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Das wird teuer. Wer mit dem eigenen Smartphone und der Periscope-App Fußballspiele live aus dem Stadion zeigt, der läuft Gefahr, Übertragungsrechte zu verletzen.

© Tsp

Periscope: Smartphone statt Kamerateam

Journalisten sind begeistert von der Livestreaming-App Periscope. Aber es gibt Risiken. Und die Zahl der Nutzer ist noch eher gering.

Daniel Cremers Gesicht ist ganz nah zu sehen. „Die Jury wurde aus dem Gebäude gebracht“, erzählt er mit Blick in die Smartphone-Kamera. „Angeblich – das habe ich von zwei Leuten gehört – hat Heidi Klum dabei geschrien.“ Der „Bild“-Reporter sitzt im Auto vor der SAP Arena in Mannheim, wegen einer Bombendrohung beim Finale von „Germany’s Next Topmodel“ musste das Gebäude geräumt werden. Die Kameraübertragung ist abgebrochen, kaum Nachrichten dringen an die Öffentlichkeit. Doch Daniel Cremer, der mit der Livestreaming-App Periscope seinen Vor-Ort-Bericht überträgt, sehen gut 3000 Leute zu.

Der Abend des 14. Mai gilt vielen als der Durchbruch der App Periscope in Deutschland, die zum Kurznachrichtendienst Twitter gehört. Mit ihr können Nutzer eine Liveübertragung machen, die Zuschauer dürfen sich jederzeit zuschalten und in Echtzeit kommentieren oder Fragen stellen. Ähnliche wenn auch eingeschränktere Möglichkeiten bietet die App Meerkat. In Deutschland nutzen diese Werkzeuge vor allem Journalisten. Besonders aktiv ist etwa „Bild“-Chefredakteur Kai Diekmann, der sogar Teile von Redaktionskonferenzen mit Periscope überträgt. Der bekannte Blogger und Autor Richard Gutjahr kündigte bereits an: „Periscope wird die Art und Weise verändern, wie wir die Welt sehen.”

Journalisten können Zuschauer an persönlicher Perspektive teilhaben lassen

Ähnlich beurteilt das der Medienwissenschaftler Leif Kramp von der Uni Bremen. Er sagt: „Die neue Technologie und die damit verbundenen Möglichkeiten sind eine große Chance für Journalisten.“ Livestreaming mit Smartphone habe den Vorteil, dass einzelne Journalisten den Zuschauer schnell und flexibel an ihrer persönlichen Perspektive teilhaben lassen können. „Ein Journalist ist mit seinem Livestream natürlich schneller als ein dreiköpfiges Kamerateam, das erst Licht und Ton ausrichten muss“, sagt auch Reporter Cremer. Da reiche es manchmal, als Erster da zu sein und zu berichten, wenn es sonst keine anderen Informationsquellen gebe. Nach der Bombendrohung beim GNTM-Finale etwa habe kaum Technik funktioniert. SMS, Anrufe, E-Mails – alles sei schwierig gewesen. „Die Periscope-App war die letzte Möglichkeit“, erzählt Cremer. Dass sie funktionierte – eine Überraschung.

Neben den Journalisten von „Bild“ arbeiten derzeit etwa die Redakteure des Radiosenders N-Joy, der Satiriker und Moderator Jan Böhmermann und der ARD-Korrespondent Ingo Zamperoni mit Periscope. Auch der Tagesspiegel experimentiert mit den Livestreaming-Diensten. Christian Tretbar, Verantwortlicher Redakteur Online, sagt: „Wir werden diese Dienste gut dosiert und überlegt einsetzen. Berlin und die Politik spielen dabei eine wichtige Rolle.“

Generell sind die Nutzerzahlen solcher Streams derzeit noch relativ gering – bei manchen Übertragungen nur zweistellig. „Bis die Dienste ein breites Publikum erreichen, wird noch einige Zeit vergehen“, glaubt Medienwissenschaftler Kramp. Zudem bleibt auch die inhaltliche Qualität der Übertragungen seiner Meinung nach deutlich hinter den Möglichkeiten des Mediums zurück. „Ein Stream darf nicht nur Atmosphäre einfangen, er muss auch Informationen vermitteln. Es braucht ein redaktionelles Konzept. Professionalisierung ist wichtig.“ Bislang werde meist nur übertragen, aber nicht erklärt, kommentiert oder eingeordnet, wie das etwa bei einer guten Liveschalte im Fernsehen üblich sei. Cremer findet: „Als Journalist sollte man sich auf Situationen und Lagen beschränken, die für den Nutzer spannend sind.“

Während Blogger wie Gutjahr glauben, dass der Vormarsch der Livestreaming-Apps „schlechte Nachrichten für Fernsehsender“ bedeuten, ist sich Kramp sicher, dass Periscope eher eine Ergänzung zur normalen Berichterstattung sei. Ersetzen werde die persönliche Liveschalte per Smartphone die auch in der Bildqualität bessere Berichterstattung der Fernsehsender nicht. Periscope habe eben einfach den Vorteil der persönlichen Note. Auch Tretbar sagt: „Der Anspruch kann nicht sein, technisch und stilistisch eine professionelle Live-Schalte großer Nachrichtensender einfach mit dem Smartphone zu kopieren, aber in puncto Schnelligkeit, Authentizität und Nähe hat man mit Werkzeugen wie Periscope Vorteile gegenüber Fernsehsendern.“

Im öffentlichen Raum kann keiner mehr privat handeln

Medienwissenschaftler Kramp sieht auch die kritischen Punkte der Entwicklung. „Bereits seit YouTube zur erfolgreichsten Videoplattform im Netz wurde, muss man annehmen, dass man im öffentlichen Raum nicht mehr privat handeln kann.“ Durch eine Aufnahme könne jeder zum Helden werden oder zum Gespött der Leute. Die Echtzeitmöglichkeiten von Periscope und Meerkat verstärkten diesen Effekt. „Das Smartphone wird noch mehr als zuvor zum Beobachtungs- und Kontrollmedium“, sagt Kramp.

Seiner Meinung nach haben Journalisten eine Vorbildfunktion, was die Nutzung der Livestreaming-Dienste betrifft. Dennoch werde es vereinzelt auch zu Regelverstößen kommen, sagt Kramp. Diese können auch justiziabel sein. Wer etwa ohne Erlaubnis Sportveranstaltungen, Konzerte oder Filmvorführungen per Livestream überträgt, verletze das Urheberrecht, sagt der Berliner Medienrechtler Sebastian Dramburg. Dagegen seien Pressekonferenzen, wenn es keine anderslautenden Auflagen gebe, kein Problem. Beim Streamen von Versammlungen oder Demonstrationen müssen Nutzer ebenfalls vorsichtig sein. „Alle Aufnahmen in der Öffentlichkeit, bei denen nicht einzelne Personen im Fokus stehen, können verbreitet werden. Das ist von der sogenannten Panoramafreiheit gedeckt“, sagt Dramburg. Sei die Kamera aber speziell auf eine Person gerichtet, könne das ihr Persönlichkeitsrecht verletzen. Auch heimliche Aufnahmen seien strafrechtlich relevant.

Zwar verschwinden die Aufnahmen bei Periscope wieder, nachdem sie für 24 Stunden im Playback verfügbar waren. Trotzdem gibt es technische Möglichkeiten, die Streams in dieser Zeit abzuspeichern und auch danach abrufbar zu machen. Journalistische Fehltritte könnten also für immer sichtbar bleiben.

Für die Medien, die bislang mit Periscope und Meerkat experimentieren, überwiegen aber die Vorteile. „Mit Livestreaming-Diensten bekommen nun auch klassische Wortjournalisten ein gutes Werkzeug an die Hand, das ihre Möglichkeiten erweitert“, findet Tagesspiegel-Redakteur Tretbar. Auch „Bild“-Mann Cremer ist überzeugt. „Ich glaube nicht, dass es sich um einen Hype handelt, der vorbei geht.“

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