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Die Aloe Pembana auf der Insel Pemba.

© Michael Burkart

Potsdamer Botaniker entdeckt seltene Pflanze: Rettung in letzter Minute

Ein Botaniker der Uni Potsdam rettet auf einer Insel im Indischen Ozean letzte Exemplare einer seltenen Aloen-Art vor dem Aussterben. Die Pflanze hat offenbar heilende Wirkung.

Potsdam - Michael Burkart muss ganz auf den Boden gehen. Er blickt unter die Abdeckung eines Kastenbeets auf dem Betriebsgelände des Botanischen Gartens. Unter dem Glas lugen kleine spitz zulaufenden Blätter mit winzigen Stacheln am Rand hervor, wie die Miniatur einer Agave schaut das Pflänzlein aus. Unscheinbar, jeder Laie würde sagen, dass dies sicherlich eine Aloe vera ist, wie man sie aus der Kosmetikindustrie kennt. Doch es ist eine Aloe pembana, eine vor 20 Jahren von einem Briten erstmals beschriebene Pflanzenart der Gattung Aloe. Sie kommt nur auf der Insel Pemba vor, der Küste Tansanias vorgelagert, rund 50 Kilometer von der Hauptinsel Sansibar im Indischen Ozean entfernt.

Wertvolles Mitbringsel aus den Tropen

Für Michael Burkart, Kustos des Botanischen Gartens der Universität Potsdam, ist die kleine Aloe ein Mitbringsel von unschätzbarem Wert. Vor zwei Jahren war er mit einer Delegation der Stadt Potsdam auf Sansibar, wo sich Potsdams Partnerstadt mit gleichlautendem Namen befindet. Die Einladung der Stadt zu der Fahrt war für ihn der Türöffner. Er wusste bereits, dass es dort die sehr seltene Aloe gibt – und einen alten verfallenen Botanischen Garten, beides mehr oder weniger in schützenswertem Zustand.

Michael Burkart ist ein Idealist: ihm geht es weniger darum, eine unbekannte Gattung zu entdecken, die dann nach ihm benannt wird. Nein, was ihn umtreibt ist der Schutz von Pflanzen die selten geworden sind. „Eine seltene, bereits bekannte Pflanze vor dem Aussterben zu bewahren, das ist hier mein Ziel“, sagt der Biologe.

Der Botaniker war alarmiert

Mit zwei afrikanischen Wissenschaftlern war Burkart während des Sansibar-Besuchs nach Pemba gefahren, um dort nach der Aloe zu suchen. Nach Hinweisen in der Literatur fanden sie schließlich auf einer kleinen vorgelagerten Insel ein Vorkommen mit rund 30 Pflanzen, ein zweiter Fundort erwies sich auf den ersten Blick als hinfällig. Burkart war alarmiert: „Da war nicht mehr viel übrig.“ Ein so geringes Vorkommen ließ darauf schließen, dass die Aloe pembana am weltweit einzigen Ort ihres Vorkommens akut vom Aussterben bedroht ist. Und nicht nur das: abgeschnittene Blätter ließen auch darauf schließen, dass die Pflanze von den Einheimischen abgeerntet wird. Und so stellte sich dann auch heraus, dass die Bewohner der Insel einen Auszug der Blätter gegen starke Durchfallerkrankungen einnehmen – mit offenbar großem Erfolg. Offensichtlich ist die pembana also eine potente Heilpflanze. Ein Grund mehr für Burkart, die wenigen übrig gebliebenen Pflanzen der Art zu schützen. Immerhin gibt es auf der Insel rund 400 000 Einwohner, von denen einige von dem Geheimnis der Pflanze wissen.

Die Aloe pembana wurde nur entdeckt, weil der britische Forscher Leonard E. Newton vor vielen Jahren über einen Vermerk eines Kollegen gestolpert war, wonach dieser keine Ahnung hatte, um was für eine Pflanze es sich überhaupt handelt: „Als er den Fundort Pemba sah, wusste er, dass es etwas Interessantes sein musste“, erzählt Burkart. Leonard E. Newton beschrieb die Pflanze schließlich vor 20 Jahren als neue Art.

Der Wirkstoff ist noch unbekannt

Außergewöhnlich ist die Pflanze, weil sie Beeren trägt, was selten bei Aloen ist. Und wegen ihres Verbreitungsgebiets: Aloen mit Beeren kommen nur auf Inseln im Indischen Ozean vor, die meisten anderen auf dem afrikanischen Festland. „Und niemand weiß, warum sie nur auf Inseln vorkommen“, sagt Burkart. Er vermutet, dass es etwas mit der Ausbreitung der Samen zu tun hat, eventuell durch Vögel. „Doch bislang ließ sich dazu nichts herausfinden.“ Auch die Untersuchung des Wirkstoffs ist noch offen. Pharmafirmen hatten bislang kein Interesse daran, weil die Umsetzung viel zu aufwendig sei, vermutet Burkart. Eine Sache für die Forschung, meint der Biologe.

Dem Botaniker war zuallererst wichtig, dass die Pflanze nicht ausstirbt. Und dies lasse sich nur in Kooperation mit Forschern und Naturschützern in Sansibar erreichen. Mittlerweile sind aus dem Thema bereits erste wissenschaftliche Arbeiten von Studierenden in Potsdam und Sansibar entstanden. Auch war der Botaniker länger schon auf der Suche nach einem Botanischen Garten in den Tropen für eine Kooperation. Denn die Hälfte der Pflanzen im Potsdamer Garten sind tropischer Natur. Hier gibt es also zahlreiche Anknüpfungspunkte.

Eine der größten Sammlungen von Bogenhanf weltweit

Und dann wäre da noch eine ganz besondere Sammlung. Michael Burkart durchquert das im Spätsommer schwülheiße Potsdamer Gewächshaus und steuert eine den Besuchern verschlossene Ecke an. Schwere entwurzelte Pflanzenteile liegen auf einem Haufen mit Sand und Erde. Sie tragen noch zahlreiche botanische Ungereimtheiten und Rätsel in sich. Die ehemalige Privatsammlung mit 200 Pflanzen der Gattung Sansevieria – dem Bogenhanf – hat der Potsdamer Garten vor drei Jahren von den Kollegen in Göttingen erhalten. „Wahrscheinlich eine der größten Sammlungen dieser Pflanzen weltweit - eine herausragende Sammlung“, sagt Burkart. Zu dieser Gattung wurde bislang kaum geforscht. Nun will der Botaniker einige der vielen noch offenen Forschungsfragen klären, vorerst vor allem zur Abgrenzung der Arten untereinander. Dafür sei Forschung auch direkt in den Tropen unabdingbar, wo diese Pflanzen eben vorkommen. Burkarts Ziel ist letztlich eine Monografie der Gattung zu verfassen. Drei Abschlussarbeiten von Studenten sind bereits fertig. Interessant sei, dass mit den Pflanzen nur sporadisch wissenschaftlich gearbeitet wurde: „Es gibt seit 100 Jahren keine gründliche systematische Untersuchung“, sagt Burkart. „Das wollen wir nun ändern.“

Auch dies ist ein Grund, warum dem Botaniker so viel an der Kooperation mit Sansibar liegt. „Zudem könnte sich der Garten, der dort 1870 gegründet wurde, an der Bildung der öffentlichen Meinung zur Erhaltung der einheimischen Pflanzenvielfalt einschließlich einer Aloe pembana perfekt beteiligen“, sagt Burkart. Wenn er als Botanischer Garten funktionieren würde. „Was er zurzeit aber nicht tut“. Um das zu verbessern, haben Stadt und Universität gemeinsam dafür nun Geld erhalten (PNN berichteten). „Die Umsetzung kommt gerade in Gang“, so der Garten-Kustos.

Das Potsdam-Sansibar-Netzwerk 

Ohne die offenbar sehr umtriebige Pflege der Städtepartnerschaft mit Sansibar wäre das alles für den Botaniker Burkart nicht möglich gewesen. „Die Kontakte zwischen den beiden Städten sind ausgezeichnet“, sagt er. Ganz entscheidend sei dabei Cordine Lippert, Projektmanagerin Klimaschutz der Potsdamer Stadtverwaltung. Darüber hinaus sind auch Kollegen im Institut für Erd- und Umweltwissenschaften der Universität Potsdam beteiligt. Über diese Verbindungen soll nun auch die Zusammenarbeit mit dem Botanischen Garten von Sansibar auf festen Grund gestellt werden. Alles in allem eine Reihe glücklicher Zufälle für Burkart. „Ich wollte immer schon ein Naturschutzprojekt in einem tropischen Land verwirklichen – und dann ist mir das über die Potsdamer Städtepartnerschaft alles plötzlich in den Schoß gefallen“, sagt der Botaniker. Nach einer Woche vor Ort hatte er alles, was für so ein Projekt nötig ist, zusammen. „Ich wusste nicht, wie mir geschieht, das war wie eine höhere Fügung.“

Ein Jahr hatte es gebraucht, um herauszufinden, wo man einen Antrag für ein solches Artenschutzprojekt stellen kann. Erst beim Mohamed bin Zayed Fund, der weltweit Artenschutz finanziert, fand man Gehör. 5000 Dollar wurde ihnen dort bewilligt. Damit macht Burkarts Kollege Abdalla Ibrahim Ali von der Universität Sansibar nun vor Ort eine Bewusstseinskampagne. Mittlerweile gibt es Flyer und Poster. Es geht darum, den Einheimischen bewusst zu machen, dass man mit der seltenen Aloe keinen Raubbau betreiben darf, ernten kann man nur mit Bedacht.

Der Raubbau soll gestoppt werden

Mittlerweile haben Studierende von Burkart zwar herausgefunden, dass es vor Ort mehr Pflanzen gibt als anfänglich angenommen. Rund 850 Exemplare in vier getrennten Populationen sind auf Pemba vorhanden, eine sogar in der Nähe der Stelle, an der man zuerst nicht fündig geworden war. Entwarnung also? Nicht unbedingt, nach internationalen Kriterien ist die Aloe immer noch vom Aussterben bedroht. „Aber das wird nun nicht sofort passieren, wir haben etwas Zeit gewonnen“, so Burkarts Einschätzung. Das wichtigste sei erst einmal, dass der Raubbau gestoppt wird. „Dann sind unsere letzten Notreserven hier in Potsdam nicht mehr so wichtig.“

Nun lernt Burkart über die Berlin-Brandenburgische Auslandsgesellschaft die afrikanische Sprache Kisuaheli. „Weil ich die Sache wirklich ernst meine“, sagt er. Das gut funktionierende Potsdam-Sansibar-Netzwerk helfe ihm bei dem Projekt. Der nächste Flug nach Sansibar ist bereits geplant: Im Oktober geht es wieder los, um die Vorhaben weiter voranzutreiben. Immerhin gibt es wahrscheinlich eine noch nicht aufgefundene fünfte Population der Pembana, auf einer der vielen vorgelagerten kleinen Inseln. „Etwas abgelegen, deshalb war ich noch nicht dort“, erklärt Burkart. Die seltene Aloe wächst genau an der Grenze zwischen Strand und dem dahinterliegenden Buschwald der Inseln. Nicht der schlechteste Ort für eine Forschungsexkursion also, zumal Vertreter der Gattung Sansevieria, die Burkart erforschen will, gleich daneben wachsen. Gut zu verstehen, dass der Botaniker meint, mit Sicherheit den schönsten Beruf der Welt zu haben.

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