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Umwege, Ausflüge und eine Prägung. Max Hopp sagt, vor allem die Jahre mit Frank Castorf an der Berliner Volksbühne machen ihn aus.

© Doris Spiekermann-Klaas

Porträt Max Hopp: Der Großspieler

Tevje in „Anatevka“, Franz Biberkopf in „Berlin Alexanderplatz“: Die Loser sind’s, die Schauspieler Max Hopp anziehen.

Es ist schon eine Weile her, als Max Hopp sich das letzte Mal selbst erschoss. Er stand auf seinem Bett, ein Indianer befand sich unsichtbar irgendwo in seiner Nähe. „Tsch-djuju“, zischte er, ein vibrierendes, gefährliches Geräusch. So klingt ein Pfeil, wenn er sich zwischen den Felsen seinen Weg zum Ziel bahnt. Diesmal flog er durchs Kinderzimmer. Einmal kurz aufbäumend, fiel Max Hopp ganz langsam auf den Boden. Dann rollte er sich ab. Tot.

Stundenlang, erzählt er, habe er als Junge diese Szene gespielt. Er war nicht der jugendliche Held, nicht „Chingachgook, die große Schlange“ oder „Winnetou“, nicht Gojko Mitic oder Pierre Brice. Max Hopp spielte den Verlierer, den, der am Ende mit seinem Leben bezahlen muss. Er sagt: „Ich fühle mich mehr zu den Loser-Figuren hingezogen.“

Er hat im „Tatort“ gespielt, im „Usedom-Krimi“, „Soko Köln“. Kleine Rollen, Nebenrollen, Außenseiterrollen. Max Hopp war der Abtrünnige, der Widersprüchliche, der Verzweifelte. Gerade ist er sehr erfolgreich an der Komischen Oper zu sehen. Dort tritt er im Musical „Anatevka“ als Milchmann Tevje auf.

Tevje ist arm, er arbeitet hart, er ist ein Vater von fünf Mädchen, von denen drei in der Liebe ihre eigenen Wege gehen. „Wenn ich einmal reich wär“, singt er die Träume eines kleinen Mannes, der hin und hergerissen sich nicht von Traditionen verabschieden, aber auch seine Töchter nicht verlieren will.

Alles an Hopp ist dunkel

Max Hopp, 45, sitzt in der Kantine der Komischen Oper Unter den Linden. Viel Licht, viele Geräusche. Draußen klirrt der Berliner Winter, auf der Straße brausen Autos und Touristenbusse vorbei. Für das Interview hat er einen Nebenraum reserviert, kleiner und ruhiger. Kaffee. Alles an ihm ist dunkel. Die Augenbrauen, die Haare, die Klamotten. Er zieht sich eine Mopedhose aus. Mit einem Roller ist er aus dem Prenzlauer Berg hierhergefahren. Seine Stimme ist tief und heiser, die Vorstellungen am Haus sind ausverkauft und kratzen an den Stimmbändern. „Für mich hat sich jetzt hier, nach vielen Jahren im Schauspielberuf, ein Kreis geschlossen.“

Max Hopp war 14, als er das erste Mal vor der Kamera stand. Ein Fußballspieler im Trainingszentrum Berlin-Treptow, ein Schüler in der Pubertät, der Udo Jürgens, Hermann van Veen und Milva hörte. Der schon immer davon träumte, Schauspieler zu werden. Seine Eltern waren mit der Familie Preil befreundet, ihre Boote lagen nebeneinander an einem Steg zwischen Oberschöneweide und Oberspree.

Hans-Joachim Preil war ein bekannter Theaterautor und Regisseur, vor allem aber war er der beliebteste Humorist der DDR, ein Loriot des Ostens. Über drei Jahrzehnte stand er zusammen mit Rolf Herricht im Komikerduo auf der Bühne. Für seinen Schwank „Ferienheim Bergkristall“ schrieb Preil Mitte der 80er Jahre eine Rolle für den Sohn seiner Bootsfreunde.

Ein Empfehlungsschreiben von Hans-Joachim Preil

Hopp kaufte sich sämtliche Schallplatten von Preil & Herricht und lernte deren Sketche auswendig. „Der Gartenfreund“, „Die Briefmarke“, „Schachspiel“. Auf Familienfeiern bot er sie dar. In beiden Rollen. Ein Boot, der Max, drumherum das Wasser und eine dunkle, kraftvolle Stimme, die rief: „Mückentötolin“! Max Hopp sagt über sich, dass er ein Großspieler sei. Hans-Joachim Preil schickte für ihn ein Empfehlungsschreiben an die Schauspielschule. Nach der 10. Klasse ging er als „Fachverkäufer für Waren des täglichen Bedarfs“ in die Lehre. Sein Vater arbeitete beim Konsum, der Handelskette der DDR. Max Hopp stand um vier Uhr morgens auf, er fuhr von Oberschöneweide nach Marzahn und fing dort um sechs Uhr in der Kaufhalle an. Genau genommen war diese Zeit eine gute Ausbildung für die nächste Prüfung. Er zog einen Nylonkittel an und sortierte Büchsen im Regal: Schauspiel. Er streifte eine Wattejacke über, um im Eishaus frierend Eis zu hacken: Schauspiel. Er bastelte für die Kolleginnen ein Frauentagsgeschenk aus einer abgebrochenen Weinflasche: Schauspiel.

Max Hopp sagt, dass seine Umwege, seine Ausflüge in andere Genres, alle einen Sinn gemacht haben. Operette, Theater, Musical. Im dritten Jahr der Schauspielschule spielte er 1995 in Bremen in „Anatevka“, jenes Singspiel, das ihm jetzt, 23 Jahre später, Bekanntheit einbringt. 2001 stand er in der „Fledermaus“ erstmals für Frank Castorf auf der Bühne. Vier Jahre später spielte er in dessen Inszenierung von „Berlin Alexanderplatz“. Franz Biberkopf ist das Synonym für das Scheitern schlechthin. Sieben Jahre lang ackerte er als verkrüppelter Arbeiter in diesem Stück, er nennt es seine wichtigste Sprechtheaterinszenierung. Von 2005 bis 2011 war er ständiger Gast an der Volksbühne. Er sagt: „Frank Castorf ist ein großer Theatermann. Ein Welttheatermann. Er hat diese besondere Spielweise entwickelt. Bei ihm entsteht die Logik einer Figur durch das, was sie tut und nicht dadurch, was man sich vorher über sie ausdenkt.“ Alles was er heute mache, meint Max Hopp, komme aus der Arbeit mit Castorf.

Er ist ein ausgiebiger Erzähler, einer, der mitunter mehreren Gedanken gleichzeitig folgt und sich die ganz großen Fragen stellt. Wer ist der Mensch? Er spricht über seinen Glauben an die Liebesfähigkeit, über Utopien und seine Künstlergruppe nootheater, die einen Film über den deutschen Philosophen Jakob Böhme produziert hat. Er redet über das Fernsehen, für das er viele Rollen annehme, weil jede davon für ihn auch eine Übung sei. Am 30. März ist er in der RTL-Verfilmung von Sebastian Fitzeks Kriminalroman „Das Joshua-Profil“ zu sehen. Als Abgehängter, Lump und Trinker, den seine Vergangenheit kaputt gemacht hat.

"Das schweigende Klassenzimmer"

In dem Film „Das schweigende Klassenzimmer“, der gerade im Kino läuft, spielt er den systemkonformen Vater eines aufständischen Schülers in der DDR. Man erkennt ihn kaum: Schlips, schmierig glattgeölte Haare und eine Weitsichtbrille, die seine Augen groß macht und seinen Blick starr. Hans Wächter ist Stadtratsvorsitzender, er lebt für seine Ideale, an denen er festhält wie ein Artist an seinem Seil. Überholen ohne einzuholen. Es ist eine Nebenrolle, aber die stärkste in diesem Film. Weil Max Hopp sie so zu spielen vermag, dass man die innere Zerrissenheit der Figur spüren kann. Hans Wächter liefert kein einseitiges Abbild eines DDR-Funktionärs. Er schwankt zwischen dem Glauben an die Sache und der Liebe zu seinem Sohn, zwischen Kontrolle und einstigen Träumen.

Vor Kurzem lief im Kino Babylon in Mitte ein Dokumentarfilm über die Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz. „Partisan“ erzählt die 25 Jahre der Castorf-Ära. Zur Filmvorführung kamen sämtliche Mitarbeiter des Hauses, Techniker, Beleuchter, Bühnenbauer. Nach der Vorstellung gingen alle zusammen noch in die Theaterkantine. Max Hopp war auch da. Er wurde begrüßt wie ein alter Freund. Man umarmte ihn, redete, trank gemeinsam Bier. Es wirkte so, als sei er gerade nach Hause gekommen.

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