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Kurzlebig. Die Frühlings-Zwerg-Wicke wird nur etwa ein halbes Jahr alt.

© M. Burkart

PNN-Serie "Pflanze des Monats": Die Verdrängung der Frühlings-Zwerg-Wicke

Im Botanischen Garten der Uni Potsdam wachsen exotische und heimische Pflanzen. In den PNN stellt Kustos Michael Burkart jeden Monat eine von ihnen vor. Heute: die Frühlings-Zwerg-Wicke.

Ohne Bücken findet man die winzige Blume nicht. Sie ist nur einige Millimeter groß, von dezentem Hellviolett in zwei Abstufungen, heller in der Mitte, etwas dunkler in der Peripherie. Da wir es mit der Blüte einer Leguminose zu tun haben, heißen die Mittelteile Flügel und Schiffchen, das etwas dunklere, noch oben gerichtete periphere Blütenblatt ist die Fahne.

Natürlich blühen jetzt im Garten auch große, stattliche Blumen. Magnolien zum Beispiel oder Tulpen, sogar Tulpenmagnolien. Wer sich nicht bücken mag oder kann, darf sich getrost an diese Wuchtbrummen halten. Hier jedoch ist die Rede von der Frühlings-Zwerg-Wicke (Vicia lathyroides), auch Platterbsen-Wicke genannt. Sie gedeiht in unseren Breiten in lückigen, sandigen Magerrasen und kommt bis ins nördliche Mittelmeergebiet vor. Magerrasen bedeutet, dass der Boden nährstoffarm ist, sodass hier alle Pflanzen ziemlich winzig bleiben. Leguminosen haben an solchen Standorten einen Vorteil: In kleinen Knöllchen ihrer Wurzeln leben Bakterien, die gasförmigen Stickstoff aus der Luft binden, der für Pflanzen sonst unerreichbar ist. Leguminosen haben damit sozusagen eine innere Düngerquelle.

Die Zeiten für Magerrasen sind schwierig geworden. Nur noch ausnahmsweise kommen Wanderschäfer mit ihren Herden vorbei, die alles bis auf die Stoppeln herunterknabbern. Dafür bringen Autoabgase und Intensivlandwirtschaft viele Stickstoff-Oxide in die Luft. Im Gegensatz zum natürlichen Luftstickstoff lösen sie sich in Wasser, zum Beispiel in Regentropfen. Es regnet dann flächendeckend Dünger.

Die Menge erreicht heute in Deutschland mancherorts 30 Kilogramm pro Hektar und Jahr, in der Potsdamer Region liegt sie bei etwa zehn Kilogramm. Vor 100 Jahren wären Bauern froh gewesen, eine solche Düngermenge zur Verfügung zu haben, die inzwischen überall gratis herabrauscht. Die Stickoxid-Emissionen sind darüber hinaus auch klima- und gesundheitsschädlich.

Für Magerrasen ist das ein Problem. Die automatische Düngung fördert größere Pflanzen – in diesem Fall nicht Tulpen und Magnolien, sondern starkwüchsige Wiesengräser, die Zwerg-Wicken und anderen Winzlingen das Licht nehmen und sie dadurch verdrängen. Weil keine Schafe mehr kommen, bleibt die Biomasse stehen und verstärkt den Effekt noch. Die Rasenflächen im Botanischen Garten werden zwar nicht beweidet, aber regelmäßig gemäht und die Biomasse entfernt.

So wird Stickstoff wieder entnommen – Pech für Tulpen und große Gräser, Glück für die Winzlinge. Die Frühlings-Zwerg-Wicke wird nur etwa ein halbes Jahr alt. Die Samen keimen zwischen November und März, ab April wird geblüht, und nach der Samenreife stirbt die ganze Pflanze ab. Den Fortbestand der Population müssen die Samen sichern, die ab November dann wieder keimen.

Besucher des Botanischen Gartens Potsdam können sich jetzt nach der Frühlings-Zwerg-Wicke und anderen Winzlingen an den magersten Stellen der Rasenflächen bücken. So lässt sich eine ganz eigene, winzige Welt entdecken – und man wird dabei manchmal auch gezwickt – von Ameisen. 

Die nächste Führung für Erwachsene ist am 28. April um 19 Uhr die literarisch-botanische Abendführung „Kräutermärchen“, für Kinder am 7. Mai um 15 Uhr „Weltmeister – Rekorde der Pflanzenwelt“ (Botanischer Garten, Maulbeerallee 2)

Michael Burkart

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