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Helene Fischer gilt als der Star der Schlagerbranche. Ihre Weihnachtsshow sahen 2016 fast sechs Millionen Menschen im ZDF.

© dpa

Musikmarkt: Die Welt hinter "Atemlos"

Die Sängerin Helene Fischer half, den Schlager zu entstauben. Trotzdem will nicht jeder Sender diese Musik spielen.

Noch vor zehn Jahren stand Schlager gemeinhin für alles, was altbacken war: Partykeller, Mitklatschlieder, Dieter Thomas Heck und die „ZDF Hitparade“. Im Fernsehen starb der Schlager eines natürlichen Todes: 2000 wurde die „Hitparade“ nach 31 Jahren eingestellt. Das Image des Schlagers war mies, öffentlich-rechtliche Fernsehsender reduzierten ihr Schlagerprogramm radikal.

Spätestens seit Helene Fischers Hit „Atemlos durch die Nacht“, der 2013 die Singlecharts stürmte und sich 116 Wochen dort hielt, ist der Schlager in der breiten Masse wieder präsent und modern konnotiert. Fischers hochgelobtes Album „Farbenspiel“ von 2013, auf dem auch „Atemlos“ ist, befindet sich seit 215 Wochen in den Top 100 der deutschen Albumcharts.

16 Echos erhielt Fischer seit 2009. Am ersten Weihnachtsfeiertag wird sie zum siebten Mal die jährliche „Helene Fischer Show“ (ZDF) moderieren, eine Musiksendung mit namhaften Schlager- und Popsängern. 2016 schalteten 5,95 Millionen Menschen ein.

Der Schlager war nie weg

Einer Umfrage zufolge mögen mehr als die Hälfte der Deutschen gerne Schlager. Doch die Fans kamen nicht erst mit Fischer, sondern jauchzten schon früher bei Größen wie Rex Guildo oder Roland Kaiser. Fragt man Branchenkenner nach dem „Schlager-Boom“, sagen sie einhellig: Schlager war nie weg. Und: Schlager ist das deutsche Wort für Hit, bedeutet also kommerziell erfolgreicher deutschsprachiger Popsong, woraus schließlich ein Genre wurde.

Oliver Dunk, Chef des Schlagerradiosenders B2, erklärt: „Der Schlager aus der Vergangenheit hat nur ein schlechtes Image bei denen, die ihn nicht mögen. Das sind oft Leute, die ein Problem mit deutschsprachiger Musik haben.“

74 000 Hörer schalten den UKW- und Kabelsender B2 in der Durchschnittsstunde werktags ein. Die Hörer sind im Schnitt 49 Jahre alt. Zum Vergleich: Der meistgehörte private Sender in Berlin und Brandenburg ist 104.6 RTL mit 160 000 Hörern in der Durchschnittsstunde, der meistgehörte öffentliche Sender ist Antenne Brandenburg mit rund 166 000 Hörern.

Tatsächlich machte Helene Fischer den Schlager wieder populär und verschaffte ihm Akzeptanz in einer breiteren Masse, sagt Dunk. „Aber es ist nicht alleine das Phänomen Fischer, sondern auch ein verändertes Bewusstsein für deutsche Sprache. Die Leute merken: Es ist nicht alles schlecht, was aus Deutschland kommt.“ Um 221 Prozent stieg die Zahl der Hörer bei Radio B2 innerhalb eines Jahres.

Schlager polarisiert die Hörer

Auch der Chef des Schlagersenders Radio Paloma, Thomas Ulrich, sagt, der Schlager sei schon immer populär gewesen. Etwa 100 000 Hörer hören den Sender werktags stündlich.

Auffällig ist, dass Schlagermusik vor allem in Spartenprogrammen stattfindet. Die öffentlich-rechtlichen Hörfunkanstalten haben das Liedgut überwiegend in Digitalradios verfrachtet. Im Norden gibt es NDR Plus, der schlagerbegeisterte Osten bekam die MDR Schlagerwelt, der Volkstum-affine Süden Bayern Plus. Ist Schlagermusik im Radio immer noch ein Abschaltgrund? Schlager polarisiert, entweder man liebt oder man hasst ihn, während Silbermond, Herbert Grönemeyer oder Tim Bendzko, die auch kommerziell erfolgreichen Deutschpop und damit Schlager machen, eher toleriert werden.

„Warum spielt 104.6 RTL keinen Schlager, warum spielt B2 kein Hot-AC?“, fragt Oliver Dunk rhetorisch. „Ganz einfach: Weil die Leute abschalten“. „AC“ ist Branchensprech für Adult Contemporary, ein Radioformat, das erfolgreiche Popmusik spielt und auf Durchhörbarkeit setzt: werbekundenfreundlicher Mainstream, ohne Schlager.

Für bestimmte Zielgruppen uninteressant

„Mit Songs wie ,Atemlos‘ würde RTL 50 Prozent der Hörer verlieren, das Gleiche würde Radio B2 mit Justin Bieber passieren“, so Dunk. Radio sei kein Gemischtwarenladen und alle Sender so gesehen Spartensender. Auf anderen Kanälen mit anderen Zielgruppen funktioniere Schlager nicht.

Thomas Ulrich hat eine andere Theorie: „Das Schlagerpublikum ist zum Teil 50 aufwärts, das ist für die Werbewirtschaft nicht so interessant. Das ist ein Grund, warum Privatradios das Thema ungern anfassen.“ Das „zum Teil“ betont er. „Die kommerziellen Radiosender befürchten, durch Schlager den Altersdurchschnitt in der angestrebten Hörerzielgruppe zu erhöhen.“

Die werberelevante Zielgruppe liegt bei 14 bis 49 Jahren. Bei Radio Paloma gehören 12 000 Hörer dieser Altersgruppe an, bei Radio B2 sind es 29 000. Um Hörern, Werbekunden und Medienanstalten gerecht zu werden, gehen viele werbefinanzierte Sender Kompromisse im Programm ein. Die digitalen Kanäle, so Ulrich, ermöglichen es, Hörerwünsche zu erfüllen, ohne Kompromisse zu machen.

Die Grenzen zwischen Schlager und Pop sind fließend. Warum der eine Deutschpopsong ein Schlager ist, der andere nicht, darüber sind Experten uneins. Eine Rolle spielen Text und Instrumentalisierung der Lieder.

Auch junge Leute hören Schlager

Der Musikwissenschaftler Martin Lücke erklärt, viele Menschen würden mit Schlager eine bestimmte Art von Musik assoziieren. „Eigentlich ist es die Abgrenzung der Musikindustrie und der Radiosender, die sich tendenziell an ein älteres Publikum richtet. Daneben steht Popmusik für die jüngere Generation.“

Schlager ist Popmusik für alte Leute? Nein: „Für Jahrzehnte konnte man diese Trennung machen.“ Seit Ende der 1990er mit Guildo Horn oder den Ballermann-Hits gehe das nicht mehr. „Das sind Künstler, die auch von Jüngeren gehört werden.“

Im Fernsehen ist der Schlager, wie fast alle Musikrichtungen, nur spärlich vertreten. Auch hier sind es Spartensender wie „Deutsches Musik Fernsehen“ oder „Goldstar TV“, die nur Schlagermusik senden. Bei MDR, NDR und RBB ist derzeit keine Ausweitung des Angebots geplant.

Immer die gleichen Namen

Allerdings hat der MDR regelmäßig Shows wie „Meine Schlagerwelt“ und „Schlager einer Stadt“ im Programm. Am Samstagabend läuft eine Weihnachtssendung mit Kim Fisher, vergangenen Mittwoch präsentierte Gunther Emmerlich seine Weihnachtslieder mit Stars wie Helene Fischer und Stefanie Hertel.

Immer die gleichen Namen. „Es gibt Shows von Helene Fischer und Andrea Berg, aber dahinter wird’s eng“, sagt der Musikwissenschaftler. „Die Sender versuchen, vom Erfolg der drei, vier Szenegrößen abzuschöpfen und fokussieren sich darauf. Für Nachwuchskünstler kann es schwierig werden.“

Helene Fischer bringe Quote, obwohl das für die öffentlich-rechtlichen Sender kein Argument sein sollte. Glaubt man den Umfragen, würde rund 50 Prozent der Deutschen mehr Schlagerfernsehen gefallen.

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