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Seit zehn Jahren ist Ex-Nationaltorwart Oliver Kahn Fußball-Experte beim ZDF. Die anstehende WM ist für ihn dennoch in vielerlei Hinsicht außergewöhnlich.

© imago/Agentur 54 Grad/Felix König

Oliver Kahn im Interview: "Meine politische Meinung ist nicht gefragt"

ZDF-Experte Oliver Kahn über Fußball im Unrechtsstaat, Fernanalysen und das Ende der Champions League im Free TV. Ein Interview.

Herr Kahn, was genau machen Sie an einem womöglich sonnigen Tag wie dem 14. Juni um 17 Uhr?

Da bereite ich mich wie immer um diese Zeit auf meinen Geburtstag am 15. Juni vor. Der fällt ja jedes Mal in den Zeitraum von Fußballwelt- und Europameisterschaften.

Lassen Sie das Eröffnungsspiel des WM-Gastgebers Russland gegen Saudi-Arabien also sausen?

Natürlich nicht. Das sehe ich mir an.

Und das, obwohl es zwei kriegstreibende Autokratien mit Tendenz zur Diktatur austragen, die Pressefreiheit und diverse andere Menschenrechte massiv beschränken?

Wissen Sie: Die Fußball-Weltmeisterschaft ist eine Nationen verbindende Großveranstaltung für Millionen von fußballbegeisterten Menschen. Und während eines Spiels reflektiere ich da keine gesellschaftspolitischen Rahmenbedingungen, sondern konzentriere mich voll und ganz auf das sportliche Ereignis.

Auch vor vier Jahren in Brasilien waren Korruption, Missmanagement, Umweltzerstörung und Massenproteste so in den Fokus gerückt, dass der Fußball bisweilen zweitrangig erschien. Werden sportliche Großereignisse aus Ihrer Sicht insgesamt politischer?

Es ging im Vorfeld aller Welt- und Europameisterschaften, die ich erlebt habe, immer auch um Politik, Gesellschaft und Umwelt. Aber während des Turniers versucht sich jedes Land von seiner besten Seite zu zeigen. Das haben wir 2006 in Deutschland auch gemacht, und zwar sehr erfolgreich. In dieser Atmosphäre denken viele Spieler: Ich kümmere mich hier um meinen Job „Fußball“, zu Politik äußere ich mich besser nicht. Mittlerweile bilden sich jedoch einige Spieler ihre Meinung über die Situation vor Ort und tun sie auch kund. Dass die Auseinandersetzung mit dem Umfeld des eigenen Sports wächst, finde ich gut und wichtig.

Erwarten die Zuschauer denn von Ihnen, dass Sie sich als ZDF-Experte ebenfalls mit den gesellschaftlichen Umständen des Sports befassen und das auch kundtun?

Ich kann mir schon vorstellen, dass Leute an meiner Meinung zu Geschehnissen interessiert sind, die über den Fußball hinausgehen. Grundsätzlich verstehe ich mich allerdings nicht als jemand, der zu allem und jedem seine Meinung kundtun muss. Bei der WM will das Publikum von mir wissen, was auf dem Platz geschehen ist. Meine politische Sicht ist da nicht gefragt.

Zumal Sie am gemeinsamen WM-Stützpunkt von ARD und ZDF in Baden-Baden diesmal ein ganzes Stück vom Ort des Geschehens entfernt sind.

Das stimmt.

Wird die Arbeitssituation verglichen mit der WM in Brasilien, die Sie vor Ort erlebt haben, da grundsätzlich anders?

Da lag unser Studio in der Tat direkt an der Copa Cabana auf diesem berühmten Balkon, von dem wir jeden Tag bei 35 Grad Celsius gesendet haben. Das ist natürlich eine andere Atmosphäre als Tausende Kilometer entfernt vom Geschehen. Für mich als Experte ist die Anwesenheit vor Ort aber nicht zwingend notwendig. Als wir von der Europameisterschaft 2016 in Frankreich berichtet haben, waren wir zwar in Paris, saßen aber die ganze Zeit im Sendezentrum des IBC.

Haben Sie die Stimmung nach den islamistischen Terroranschlägen dennoch gespürt?

Natürlich, die war in Paris schon sehr gedrückt.

Sie feiern dieses Jahr Ihren zehnten Geburtstag als ZDF-Experte.

Ja, mein Ziel ist es, Günter Netzer als längsten Experten abzulösen. (lacht)

Wie hat sich Ihre Arbeit vor der Kamera seit 2008 generell verändert?

Abgesehen von technischen Innovationen vor allem, dass sie immer mehr zur Teamarbeit geworden ist. Mittlerweile sind viel mehr Menschen um mich herum, mit denen ich mich austausche. Für die Spiel- und Taktikanalyse habe ich mir zusätzlich einen Fachmann vom Institut für Fußballmanagement zur Seite gestellt. Die technischen Möglichkeiten im Bereich der Spielanalyse wachsen also immer weiter. Meine Aufgabe besteht demnach darin, eine Unmenge an Informationen zu sortieren und zu gewichten, um dem Zuschauer etwas zu vermitteln, was er womöglich am Bildschirm selber so nicht gesehen hat. Das ist meine Kernaufgabe. Denn für das, was er ohnehin am Bildschirm sieht, braucht er ja keinen Experten.

Es hat sich also vor allem die Komplexität erhöht?

Klar. Natürlich ist eine Fußballweltmeisterschaft kein Hörsaal für die Trainerausbildung. Fußball muss immer auch unterhaltsam bleiben. Dennoch legt das Publikum heute sehr viel mehr als früher Wert auf fundierte Expertise.

Wenn Sie kommenden Dienstag das Champions-League-Halbfinale des FC Bayern München in Madrid mit einem möglichen WM-Halbfinale der deutschen Nationalmannschaft vergleichen – welches Spiel wäre Ihnen da wichtiger?

Ich habe beide Arten von Halbfinalspielen bereits selber intensiv erlebt. Von den Gefühlen her ist das sehr ähnlich.

Anders als bei Weltmeisterschaften ist dieses Halbfinale aber vorerst das letzte, bei dem Sie als ZDF-Experte arbeiten. Kommt da nicht ein bisschen Wehmut auf?

Doch, schon ein wenig. Die Champions League im ZDF war schon deshalb ein extrem wichtiger Faktor meiner Arbeit, weil ich beim absoluten Spitzenfußball hautnah dabei sein konnte. Da ist es schon ein bisschen traurig, dass es ab nächster Saison keine Champions League mehr im Free-TV gibt.

Haben denn Sky oder DAZN schon bei Ihnen angefragt, ob Sie wechseln wollen?

Mit DAZN arbeite ich ja schon längere Zeit zusammen. Wir entwickeln die Formate „Kahnalyse und Toranalyse“ für die Samsung-TV-App. Alles andere ist kein Thema.

Sehen Sie sich in vier Jahren bei der WM in Katar wieder als Experte im ZDF?

Also jetzt läuft mein Vertrag erst mal nach der Weltmeisterschaft aus, aber wir sind schon wieder in guten Gesprächen.

Und dann ginge es in Katar zur nächsten Autokratie, in der es zudem viel zu heiß ist zum Fußballspielen …

Weil meine Verträge in der Regel nur über zwei Jahre gehen, muss ich jetzt noch nicht über die nächste Europameisterschaft hinausdenken.

Jan Freitag

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