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Potsdamer Experte zur Energiewende: „Eigene Energie ist für viele einfach sexy“

Der Umweltwissenschaftler Sebastian Helgenberger aus Potsdam sieht die Energiewende in Deutschland bereits jetzt als einen Erfolg. Bei den erneurbaren Energien sei ein beachtlicher Fortschritt zu verzeichnen, sagte er im PNN-Interview.

Herr Helgenberger, meine Frau meint, es sei übertrieben, wenn ich unbenötigte Lampen ausmache, um Energie zu sparen. Hat sie recht?

Wenn wir über Energie sprechen, sollten wir erst einmal über die beeindruckende Entwicklung der erneuerbaren Energien in Deutschland sprechen: Der Strommix, der das Licht in ihrem Zimmer zum Leuchten bringt, besteht im Jahr 2015 zu fast 30 Prozent aus erneuerbarer Energie, insbesondere Windkraft, Sonnenenergie und Biomasse. Wer hätte das gedacht? Im Jahr 2000 waren es gerade einmal sechs Prozent. Der Anteil steigt beständig und übertrifft alle Erwartungen. In diesem Juli lag der Anteil der Erneuerbaren an der Stromproduktion sogar bei fast 40 Prozent. Wir sollten uns vor Augen führen, dass unser Strommix vor gerade einmal zehn Jahren aus fast 80 Prozent Atom- und Kohlestrom bestand. Heute ist unsere Energie viel sauberer geworden.

Kann ich also das Licht anlassen?

Der Anteil fossiler und klimaschädlicher Energie in Deutschland nimmt kontinuierlich ab, ist aber immer noch erheblich. Die Verringerung unseres Energieverbrauchs und damit des Ausstoßes klimaschädlicher Treibhausgase durch eine Steigerung der Energieeffizienz ist ein Standbein des Klimaschutzes in Deutschland. Dazu zählen Gebäudeisolierung und stromsparende Geräte ebenso wie stromsparendes Verhalten. Wir können es uns nicht leisten, Energie zu verschwenden. Dabei kann jeder mithelfen.

Erneuerbare Energien sind aber nicht grundlastfähig, an Tagen ohne Wind und Sonne könnte es kritisch werden.

Ein steigender Anteil an erneuerbaren Energien wird das Stromsystem grundsätzlich verändern. Trotz des jetzt schon hohen Anteils grünen Stroms können selbst schnelle Änderungen im Energieinput ausgeglichen werden, wie sich etwa bei der Sonnenfinsternis im März gezeigt hat. Mittlerweile steckt da auch großes technisches Know-how dahinter. Die Netzbetreiber haben ihre Technik im Griff. Bislang stoßen wir noch nicht an Grenzen. Für einen geplanten hohen Anteil Erneuerbarer von über 50 Prozent des Bruttostromverbrauchs im Jahr 2030 sind aber noch einige Aufgaben zu lösen. In Zukunft werden dabei sicher auch neue Speichertechnologien – Stichwort „Power to Gas“ und neue Batteriespeicher – eine wichtigere Rolle spielen, um Energie für Zeiten mit weniger Sonne oder Wind zurückzuhalten.

Warum geht uns die Energiewende alle an?

Die Energiewende ist eines der größten Gesellschaftsprojekte, die wir jemals in Deutschland hatten. In relativ kurzer Zeit aus der Atomkraft auszusteigen und trotzdem die wichtigen Klimaziele zu erreichen, ist eine immense gesellschaftliche Anstrengung. Bislang sind wir dabei auf einem sehr guten Weg. Die Energiewende geht wirklich jeden an und die Bürger haben überzeugend gezeigt, dass sie plötzlich selbst zu Stromerzeugern werden können, persönlich oder in Genossenschaften. Ich bin optimistisch, dass die Lernkurve in Zukunft weiter nach oben zeigen wird. Ich möchte die Aufgaben nicht kleinreden, bin allerdings überzeugt, dass wir sie lösen werden.

Kann der Einzelne zur Energiewende überhaupt etwas beitragen?

Die Energiewende ist ein großes Gemeinschaftsprojekt von uns allen. Es wurde nicht durch den Staat initiiert, sondern durch viele aktive Menschen in der Gesellschaft – mit dem Ziel des Atomausstiegs, mit der Vision von erneuerbarer Energie unabhängig von Öl, Kohle und Gas. Das Potenzial der Erneuerbaren hat selbst die größten Optimisten überrascht – die Erwartungen bei Weitem übertroffen. Heute sind dazu fast 50 Prozent der erneuerbaren Energien in Hand von Bürgern, über die eigene Photovoltaikanlage auf dem Dach, Energiegenossenschaften und Verbünde, in Form von Bürgerwindparks und privaten Beteiligungen an Wind- und Solaranlagen – durch die Bürgerinnen und Bürger, nicht durch große Energiekonzerne finanziert. Das ist auch ein Aspekt, bei dem die Welt beeindruckt auf Deutschland schaut. Viele wollen wissen, wie wir es geschafft haben, einen so großen Rückhalt in der Bevölkerung für die Energiewende zu erreichen und wie wir es geschafft haben, dass die Energiewende ein Gemeinschaftswerk wurde.

Und wie haben wir das geschafft?

Ich denke, die große finanzielle Teilhabe der Bürger an dem Vorhaben – dass die Bürger dadurch auch selbst von dem Projekt profitieren – das ist ein entscheidender Punkt. Zudem sind sich viele der Verantwortung bewusst, unseren Kindern ein lebenswertes Weltklima zu hinterlassen. Und die eigene Energie produzieren zu können und Computer, MP3-Player und in Zukunft vielleicht das Auto mit eigener Energie zu beliefern ist für viele einfach sexy.

Deutschland ist also Vorreiter?

Viele Länder schauen ganz genau hin, was bei uns gerade geschieht. Viele schauen interessiert, manche auch skeptisch. Bislang können wir zeigen, dass ein sehr schneller Wechsel zu erneuerbaren Energien beim gleichzeitigen Atomausstieg möglich ist. Dass dies auch die Wirtschaftskraft des Landes und die Versorgungssicherheit nicht gefährdet. Das muss uns bewusst sein, dass wir ein Vorbild sind.

Inwiefern?

Deutschland hat durch seine Investitionen in die erneuerbare Energien einen wesentlichen Beitrag geleistet, Wind- und Sonnenenergie wettbewerbsfähig zu machen. Damit haben wir auch weltweit einen Zugang zu diesen Energiequellen ermöglicht. Wohlstand kann sich damit in vielen Teilen der Welt nun auch unabhängig von fossilen Energiequellen entwickeln. An dieser Entwicklung und den zunehmend günstigen Preisen für Wind- und Sonnenkraft haben unsere gesellschaftlichen Investitionen in erneuerbare Energien einen hohen Anteil. Damit haben wir auch international Verantwortung übernommen.

Sie sagen, die Energiewende ist ein Erfolg. Gerade wurde in Brandenburg ein Pilotprojekt zur solaren Lärmschutzwand an der A10 seitens des Landes abgesagt.

Das Projekt der solaren Lärmschutzwand ist ein Beispiel für langjähriges Bürgerengagement, das die Energiewende in Deutschland mit Leben füllt. Es ist auch ein Beispiel dafür, warum für innovative Umwelttechnologien trotz der sehr günstigen Kostenentwicklung bei Photovoltaik mitunter noch Innovationsanreize notwendig sind. Das Pilotprojekt scheint an der geplanten Refinanzierung durch die Einnahmen des Solarstroms aufgrund mit einer für das Land Brandenburg wirtschaftlich unrentablen Einspeisevergütung gescheitert zu sein. Solche Pilotprojekte öffnen uns den Blick für die Möglichkeiten, die die neue Energiewelt uns bietet. In den Niederlanden wurde beispielsweise gerade eine Fahrradstraße mit Solarzellen gepflastert und produziert nun Energie.

Energiewende bedeutet auch Einschränkungen: auf das Auto oder Flüge zu verzichten, wird aber nicht jedem leicht fallen.

Bei der Energiewende sprechen wir oft lediglich von der Stromwende, also dem Umstieg von Kohle- und Atomstrom auf Sonne und Windenergie. Eine wesentliche Aufgabe der Zukunft wird es aber sein, weitere Sektoren wie den Transport und die Wärmeversorgung stärker anzugehen, durch einen verstärkten Einsatz erneuerbarer Energieträger in diesen Bereichen und einer Verringerung des Energieverbrauchs. Was bedeutet die Energiewende für den internationalen Flugverkehr? Das ist nur eine der wichtigen Frage, die wir angehen sollten.

Das große Sprit fressende SUV bleibt weiter das Statussymbol. Wann werden die Elektroautos reizvoll genug sein, um diese Rolle zu übernehmen?

In Ländern wie Norwegen gibt es klare staatliche Anreize für Elektromobilität, Elektroautos sind dort günstiger als Benziner, damit ist der Anteil dort auch höher. Der Umstieg auf Elektromobilität in Deutschland benötigt Anreize und Ideen. Ob die aus der heimischen Automobilindustrie kommen werden, ist noch offen. Die großen Energieversorger haben die Energiewende verschlafen, schauen wir ob die Planer in Wolfsburg, Stuttgart, Ingolstadt und München wachere Augen haben. Interessant ist, was die Googles und Apples dieser Welt machen. Auch hier wird der Einstieg in die Autoindustrie konkreter. Und zwar mit Elektroautos. Wenn von dort neue attraktive Angebote kommen, wird das insbesondere für die jüngere Generation sicher ein Anreiz für den Einstieg in die Elektromobilität sein.

Können Sie die Sorge vieler Menschen, dass die Energiepreise durch die Energiewende steigen, entkräften?

Sonne und Wind gibt es frei Haus. Im Gegensatz zu Kohle, Erdgas und Öl, die teuer gefördert und mitunter über große Strecken transportiert werden müssen, sind Sonnenenergie und Windkraft von ihrem Energieinput her kostenlos. Insofern sind die Erneuerbaren im laufenden Betrieb sehr günstig und haben die Großhandelspreise für Strom in Deutschland auch stark gedrückt. Erneuerbare Energien sind in wenigen Jahren deutlich leistungsfähiger und günstiger geworden. Die Entwicklungskosten werden mit der Erneuerbaren-Energien-Umlage auf uns alle verteilt. Für die Industriekunden, die von der Umlage befreit sind, haben sich die Kosten natürlich ungleich günstiger entwickelt. Das kann man ungerecht finden. In jedem Fall haben diese Zusatzkosten die ganze Entwicklung erst ermöglicht. Wir haben damit diese Technologien für uns selbst und die ganze Welt sehr günstig gemacht.

Biogas ist derzeit aber teurer als Erdgas.

Von welchen Kosten sprechen wir eigentlich? Von den unmittelbaren Preisen der Kilowattstunden oder von den Umweltkosten und gesellschaftlichen Folgekosten, die durch die Förderung und Nutzung fossiler Energien entstehen – Stichwort Klimawandel, die Ölkatastrophe im Golf von Mexico oder verlorene Dörfer im Braunkohlentagebau. Diese Kosten fallen vor allem für unsere Kinder und deren Kinder an. Wir sollten sie davor bewahren und haben die Mittel dazu in der Hand.

Warum wird uns die Energiewende denn am Ende gelingen?

Es gibt einen gleichbleibend sehr hohen Anteil der deutschen Bevölkerung, der die Energiewende für eine richtig gute Idee halten. Die Energiewende ist ein Gemeinschaftswerk und wird von uns allen getragen, auch finanziell. Das ist der Erfolgsfaktor für das Vorhaben. Insofern bin ich überzeugt, dass sie uns gelingen wird. Die beeindruckende technologische Entwicklung, die stetig sinkenden Kosten, das internationale Interesse und der gesellschaftliche Rückhalt werden dazu beitragen.

Das Gespräch führte Jan Kixmüller

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ZUR PERSON: Sebastian Helgenberger (37) leitet am Potsdamer Nachhaltigkeitsinstitut IASS die Plattform Energiewende (Transdisciplinary Panel on Energy Change, TPEC). Sie unterstützt den Dialog zwischen Wissenschaft, Politik und Gesellschaft  zur Energiewende in Deutschland und thematisiert die internationale Rolle der Energiewende über die Grenzen Deutschlands hinaus. Helgenberger studierte Umweltwissenschaften an der Universität Lüneburg, verfasste seine Diplomarbeit zur Gesellschaftlichen Wirkung transdisziplinärer Forschungskooperationen an der ETH Zürich und promovierte in Sozio-Ökonomie an der BOKU Wien.

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