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Potsdamer Ernährungsexperte warnt vor Fruchtzucker: „Eine mittlere Katastrophe“

Der Potsdamer Ernährungsforscher Andreas F. H. Pfeiffer spricht im PNN-Interview über die Risiken durch Fruktose-Glukose-Sirup in Lebensmitteln, die Negativbilanz von herkömmlichem Zucker und eine Überdosis Obst.

Herr Pfeiffer, Limonade, Marmelade, ja sogar Lebkuchen wird heute mit Fruktose-Glukose-Sirup gesüßt. Warum nicht mehr mit herkömmlichem Zucker?

Dieser Sirup wird vorwiegend aus Mais hergestellt und ist einfach viel günstiger als herkömmlicher Zucker. In der Lösung sind Fruktose und Glukose als freie Moleküle enthalten. Der Fruktose-Anteil liegt bei rund 50 bis 70 Prozent. Fruktose ist etwas süßer als der herkömmliche Zucker, der hauptsächlich aus Saccharose besteht. Der stärkere Süßungseffekt ist bei der Industrie beliebt.

Zucker hat keinen guten Ruf. Fruktose-Glukose-Sirup soll aber noch schlechter für die Gesundheit sein.

Für jemanden der gesund, schlank und körperlich aktiv ist, ist eine moderate Menge Zucker kein Thema, auch Fruktose nicht. Sobald die Menge aber größer wird, wird es ein Thema. Der herkömmliche Zucker aus Saccharose besteht aus Doppelmolekülen von Glukose und Fruktose. In dem Sirup sind sie hingegen als einzelne Moleküle enthalten. Zusammen mit dem höheren Anteil an Fruktose ist das für den Stoffwechsel ungünstig.

Inwiefern?

Glukose und Fruktose haben unterschiedliche Eigenschaften und addieren sich in ihren negativen Auswirkungen. Glukose wird ganz weit oben im Dünndarm sehr schnell aufgenommen. Das ist sehr ungünstig, es erzeugt eine sehr schnelle Ausschüttung von Insulin. Bei Zuckeraufnahme wird im Dünndarm vor allem das Darmhormon GIP – Glukoseabhängiges insulinotropes Peptid – aktiviert. Und das ist gar nicht gut.

Was wird dadurch ausgelöst?

Das Peptid sorgt dafür, dass man schnell fett wird. In der Evolution war es so, dass in den seltenen Fällen, in denen es gute, schnell verfügbare Nahrung gab, der Körper sehr schnell Fett speichern musste. Dafür sorgten bestimmte Gene, die früher einmal bei schlechter Ernährungslage nötig waren. Das schlägt heute zurück, die große Menge schnell verfügbarer Energie in der Nahrung wird bei den meisten Menschen komplett als Fett eingelagert. Der Zucker führt bei unserer Gen-Ausstattung zu dieser schnellen Energiespeicherung.

Man wird also dicker.

Nicht nur. Besonders gefährlich ist, dass diese schnelle Zuckeraufnahme eine Fettleber erzeugt. Viel Zucker wird vor allem in der Leber zu Fett umgesetzt, das dort auch direkt gespeichert wird. Eine Fettleber ist der Beginn einer ganz erheblichen Stoffwechselstörung. Der Diabetes beginnt mit einer erhöhten Zuckerproduktion der Leber.

Fruktose ist Fruchtzucker, das klingt doch erst einmal sehr gesund.

Im Gegenteil. Die Fruktose ist die gefährlichste Form aller Zuckerarten. Sie wird ebenfalls im Dünndarm absorbiert und kann dann nicht direkt im Stoffwechsel genutzt werden. Sie muss in der Leber verarbeitet werden. Entweder wird hier auch Fett daraus oder sie wird in Glukose umgewandelt. Die Fruktose hat die Eigenschaft, direkt in der Leber Stress auszulösen, weil sie sehr schnell verstoffwechselt wird. Dadurch fällt der Energievorrat in der Leber schnell ab, wodurch Harnsäure produziert wird. Und das ist ein sehr negatives Signal für den Stoffwechsel. Der Mensch kann Harnsäure nicht schnell abbauen, die Säure wiederum fördert die Fettspeicherung und die Fettleber.

Dann ist Obst also ungesund?

Das ist eine Frage der Menge. Mit rund 30 Gramm Fruchtzucker am Tag kann der Mensch gut umgehen.

Ich habe gerade eine Banane, einen Apfel und zwei Nektarinen gegessen – ist das unbedenklich?

Rechnen wir doch mal nach: Bei einem Apfel kommen Sie auf rund 20 Gramm Zucker, die Mandarine bringt jeweils noch mal rund sechs Gramm, die Banane zehn bis 20 Gramm – unterm Strich sind Sie damit also schon über der Grenze.

Oha!

Man isst aber üblicherweise auch keine sehr große Menge Obst. Der Sättigungsgrad ist hoch und zu viel schmeckt auch nicht. Das Obst ist nicht das Problem.

Sondern?

Die Zuckermengen, die wir zu uns nehmen, ohne es zu merken. Eine der Hauptquellen ist der Fruchtsaft mit einem sehr hohen Zuckeranteil. Das sollte man nicht zum Durstlöschen trinken. Bei einem halben Liter sind sie schnell über 50 Gramm. Man denkt, dass Saft wegen der Vitamine gesund ist, vergisst dabei aber oft den Fruchtzucker.

Dann doch besser Erfrischungsgetränke mit Glukose-Fruktose-Sirup?

Bloß nicht! Die sind eine mittlere Katastrophe. Bei diesen Getränken kommt hinzu, dass sie oft auch noch sehr günstig angeboten werden. Wir wissen heute, dass sie zur kindlichen Adipositas, also Fettsucht, beitragen können. Ein Hauptproblem ist die Energiemenge. Und Kinder sind viel kleiner als Erwachsene, sie kommen sehr schnell auf die Menge, ab der es kritisch wird. Diese Getränke sind ein durchaus problematisches Nahrungsmittel.

Ist es also besser, wenn die Getränke ausschließlich mit Zucker gesüßt sind?

Beides ist schlecht. Aber ein höherer Fruktose-Anteil ist noch schlechter.

Also dann besser Bio-Limo, die mit Rohrzucker gesüßt ist?

Nein, der bräunliche Zucker ist in keiner Weise gesünder als der Weiße. Er ist nur nicht gebleicht. Die Zusammensetzung ist mit dem anderen Zucker ist identisch.

Heute gibt es Getränke, die mit Stevia gesüßt sind.

Stevia ist einer von neun verschiedenen Süßstoffen. Er löst das Problem aber offensichtlich nicht, wie Studien zeigen. Die Mischung von Zucker und Süßstoff löst sogar eine noch stärkere Insulinsekretion aus. Mit Süßstoff und Zucker gesüßte Getränke verführen zudem dazu, mehr davon zu trinken. Allerdings ist Süßstoff nicht so schlecht wie sein Ruf. Die Schädlichkeit ist bis heute nicht nachgewiesen.

Dem Mensch schmeckt Zucker besonders gut zusammen mit Fett.

Diese Kombination ist äußerst ungünstig. Das Fett hat eine sehr hohe Energiedichte. Wenn man dazu Zucker zu sich nimmt, dann lagert man das Fett direkt ein. Bei einer moderaten Stoffwechselstörung kann das bereits einen erheblichen Anstieg der Fettsäuren im Blut geben – und sehr schnell eine Fettleber. Hinzu kommt der negative Effekt von Zucker, der die Fettspeicherung und Fettsynthese in der Leber fördert.

Wie gefährlich ist das Fett?

Wenn das Fett ordentlich im Fettgewebe gespeichert wird, ist es weniger ein Problem – das ist dann eine gesunde Dickleibigkeit. Wenn aber die Kapazität der Fettspeicherung überschritten wird, landet das Fett in der Leber, der Muskulatur und den Blutgefäßen – und das ist natürlich sehr ungünstig. Die Mischung von Fruktose und Fett, wie sie beispielsweise in Süßigkeiten oft vorkommt, fördert diesen Prozess.

Steigen deswegen bei Kindern heute die Fälle von Adipositas und Diabetes?

Wir essen einfach zu viel. Dahinter steckt ein komplexes Zusammenspiel von mangelnder Bewegung, der hohen Verfügbarkeit von Nahrung und auch der Verführung durch Nahrungsmittel. Bei einem sehr schlanken Kind würde ich mir keine Gedanken machen. Wenn sich aber bereits ein Ansatz zum Dickerwerden zeigt, dann sollte man auf die Bremse treten. Denn wenn ein Kind erst einmal dick ist, ist die Chance, dass es dick bleibt, relativ hoch. Wenn man mit 20 Jahren bereits Diabetes bekommt, hat man mit 40 Jahren Komplikationen. Die Risiken für Arteriosklerose, Herzinfarkt, Schlaganfall, Diabetes und Krebs gehen massiv hoch, wenn man in frühen Jahren bereits Adipositas hat.

Also besser auf die Zuckermenge in Lebensmitteln achten?

Absolut. Zucker ist in einer Unmenge von Lebensmitteln enthalten, beispielsweise auch in Fruchtjogurts, die als gesund gelten. Offiziell wird empfohlen, nicht mehr als 50 Gramm Zucker am Tag zu essen. Die Weltgesundheitsorganisation WHO will das nun auf 25 Gramm halbieren, was aber recht unrealistisch ist. Dennoch würde ich grundsätzlich Zucker weitgehend weglassen.

Weihnachten steht vor der Tür. Plätzchen, Knödel, Wein, Dominosteine und Stollen – kann das gut gehen?

Man sollte das wohl dosieren, sonst ist das eine enorme Menge an Kalorien in sehr ungesunder Form. Bei solch einer Ernährung kann sich das Leberfett in wenigen Tagen verdoppeln. Nach einem Tag Hunger, geht das aber auch wieder zurück. Der Mensch ist so gemacht, dass er schnell viel essen und dann wieder hungern kann. Eine kurze Fastenzeit nach Weihnachten macht also Sinn.

Das Gespräch führte Jan Kixmüller

ZUR PERSON: Andreas F. H. Pfeiffer (63) ist Professor für Innere Medizin (FU Berlin) und leitet die Abteilung Klinische Ernährung am Deutschen Institut für Ernährungsforschung (DIfE) in Bergholz-Rehbrücke.

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