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Journalistin wird Aktivistin. Zarah Wolf (Claudia Eisinger) setzt sich bei einer Abtreibungsfahrt nach Holland selbst ans Steuer.

© ZDF und Georges Pauly

Mit "Zarah" in die wilden 70er: Titel, Titten, Temperamente

Will das ZDF nun zu neuen Ufern aufbrechen? Zarah Wolf mischt Illustrierte „Relevant“ auf, eine TV-Serie die 70er Jahre.

Das ist schon raffiniert, die Geschichte als Arbeitsplatz-Drama in einer Illustrierten-Redaktion zu platzieren. Hier heißt die Zeitschrift „Relevant“ (sie könnte auch „Stern“ heißen), erscheint wöchentlich und will mit einer geilen Titelstory ihre Millionenauflage behaupten. Es sind die 70er, vielleicht das goldene Zeitalter des Journalismus, weil sich die bundesdeutsche Gesellschaft aufgemacht hat. Nicht die ganze, bestimmt aber der weibliche Teil: Kampf gegen den Paragraf 218, gegen einen alltäglichen Sexismus, gegen eheliche Gewalt – und für Gleichberechtigung auf allen Ebenen. Diese Themen sollen ins Blatt, so tritt Zarah Wolf (Claudia Eisinger) als stellvertretende Chefredakteurin an. Die namhafte Autorin und engagierte Frauenrechtlerin kämpft sofort um Titelgeschichten, Cover, sie will die Emanzipation nicht im Frauenkreis, sondern massenwirksam im Massenmedium voranbringen. Die Macht soll mit ihr sein.

„Zarah“ ist eine laute Serie vom Typ TV-Mottoparty 70er Jahre. Alpha-Männer im Stress mit Frauen, deren Selbstbewusstsein wächst – und das in einem journalistischen Milieu, das vor eigener Wichtigkeit platzt. Es knallt schon bei den Episodentiteln: „Titel & Titten“, „Ich hab auf sein Grab gepinkelt“, „Ballern & Bumsen“. Die sechs Teile haben sich jede Verdruckstheit verboten und ziehen sich damit eine leichte Verkrampfung zu. Alles muss groß sein, grell, dabei waren die damaligen Verklemmungen, Verhärtungen auch subtil, verborgen, heimlich.

Die Autoren Eva Zahn und Volker A. Zahn haben die Hauptfigur der Zarah Wolf mit großer Sorgfalt gebaut und übergroßer Aufgabe ausgestattet. Wolf muss zu viel von der Zeitgeschichte schultern: Ihre Mutter ist eine total angepasste Frau der Kriegs- und Nachkriegszeit, ehe sie an Krebs erkrankt. Der Vater war ein schlimmer Nazi, ein SS-Mann, erst auf dem Sterbebett verrät die Mutter, dass Zarahs Vater tatsächlich ein anderer war.

Die Wolf fährt den Bus mit den abtreibungswilligen Frauen durch die Menge der Abtreibungsgegner, sie tauscht in der Druckerei den sexistischen Titel aus, sie liebt Männer und Frauen, und dann auch noch die Tochter von Verleger Frederik „Titten“-Olsen. Zarah Wolf ist eine sehr intensive Frau, die sich auf journalistisch-feministische Heldenreise begibt.

Im Überzeugungskern der Bantry Bay Productions ist „Zarah“ die Fruchtbarmachung der 70er Jahre für das heutige Fernsehen, das Quod-erat-demonstrandum, dass Journalismus ein TV-Thema jenseits der Vierten Gewalt sein kann, dass Frauen und Männer, so sehr sie für Menschen einer bestimmten Zeit einstehen sollen, 360-Grad-Menschen sein können. Wo große Geheimnisse und kleine Dämonen hausen. Und ein Wahnsinns-Soundtrack der 70er-Scheiben, der die Handlung hebt, transzendiert.

Die „Relevant“-Redaktion überzeugt durch Relevanz

Der Cast setzt nicht auf große Namen, er setzt auf starke Schauspielerinnen und Schauspieler mit einem Entdeckungspotenzial, das bei Claudia Eisinger anfängt und bei Torben Liebrecht als Chefredakteur Hans-Peter Kerckow nicht aufhört. Jörn Hentschel (Politikchef Wolfgang Schaffelgerber), Theresa Underberg (Chefsekretärin Brigitte Jansen), Leon Ulrich (Tom Balkow, Leiter der Grafik), Ole Puppe (Kulturchef Georg Hartwig), Svenja Jung (Volontärin Jenny Olsen), Uwe Preuss als Verleger Fred Olsen – die „Relevant“-Redaktion überzeugt durch Relevanz. Und wenn nicht alle hinter ihren Figuren stehen würden, dann wäre es aus mit der Kollektivkraft der anziehenden wie abstoßenden Egos.

Claudia Eisinger zeigt beides: das Unbedingte einer öffentlichen Person, einer Journalistin mit Auftrag, das auch Zweifelnde einer Frau, ob ihre Überzeugungen und Gewissheiten über Kollegen, Menschen und Mütter immer stimmen und nur stimmen müssen, weil sonst ihr Weltbild wackelt und ihre Planwirtschaft nicht aufgeht. Die Eisinger ist ein Ereignis, ihr Spiel wirkt vom Leben beglaubigt.

Wer in der Historie arbeitet, muss erst mal bei Kostümbild (hier: Petra Kilian) und Ausstattung (Zazie Knepper) glänzen. Wer bei der Klamotte oder beim Bierglas versagt, der hat beim argusäugigen Zuschauer schon versagt. „Zarah“ versagt nicht. Kostüm und Ausstattung schaffen die Atmosphäre, dominieren sie aber nicht. Die Inszenierung von Richard Huber und die Kamera von Robert Berghoff können in dieser Atmosphäre frei atmen, frei arbeiten. Der Blick ist „normal“, es wird nicht in einen Menschenzoo hineingeschaut, die Figuren schauen sich um, sie schauen zu sich, um sich, zu den anderen. Die Geschichte entwickelt sich parallel zu den Figuren, nichts und niemand wird ausgestellt. „Zarah“ ist relevant.

Und das Intro zur Serie, ein Lippenstift, der Schreibmaschine, Whiskyglas und Zigarre zerschlägt, zerstäubt, dieses Intro zeigt, dass das ZDF zu neuen Ufern aufbrechen will. Dorthin, wo große Mädels und Jungs mit dem spielen, was eine Dramaserie ausmacht.

„Zarah“, ZDF, Donnerstag, 21 Uhr

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