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Heller Kopf, dunkler Pullover: Nico Semsrott vor dem Mehringhof-Theater, wo er Ende November mehrmals auftritt. Gegen seine Angst hilft nur Applaus.

© Mike Wolff

Nico Semsrott im Porträt: Hinter der Maske

Als Jugendlicher ist Nico Semsrott depressiver Einzelgänger und hat Suizidgedanken. Seine Therapie: Applaus. Den bekommt er als Satiriker und Spaßpolitiker im Kampf gegen die AfD.

Nico Semsrott kommt im grünen Pullover zum Fototermin im Kreuzberger Mehringhof-Theater. Ausgerechnet Grün, die Farbe der Hoffnung. Er lacht, fährt sich durch seine verstrubbelten Haare und öffnet seine Tragetasche. Darin eine Flasche Wein, etwas Tee und ein schwarzer Hoodie. Den streift er sich über und zieht die Kapuze tief ins Gesicht. Plötzlich hängen die Schultern, er schweigt, seine Miene ist erstarrt. Der Komiker Semsrott ist jetzt in seiner Rolle. Es ist die Figur des Depressiven, der von der Bühne leise, manchmal stockend und vollkommen unemotional Politik und Gesellschaft kommentiert. Es ist eine Rolle, die er lange nicht spielen musste. Er war sie.

„Die Figur und ich waren am Anfang fast identisch“, sagt der gebürtige Hamburger nach dem Fotoshooting. Als Jugendlicher leidet er an schweren Depressionen. Tagelang liegt er lethargisch im Bett, weiß nicht, was aus ihm werden soll. Manchmal hat er Suizidgedanken. Der Tod beschäftigt ihn. Sein Therapeut ermutigt ihn, über seine Krankheit zu sprechen. Bei einem Poetry Slam auf der Hamburger Reeperbahn meldet er sich kurzentschlossen an und wird Vierter. Erster Verliererplatz. Trotzdem: „Die Anerkennung aus dem Publikum hat mir Mut gemacht.“ Semsrott macht weiter mit Poetry Slam. Mit jeder positiven Erfahrung schwinden die Depressionen. Als er einen Slam, bei dem er den schwarzen Kapuzenpulli trägt, gewinnt, ist die Figur geboren. Nach diesem Abend habe er beschlossen, dass er mit dieser Rolle Geld verdienen wolle, sagt Semsrott. „Einen Plan B hatte ich nicht.“

Plan A gelingt. Semsrott gewinnt Preise, darunter den Deutschen Kleinkunstpreis. In der deutschen Poetry-Slam-Szene macht er sich einen Namen. Als er im Sommer 2016 über die AfD herzieht, geht ein Video davon im Netz viral. Oliver Welke, Moderator der „heute-show“, wird auf den selbst ernannten „Demotivationstrainer“ aufmerksam und lädt ihn in seine Sendung ein. Auch hier sticht er hervor, erntet die lautesten Lacher des Abends. Erneut nimmt er die AfD aufs Korn, indem er ihre Logik entlarvt.

Die AfD regt ihn auf

„Ich thematisiere nichts, was mich nicht interessiert“, sagt Semsrott. Die AfD und ihre Menschenfeindlichkeit rege ihn wirklich auf. Semsrott ist ein politischer Mensch. Schon als Kind ist das so. „Mein katholisches Gymnasium hat mich total politisiert – allerdings gegen die Kirche“, sagt er. Tatsächlich liefert er sich in der Schule Auseinandersetzungen mit der Schulleiterin, einer alten Nonne. Weil die seine Texte für die Schülerzeitung „Sophies Welt“ zensiert, gründet er zusammen mit seinem Bruder die alternative Schülerzeitung „Sophies Unterwelt“. In der Schule wird der Verkauf verboten, vor Gericht erreicht er, dass er die Zeitung vor der Schule verkaufen darf. In einem Dixiklo. Später wird das Blatt zur besten Schülerzeitung Hamburgs gewählt, Semsrott hat die Schule da bereits abgeschlossen.

Ein abgebrochenes Geschichtsstudium (nach sechs Wochen), zwei journalistische Praktika (acht Wochen, ein Text), zwei gescheiterte Parteieintritte (SPD und Grüne Jugend) und seine Depressionen können ihm nicht das Interesse an der Politik austreiben.

Bei der Bundestagswahl 2017 tritt er für die Satirepartei Die Partei an. „Ich wurde gefragt und dachte, es sei ein Witz.“ War es aber nicht. Wenige Tage später bekommt er eine SMS. Er ist zum Spitzenkandidaten gewählt worden. In Berlin ist sein Gesicht fortan auf Wahlplakaten zu sehen, darüber Sprüche wie: „Die Hoffnung stirbt zuletzt. Aber sie stirbt.“ Sogar die „Washington Post“ berichtet über ihn. „Ich fand es glatt unangemessen, wie viel Aufmerksamkeit wir bekommen haben. Das ist aber auch die logische Folge eines Wahlkampfs ohne Streit.“

Kurze Rede in Kreuzberg

Straßenwahlkampf macht er keinen („da wäre meine Figur unglaubwürdig geworden“), aber als Die Partei den Kreuzberger Heinrichplatz in „Arbeitsplatz“ umbenennt, hält er eine kurze Rede. „Dadurch hatte jeder in Kreuzberg einen Arbeitsplatz – so viel hat im Bezirk niemand erreicht“, sagt er. Dass solche Aktionen die Politikverdrossenheit fördern, glaubt Semsrott nicht. Im Gegenteil: „Ich glaube, viele Nichtwähler geben uns ihre Stimme. Wer Die Partei wählt, hat sich auf jeden Fall Gedanken gemacht.“

2,1 Prozent der Zweitstimmen erhält Die Partei bei der Bundestagswahl in Berlin, in Kreuzberg mehr als sechs, im Bundesschnitt ein Prozent. Und dass, obwohl linke Kommentatoren vorab vor einer Wahl der Satirepartei gewarnt hatten. Ihr Vorwurf: Wer die Spaßpolitiker wählt, verschenkt seine Stimme – und unterstützt damit letztlich die AfD. Semsrott, selbst „irgendwie ein Linker“, der gerade von Hamburg nach Friedrichshain zieht („ist politischer dort“), findet die Haltung gegen Die Partei in Ordnung. Trotzdem ist er überzeugt, dass Satiriker seit dem Auftreten der AfD und dem einhergehenden Politikwechsel wichtiger geworden seien. „Es gibt Debatten, in denen Satiriker wie die Stimme der Vernunft wirken.“ Er will die AfD als das bloßstellen, was sie in seinen Augen ist: Eine Quatschpartei. Im Wahlkampf veröffentlicht er die Mitgliederbeiträge für AfD (120 Euro) und Partei (zehn Euro). „Wir sind also die Partei des billigen Populismus, sagt er, lacht und schiebt hinterher. „Mal im Ernst, wir haben mehr Mitglieder als die AfD. Man sollte die nicht größer machen, als sie sind.“

Noch am Wahlabend tritt Nico Semsrott als Parteichef zurück. Trotzdem läuft es für den 31-Jährigen gut. Bis April ist er deutschlandweit auf Tour, dazu hat ihn die „heute-show“ für fünf weitere Auftritte gebucht. Ein Rest Angst bleibt jedoch immer. Vor großen Auftritten kommen die Zweifel. „Ich befürchte zu scheitern“, sagt er. Gleichzeitig gebe ihm erst der Applaus des Publikums die nötige Befriedigung. Deshalb zieht er die Kapuze tief ins Gesicht und geht auf die Bühne. Sein altes Ich ist seine Maske.

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