwa wenn es um Abschätzungen von Folgen klimapolitischer Maßnahmen gehen wird. Schellnhuber zählt weltweit zu den renommiertesten Klimaexperten. Seine Arbeitsschwerpunkte sind die Klimafolgenforschung und die Erdsystemanalyse. Als einer der Ersten forderte Schellnhuber nachhaltige Lösungen des Klimaproblems und prägte die internationale politische Diskussion hierzu entscheidend. Unter anderem brachte er das Konzept der Kippelemente in die Klimaforschung ein und forderte zeitnahe politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Maßnahmen zur Erreichung des Zwei-Grad-Ziels, vor allem durch die Umstellung von fossilen auf erneuerbare Energiequellen. 

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