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Effizient. Mit Massenimpfungen ging die DDR nachhaltig gegen Infektionskrankheiten vor. Seit den 70er-Jahren fiel die Gesundheitsversorgung in der DDR allerdings stark ab.

© Andreas Lander/dpa

Nazis im DDR-Gesundheitssystem: Autoritäre Traditionsstränge

Historiker untersuchen NS-Kontinuitäten in der DDR-Gesundheitspolitik nach dem Zweiten Weltkrieg. Und stoßen auf einen mysteriösen Todesfall.

Potsdam - Zwei Jahre nach dem Ende des Zweiten Krieges wird der Arzt Paul Konitzer auf einer Dienstreise nach Berlin vom russischen Geheimdienst MWD verhaftet. Nur wenige Tage später stirbt Konitzer unter bis heute ungeklärten Umständen. Mal habe er sich in der Haft das Leben genommen, eine andere Version behauptet, dass er erschossen in einer Kiesgrube bei Biesdorf lag. Der erste Präsident der Deutschen Zentralverwaltung für das Gesundheitswesen, sozusagen der erste Gesundheitsminister in der Sowjetischen Besatzungszone, und Mitglied der SED, war für seine Verbrechen während des Nationalsozialismus verhaftet worden. Während des Zweiten Weltkrieges war er in seiner Funktion als Arzt unter anderem für Hygiene-Inspektionen in Kriegsgefangenenlagern zuständig, wie im Lager Zeithain in Sachsen, in dem über 10 000 russische Kriegsgefangene unter erbarmungswürdigen Zuständen zusammengepfercht waren und viele an Epidemien, Krankheiten und Unterversorgung starben.

Seit Juli dieses Jahres erforscht das Zentrum für Zeithistorische Forschung in Potsdam (ZZF) die Geschichte des Ministeriums für Gesundheitswesen der DDR. Es sollen innerhalb von zweieinhalb Jahren die personellen, institutionellen und programmatischen Kontinuitäten und Neuanfänge nach dem Nationalsozialismus in der Gesundheitspolitik der DDR untersucht werden. Bei dem zweieinhalbjährigen Projekt sollen zunächst die Biografien der ehemaligen leitenden Mitarbeiter des Ministeriums untersucht werden. Dabei wird überprüft, inwieweit die Mitarbeiter in nationalsozialistischen Organisationen waren und ob sie an Verbrechen, wie Zwangssterilisationen, Euthanasie, medizinischen Versuchen oder der systematischen Unterversorgung von Kriegsgefangenen beteiligt waren.

Die Untersuchung zieht große Aufmerksamkeit auf sich: Mehrere Bundesministerien haben die Wissenschaftler in Potsdam im Visier

Geleitet wir das Projekt von Frank Bösch und Winfried Süß, Jutta Braun wird das Material auswerten und ein Buch verfassen. Die Untersuchung steht im Kontext der Forschung mehrerer Bundesministerien und größerer Bundesbehörden, die ihre Geschichte von unabhängigen Wissenschaftlern untersuchen lassen, wie Süß erklärt. Dabei werden NS-Kontinuitäten in den Innenministerien in der Bundesrepublik und DDR untersucht.

Die Erforschung des Gesundheitswesens steht noch am Anfang. Einige Tendenzen ließen sich jedoch bereits ausmachen, sagt Süß. Wie zum Beispiel, dass auch in der DDR Personen im öffentlichen Gesundheitswesen arbeiteten, die zuvor Anhänger des Nationalsozialismus waren oder die gar an Verbrechen des Nazi-Regimes beteiligt waren, wie die Biographie von Konitzer zeigt. „Generell kann man sagen, dass es in der DDR deutlich weniger ehemalige Nationalsozialisten im öffentlichen Gesundheitswesen gegeben hat als im Westen. Aber eben nicht, wie die DDR gerne behauptet hat, überhaupt keine“, so Süß. Die Untersuchung zeige, dass die Farben der Geschichte nicht einfach schwarz-weiß sind.

Inwieweit haben NS-Eliten das DDR-Gesundheitssystem geprägt?

Ob und inwieweit dieses Personal, das in der NS-Zeit politisch sozialisiert worden ist, das Gesundheitswesen der DDR mitprägten, und welche Traditionsbestände nach 1945 fortgeführt wurden, ist ein Hauptbestandteil der Untersuchungen des ZZF. Als einen solchen autoritären Traditionsstrang könne man zum Beispiel Massenreihenuntersuchungen oder auch -impfungen sehen, die durchaus als Eingriff in die Persönlichkeitsrechte der Bürger angesehen werden könnten und die im Westen nicht mehr gemacht wurden.

Die Traditionslinie reiche dabei aber noch länger zurück: Solche Untersuchungen seien nicht nur im Nationalsozialismus erfolgt, sondern könnten bis ins Kaiserreich zurückverfolgt werden, gibt Süß zu bedenken. Tatsache ist, dass das Gesundheitswesen der DDR auch dank solcher Praktiken sehr effizient war. „In den 50er- und 60er-Jahren war das Gesundheitswesen international sehr konkurrenzfähig, wenn man sich die Statistiken der Todesursachen, die Entwicklung der Kindersterblichkeit, der Säuglingssterblichkeit anschaut.“

Bestimmte Gruppen sollten in der DDR medizinisch besonders gut versorgt werden

Insgesamt habe die Gesundheitspolitik in der DDR eine sehr wichtige Rolle gespielt, so Süß. Gruppen die gesundheitlich besonders gefährdet waren, zum Beispiel Arbeitnehmer in körperlich anstrengenden oder risikoreichen Berufen, sozial Schwache, Mütter und Kinder sollten besonders gut versorgt werden. Um eine Gesundheitsversorgung nach Klassenlage zu verhindern, wurde eine Einheitsversicherung eingeführt. Die Versorgung durch niedergelassene Ärzte wurde Stück für Stück von staatlichen Ambulatorien übernommen, wie Süß erklärt. Das Gesundheitswesen der DDR wurde so allmählich verstaatlicht. Aus Sicht der 1950er-Jahre, in denen dieser Prozess stattfand, seien das durchaus fortschrittliche Maßnahmen gewesen, so Süß. „Das hat es in den Skandinavischen Ländern und Großbritannien in ähnlicher Weise gegeben, nur unter demokratischen Vorzeichen.“

Erst in den 1970er-Jahren änderte sich die Entwicklung dramatisch. Das hing mit der schlechteren Ressourcenausstattung zusammen und damit, dass bestimmte Krankheiten, die die DDR mit ihrem eher autoritären Ansatz gut in den Griff gekriegt hatte – etwa Infektionskrankheiten oder Tuberkulose – keine Rolle mehr spielten. Seit den 70er-Jahren waren dann aber chronisch-degenerative Krankheiten, etwa Herz-Kreislauf-Erkrankungen, verstärkt zum Problem geworden, gegen die man nicht einfach impfen konnte. „Am Ende war die DDR in ihrer Gesundheitspolitik, besonders aber in der Sterblichkeitsentwicklung, sehr, sehr schlecht aufgestellt“, so Süß. Vor allem die Männer seien in den späten 80er-Jahren in der Regel einige Jahre früher gestorben, als in Westdeutschland. Es habe nach der Wende 20 Jahre gedauert, bis sich solche Unterschiede wieder angeglichen hatten.

Sarah Stoffers

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