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Neue Führung der Militärforscher in Potsdam: „Den Kompass der Soldaten justieren“

Am 29. September übernimmt Jörg Hillmann als neue Kommandeur die Führung des Zentrums für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr in Potsdam. Ein Gespräch über die schwierige Ausbildung der Soldaten, Lehren aus den deutschen Angriffskriegen und einen Hanseaten in Brandenburg.

Herr Hillmann, Sie übernehmen am Freitag, 29.9.2017, die Führung des Potsdamer ZMSBw – was wird sich ändern?

Zunächst wird sich erst einmal gar nichts ändern. Ich werde mir einen Überblick verschaffen und mit den Mitarbeitern sprechen. Am wichtigsten wird sein, in Ruhe zuzuhören. Mir geht es darum, das Haus kennenzulernen. In dem Haus ist bislang schon von meinen Vorgängern sehr viel erreicht worden. Darauf möchte ich aufbauen. Es geht mir auch darum, an dem Bewährten festzuhalten.

Also kein Reformbedarf?

Nach meinem Amtsantritt gilt es erst einmal, Kontinuität zu wahren. Wenn ich das Haus kennengelernt habe, sehen wir weiter. Die Ausrichtung des Zentrums ist durch meine Vorgänger deutlich definiert worden. Für mich bleiben die militärgeschichtliche und die sozialwissenschaftliche Grundlagenforschung der Dreh- und Angelpunkt der Einrichtung. Das ist wichtig für die Ausrichtung des Hauses als Ressortforschungseinrichtung, es ist aber auch wichtig im Rahmen einer internationalen Aufstellung des Hauses.

Inwiefern?

Bestehende Kooperationen mit anderen nationalen und internationalen Institutionen will ich weiter intensivieren. Die Aus- und Weiterbildung für Dozenten im Bereich der Militärgeschichte liegt mir am Herzen. Das ZMSBw soll auch weiterhin in der ersten Liga spielen. Die Einrichtung hat tolle Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler – auf diesem Niveau soll es weitergehen. Das beinhaltet für mich auch das Militärhistorische Museum in Dresden, das mit uns eng verbunden ist.

Welche Forschungsfragen stehen für Sie im Vordergrund?

2019 wird sich das Ende des Ost-West- Konfliktes jähren. Wir haben nun Zugang zu den Originalquellen. Es geht um die Aufarbeitung des Kalten Krieges, es geht um die deutsch-deutsche Militärgeschichte. Das sind Dinge, die am Haus bereits eingeleitet sind. Zum Zweiten wird es auch darum gehen, die Einsatzgeschichte der Bundeswehr fortzuschreiben. Gleichwohl bleibt es auch wichtig, das Zeitalter der Weltkriege und auch die Militärgeschichte der DDR weiter zu erforschen. Letzteres war schon immer eines der Alleinstellungsmerkmale der Potsdamer Militärhistoriker. Dass Militärgeschichte und Sozialwissenschaftler im ZMSBw sich nun seit 2013 unter einem Dach vereinigt gemeinsam diesen Forschungsfragen widmen können, ist ein großer Vorteil.

Die Geschichte der Weltkriege ist für Deutschland ein zentrales Thema. Welche Lehren kann man gerade auch in der Vermittlung für Rekruten daraus ziehen?

Wichtig bleibt, dass die Erinnerung an die beiden Angriffskriege, die im vergangenen Jahrhundert von deutschem Boden ausgingen, wachgehalten wird. Auf diese Weise wird überhaupt erst verständlich, warum die Deutschen heute so sind, wie sie sind. Warum wir uns in internationalen Gremien so und nicht anders verhalten. Das ist eine Lehre, die wir aus der Geschichte gezogen haben. Das müssen auch die Soldaten verstehen, warum wir oft zurückhaltend sind. Die Soldaten müssen wissen, dass Deutschland in der Zeit von 1933 bis 1945 in den Abgrund geführt wurde – unter Beteiligung deutscher Soldaten. Und es gab nur sehr wenige, die dagegen aufbegehrt haben. Ganz besonders wichtig ist auch zu wissen, dass von deutschem Boden die systematische und industrielle Vernichtung der europäischen Juden ausgegangen ist. Das ist einer der ganz wesentlichen Punkte, die wir unseren Soldaten vermitteln müssen. Daraus kann man viel lernen.

Zum Beispiel?

Dass es ein ungeheures Glück ist, im heutigen Deutschland zu leben.

Wurde das den Soldaten bisher nicht ausreichend vermittelt? Ich denke an die Vorfälle dieses Jahres, etwa den Fall Franco A. oder Wehrmachts-Devotionalien in Kasernen.

Diese Vorfälle werden und wurden aufgearbeitet, die entsprechenden Konsequenzen werden beziehungsweise wurden daraus gezogen. Diese Vorfälle haben uns alle sehr stark sensibilisiert.

Gibt es hier auch einen Nachholbedarf in der historischen Ausbildung der Soldaten?

Dazu muss man sagen, dass wir in allen Ausbildungseinrichtungen der Bundeswehr heute stark mit der Ressource Zeit zu kämpfen haben. Wir müssen schauen, was wir in der zur Verfügung stehenden Zeit tatsächlich unterbringen können. Mein Ziel ist es daher auch, alle Offiziers- und Unteroffiziersschulen zu besuchen, um mir einen Überblick zu verschaffen.

Wie viel Geschichtswissen braucht ein deutscher Soldat heute?

Da muss man zunächst fragen, wie viel Geschichtswissen ein Bundesbürger heute braucht. Innerhalb der Bundeswehr können wir in den Ausbildungsgängen nicht das nachholen, was in der Schule versäumt bzw. nicht unterrichtet wurde – oder von den Lernenden nicht angenommen wurde. Ein Gewinn wäre es, wenn sich Lernende auch nach dem Unterricht aus eigenem Interesse mit der Geschichte befassen würden.

Aber?

Dazu braucht es begeisterte und begeisternde Lehrer.

Ist Geschichtsbewusstsein heute eine soldatische Kompetenz?

Sicher ist das so. Wir müssen auf der anderen Seite aber auch darauf achten, dass wir unsere Soldaten nicht überfrachten. In erster Linie bleibt wichtig, dass der Soldat, wenn erforderlich, erfolgreich kämpfen und überleben muss. Um diese Kernkompetenz des Kämpfens müssen wir sehr behutsam weitere Kompetenzbereiche legen. Hierzu gehört sicherlich auch, Geschichtsbewusstsein zu schaffen, um den Kompass des Soldaten zu justieren und sein Wertegerüst zu stärken. Der Soldat muss wissen, wofür er kämpft und warum er kämpft. Der Soldat muss erkennen, warum es sich lohnt, für unser Land und damit auch für Europa einzutreten.

Inwiefern hat sich heute das Selbstverständnis in der Bundeswehr geändert?

Bis zum Ende des Kalten Krieges waren wir zwar alle für den Ernstfall gerüstet, hofften aber innerlich, nie zum Einsatz kommen zu müssen. Eines der Schlagworte war damals, dass der Frieden der Ernstfall sei. Die neue Rolle im Rahmen der Sicherheits- und Verteidigungspolitik der Europäischen Union wie auch die Beteiligung der Bundeswehr an Nato-Einsätzen hat zu einem anderen Selbstverständnis in den Streitkräften geführt, was heute mit „Einsatzarmee in der Landes- und Bündnisverteidigung“ umschrieben werden kann.

Erfordern die Auslandseinsätze andere Ansatzpunkte für dem militärhistorischen Unterricht?

Wir müssen uns permanent die Frage stellen, wie wir die Einsätze der Streitkräfte auch künftig unterstützen können. Darin müssen wir beständig besser werden. Es geht im Lernstoff darum, den Soldaten zu erklären, wohin sie gehen, aber auch warum sie dort hingehen und gegebenenfalls auch warum dies aufgrund der deutschen Vergangenheit manchmal schwierig sein kann. Die Nachbereitung der Einsätze wiederum kann einen Optimierungsprozess für künftige Einsätze einleiten. Bei der Vorbereitung, Begleitung und Nachbereitung der Einsätze ist das Haus bereits bestens aufgestellt.

Auch dank der Sozialwissenschaftler, die 2013 zu den Militärhistorikern stießen?

Die Zusammenlegung des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes Potsdam mit dem Sozialwissenschaftlichen Institut der Bundeswehr sehe ich als einen wirklichen Glücksfall. Die räumliche Nähe ergibt gegenseitige Inspiration. Historiker können viel von den Sozialwissenschaftlern lernen – und umgekehrt. Anhand der Projekte lässt sich ablesen, wie viel das Haus und damit auch die Bundeswehr von dem interdisziplinären Ansatz profitiert haben.

Ihr persönliches Steckenpferd in der Militärgeschichte?

Es sind zwei Themen, die mich besonders umtreiben. Zum einen ist das die Entwicklung von strategischen Konzeptionen im Militär, und daran anschließend die Frage, was daraus wurde. Zum Beispiel die Planungen des Großen Generalstabes im ausgehenden 19. Jahrhundert. Das zweite Thema ist der militärische Widerstand gegen Hitler. Das ist für mich ein beispielgebendes Thema, weil es zeigt, dass Ausweglosigkeit immer nur scheinbar ist und es diejenigen Lügen straft, die immer behauptet haben, man habe ja keine Alternativen des Handelns während des Krieges gegen das NS-Regime gehabt und die deswegen mitmachten statt aufzubegehren.

Sie sind Kapitän zur See und Hanseat – was bedeutet es für Sie, nun in den Potsdamer Binnenhafen einlaufen zu müssen?

Dem sehe ich ausgesprochen aufgeschlossen und positiv entgegen, weil ich mich sehr auf meine Aufgabe hier freue. Ich bin ein typischer Norddeutscher, in Bremen geboren und habe bislang in Hamburg, aber auch in Brüssel gelebt. Nach Potsdam komme ich nun sehr gerne.

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Zur Person

Jörg Hillmann (Jg. 1963) war vor seinem Amt als Kommandeur des Offizier und Erziehungswissenschaftler Hans-Hubertus Mack.

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