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Gewalt nicht als Selbstzweck. Das Videospiel „Ni No Kuni 2“ ist ab zwölf Jahren freigegeben. Darin kommen Gefechte vor. Die Spieler müssen Gegner besiegen.

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Plädoyer für Videospiele: Trickfilm war gestern

„In Deutschland ist diese Angst vor etwas Neuem": Woher rührt bei Eltern die Scheu, das Misstrauen gegenüber dem Videospiel?

Ist es ein Videospiel? Ist es ein Zeichentrickfilm? Eine Frage, die auf den ersten Blick oftmals kaum beantwortet werden kann. Beide sind sie häufig sehr detailreich gezeichnet. Werden lebendig in komplex gestalteten Animationen. Sind voll von Charakteren, die besonders Kindern und Jugendlichen ans Herz wachsen. Doch nur eines der beiden Medien hat noch immer mit dem Stigma zu kämpfen, den Heranwachsenden zu schaden, trotz diverser Studien, die eher das Gegenteil beweisen: das Videospiel.

Vor wenigen Tagen ist „Ni No Kuni 2“ erschienen. Dabei handelt es sich um ein Rollenspiel. Die Spieler steuern einen jungen König, der sich sein Königreich zurückerobern muss. Eine ziemlich klassische Geschichte: der unterdrückte Held auf seinem Weg zu dem, was ihm eigentlich zusteht. Dabei lernt er bunte Charaktere kennen, die seine Reise leichter machen. Die Grafik des Spiels sieht aus wie gezeichnet. Auf Bildschirmfotos lässt sich der Unterschied zu einem Zeichentrickfilm kaum mehr finden.

Die Frage liegt nahe: Sind solche Videospiele nicht eigentlich besser für Heranwachsende geeignet als Zeichentrickfilme oder -serien? „Ni No Kuni 2“ wurde von der USK ab zwölf Jahren freigegeben. In dem Spiel kommen Gefechte vor. Die Spieler müssen Gegner besiegen. Blut fließt dabei keines. Auch ist die Gewalt kein Selbstzweck. Kritiker werden wieder fragen: Gibt es eine mögliche Aggressionssteigerung durch Videospiele?

Zwölfjährige könnten mit dem Spiel „Ni No Kuni 2“ gut 40 Stunden verbringen. Eine Verbindung zu den Charakteren herstellen, der Geschichte folgen, Entscheidungen treffen, die den Verlauf beeinflussen. Oder sie könnten 20 Trickfilme schauen. „Das Besondere an Videospielen ist, dass die Charaktere auf die Spieler reagieren“, sagt Christian Roth dazu. Der Medienpsychologe betreibt seit 2004 Spieleforschung. Eine Forschungsfrage ist, wie Nutzer bestimmte Medien erleben, welche Effekte sie haben können.

Nach dem Scheitern Strategien wechseln

„In ein Spiel sind die Nutzer ganz anders eingebunden“, sagt Roth. Wie etwa bei der Charakter-Erstellung. Viele Spiele bieten an, die Spielfigur selbst zu erstellen. Da kann eine ganz andere Bindung entstehen als bei einer Figur, die vorgegeben ist. Auch das Ableben der Spielfigur steht immer wieder im Mittelpunkt eines Spiels, der Umgang mit Verlust. Es müssen mitunter moralische Entscheidungen getroffen werden.

„Durch Videospiele können Heranwachsende lernen, mit Frustration umzugehen. Sie müssen nach dem Scheitern Strategien wechseln, es nochmals versuchen.“ Solche Lernprozesse könnten durch eine Transferleistung in das wirkliche Leben übertragen werden. So schlägt Roth vor, dieses strategische Denken auf die Hausaufgaben zu übertragen. Auch hier sei ein Scheitern der Beginn einer Strategie-Änderung. Um solche Transferleistungen zu erbringen sei es von Vorteil, wenn auch die Eltern keine Scheu vor diesem Medium hätten. „In Deutschland ist diese Angst vor etwas Neuem. Es passiert extrem langsam, dass das Potenzial in neuen Medien erkannt wird“, so der Medienpsychologe.

Für ihn liegt es auf der Hand, dass Videospiele gut geeignet sein können, Heranwachsenden ein emotionales, engagierendes und auch lehrreiches Erlebnis zu bieten – stärker als Zeichentrickfilme. Diese Erfahrung hat auch Caroline Valdenaire gemacht. Sie selbst spielt seit ihrer Kindheit Videospiele. Auch mit ihrem fünfjährigen Sohn hat sie Stunden am Controller verbracht – und Erstaunliches erlebt. So hat sie ihm das Spiel „Journey“ gezeigt.

Es handelt von einer Reise zu einer Bergspitze. In phantastischem Grafikstil und meditativem Setting ist es eine Parabel auf Tod und Wiedergeburt. „Ich habe ihm dieses Spiel gezeigt, aber nichts erklärt. Sondern nur gesagt, dass er ja mal ausprobieren kann“, sagt die 32-jährige Mutter. Obwohl das Spiel eigentlich keine Geschichte im klassischen Sinne erzählt, habe der Sohn sich allerlei Motive überlegt, die die Spielfigur haben könnte. „Das ist der Geist des Lebens, hat er mir dann einmal erzählt.“ Die Mutter saß begeistert neben ihrem Kind. Sie konnte genau einschätzen, wie der richtige Umgang mit diesem Spiel ist – weil sie selbst dieses Medium kennt.

Scheu und Misstrauen gegenüber dem Videospiel rühren daher, dass es noch immer Generationen gibt, die nie damit in Berührung gekommen sind. Vielleicht ist es an der Zeit, dass nicht nur die Heranwachsenden mit Videospielen Erfahrungen machen und davon lernen, sondern auch die Eltern, die eher mit Zeichentrickfilmen groß geworden sind.

Matthias Kreienbrink

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