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Vorbild Österreich: Der deutsche Internetauftritt von "Unzensuriert"

© Tagesspiegel

Plattform "Unzensuriert": "Die rechte Blase im Netz wächst"

Die FPÖ-nahe Plattform "Unzensuriert" expandiert aus Österreich nach Deutschland. Im Bundestagswahlkampf könnte sie AfD-Propaganda machen.

Von Matthias Meisner

"Ein digitales Kampfmedium", sagt Ingrid Brodnig, österreichische Journalistin und Buchautorin ("Hass im Netz") über die Plattform "unzensuriert.at". Geschichten über Migranten oder auch unliebsame Journalisten seien dort zu lesen, keine Fake News im klassischen Sinne, aber meist tendenziösen Inhalts. Oft werde nur eine Seite der Geschichte erzählt "und kräftig zugespitzt". Die Macher seien eng verknüpft mit der rechtspopulistischen FPÖ.

Seit Anfang der Woche nun hat "Unzensuriert" einen deutschen Ableger - und es ist gut möglich, dass die AfD ihn demnächst für ihre Propaganda nutzen wird. Die beiden Parteien pflegen schon länger freundschaftliche Kontakte.

Erste Kostproben auf der Startseite von "unzensuriert.de": die Dokumentation einer Pressekonferenz der AfD-Fraktion im sächsischen Landtag, auf der ein "Ende der russlandfeindlichen Politik" gefordert wurde. Oder die Kritik am FC-Bayern-Spieler Philipp Lahm, der "auf den Anti-AfD-Zug aller derzeit im Bundestag vertretenen Parteien" aufgesprungen sei. Der Fußball-Weltmeister hatte mit Blick auf die Bundestagswahl erklärt, Deutschland dürfe "nicht rechts werden".

Offensichtlich habe schon "unzensuriert.at" viele deutsche Leser, erläutert die Journalistin Brodnig dem Tagesspiegel: Einzelne Artikel über Deutschland seien in der Vergangenheit extrem erfolgreich online gewesen – zum Beispiel Geschichten über Angela Merkel oder angebliche Straftaten von Asylbewerbern. Besonders erfolgreich sei beispielsweise 2016 ein Bericht über sexuelle Übergriffe in einem Freibad in Kirchheim/Teck (Baden-Württemberg) gewesen: "unzensuriert.at" skandalisierte eine von "Asylanten" veranstaltete "Orgie an Gewalt und sexuellen Übergriffen".

"Artikel, die perfekt ins Weltbild von Rechtspopulisten passen"

Brodnig sagt mit Blick auf "Unzensuriert"-Beiträge mit derart großer Reichweite: "Da ist es gar nicht so überraschend, dass sie versuchen, den zehn Mal so großen deutschen Markt auch zu erobern."

In Österreich verdanke die Seite ihre hohe Reichweite auch den Rechtspopulisten der FPÖ – "die fleißig ,unzensuriert.at' auf Facebook teilen". Die Frage sei nun, ob auch die AfD dieses Medium auf Facebook einspeisen und damit den eigenen Wählern anbieten werde, sagt Brodnig. Sie spricht von einem "symbiotischen Verhältnis": ",Unzensuriert' liefert Artikel, die perfekt ins Weltbild der Rechtspopulisten passen. Auswirkungen kann es auf die deutsche Bundestagswahl insofern haben, als dass die rechte Blase im Netz damit wächst. Bürger, die ohnehin schon in diese Richtung tendieren, bekommen nun noch mehr Berichte, die ihre Vorurteile bestätigen."

Gegen Flüchtlinge - aber auch gegen kritische Journalisten

Ingrid Brodnig hatte Ende vergangenen Jahres gemeinsam mit einem Kollegen des österreichischen Nachrichtenmagazin "Profil" über zwei Wochen jeden Artikel von "unzensuriert.at" gelesen und ausgewertet – immerhin 124 Texte. Diese Analyse zeigte, wie hart "unzensuriert.at" über einzelne Gruppen berichtet: Die Seite erklärt den Fans, über wen sie sich aufregen sollen. Im Beobachtungszeitraum seien am häufigsten Migranten kritisiert worden, gegen die in 21 Prozent der Artikel angeschrieben worden sei, gefolgt von Kritik an den etablierten Medien (18,5 Prozent).

Wenn Journalisten kritisch über Rechtspopulisten berichteten, sei die Chance hoch, dass "unzensuriert.at" ihnen sehr harte Artikel widme – inklusive Foto und heftiger Kritik an ihrer Arbeit. Brodnig weiter: "Selbst jedoch legt das Medium nicht einmal die Namen seiner Mitarbeiter offen. Das heißt: ,unzensuriert.at' wirft vielen Journalisten vor, unsauber und unfair zu sein, gibt aber selbst nicht einmal bekannt, wer die Texte dort verfasst."

Wer genau hinter "unzensuriert.at" und auch hinter dem neuen deutschen Ableger steckt, ist unklar. Zwar ist nach den Worten von Brodnig bekannt, dass der Geschäftsführer der Seite, Walter Asperl, als Referent im Parlamentsklub der FPÖ arbeitet - jenem Gremium also, in dem sich Abgeordnete aus Nationalrat, Bundesrat und Europäischem Parlament organisiert haben. In der Redaktion sei auch Alexander Höferl tätig, der das FPÖ-Kommunikationsbüro leite. "Das große Problem an ,unzensuriert.at' ist, dass man gar nicht genau weiß, wie viele Mitarbeiter der Redaktion denn Funktionäre der Partei sind: Die Artikel werden in der Regel anonym verfasst und eine Übersicht über die Redaktion gibt es auch nicht. Wir wissen auch nicht, wie sich unzensuriert.at genau finanziert."

Asperl sagt der österreichischen Tageszeitung "Der Standard": "Nachdem ,unzensuriert.at' sehr erfolgreich läuft und auch in Deutschland ein großes Interesse an Medien abseits des Mainstreams herrscht, haben wir uns entschlossen – mit der bekannten Marke 'Unzensuriert' – uns spezieller mit der deutschen Innenpolitik zu beschäftigen."

Fabian Schmid, Netzpolitik-Experte des "Standard", erklärt: ",Unzensuriert' behauptet, unabhängig von der FPÖ zu sein. Doch es gibt äußerst starke personelle wie inhaltliche Überschneidungen. Kritik an der FPÖ kommt auf der Seite nicht vor." Und die Plattform FPÖ Watch berichtete auf Twitter, die deutsche Version von "Unzensuriert" werde unter anderem mit Inseraten der AfD-FPÖ-Fraktion (ENF) im EU-Parlament finanziert.

Unterschätzt werden sollte "Unzensuriert" nach den Worten des "Standard"-Redakteurs Schmid auf keinen Fall. FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache teile auf seiner Facebook-Seite am dritthäufigsten "Unzensuriert", in den ersten neun Monaten 2016 ganze 196 Mal. "Die Seite hat dadurch ein beträchtliches Publikum", sagt der Journalist, die Artikel würden insgesamt millionenfach abgerufen.

"Lügenpresse"-Vorwürfe verschaffen der Seite Auftrieb

Im Zuge der Agitation gegen eine angebliche "Lügenpresse" und des Rechtsrucks in der österreichischen Bevölkerung im Zusammenhang mit der wachsenden Zahl von Flüchtlingen habe die Seite stark an Lesern gewonnen. Anfang 2016 habe sie zu den zehn österreichischen Medien gehört, deren Artikel am häufigsten auf Facebook geteilt worden seien. "Lesern von unzensuriert wird der Eindruck einer brandgefährlichen Welt vermittelt, in der Ausländer vergewaltigen und morden, während die Politik dies zu vertuschen versucht", erklärt Fabian Schmid.

Spannend wird, wie erfolgreich die Expansion nach Deutschland für "Unzensuriert" verläuft. Schmid sagt, zwar gebe es bereits Angebote wie "Epoch Times" oder "Politically Incorrect". "Unzensuriert" aber bringe eine starke Infrastruktur mit – so sollen nach Informationen des Journalisten bis zu 25 Personen "ehrenamtlich" an der Seite mitarbeiten. Schmid erklärt: ",Unzensuriert' ist gefährlich, weil es sich als unabhängiges Medium ausgibt, tatsächlich aber zentraler Teil der Propagandamaschinerie der FPÖ ist. Diese Aufgabe kann ,Unzensuriert' auch für die AfD übernehmen. Funktioniert das Konzept auch in Deutschland, werden klassische Boulevardmedien wohl weiter nach rechts rücken."

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