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Homepage: Mit der Gräfin auf dem Sofa

Indiskretionen aus der Revolutionszeit nach 1789: Potsdamer Editoren liefern Band 2 der Briefe an Jean Paul

Indiskretionen aus der Revolutionszeit nach 1789: Potsdamer Editoren liefern Band 2 der Briefe an Jean Paul Von Guido Berg „Nicht wahr, niemand, niemand sieht meine Briefe?“ Diese Zeile schrieb Charlotte von Kalb am 28. März 1796 als Schlusssatz eines Briefes an den Schriftsteller Jean Paul. Ihre Hoffnungen auf Diskretion erfüllten sich jedoch nicht. Nicht nur Jean Pauls bester Freund Christian Otto durfte in den Briefen der Seelenfreundin von Goethe und Schiller lesen. Mittlerweile kann es sogar tun, wer Lust dazu hat: Die Potsdamer Arbeitsstelle Jean Paul-Edition der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften hat ihren zweiten Band der an Jean Paul gerichteten Briefe herausgegeben. Er umfasst die Briefe aus dem Zeitraum von 1794 bis 1797. Während der Band 1 der Briefe von 1781 bis 1793 noch von heute weitgehend unbekannten Jugendfreunden und -freundinnen geschrieben wurde, tauchen im zweiten Band bereits namhaftere Briefautoren auf. Unter anderem war es – neben Anna Amalia von Sachsen-Weimar und Johann Gottfried Herder – eben auch die Schriftstellerin Charlotte von Kalb, die vertrauensvoll an Johann Paul Friedrich Richter (1763-1825) schrieb, wie der Romancier mit bürgerlichem Namen hieß. „Indiskret ist es schon, die teils sehr persönlichen Schriften aller Welt auf das Lesepult zu legen“, gesteht Jörg Paulus unumwunden ein. Auch hätten es die betreffenden Leute sicher schrecklich gefunden, wenn sie nur geahnt hätten, was mit ihrer Post 200 Jahre später geschehe. Der Potsdamer Herausgeber des zweiten Bandes ergänzt aber, „es macht Spaß“, sich mit Briefen zu beschäftigen, da diese eine „sehr lebendige Textsorte“ seien. Er sei deshalb unmoralisch an seine Arbeit gegangen, sagt er schmunzelnd. Das Gefühl, dass es nicht in Ordnung sei, die Briefe an Jean Paul zu verbreiten, habe sich bei ihm durch die zeitliche Distanz aufgelöst. Es gibt auch mehr empfindsame Freundschaftsbekundungen als erotische Anspielungen in den Briefen. Einmal ist in einem Brief Jean Pauls an seinen Freund Otto immerhin zu lesen, was sich ereignete, als Jean Paul mit der geschiedenen Gräfin Henriette von Schlabrendorff auf ein und demselben Sofa saß. „Liebe und Freundschaft sind zentrale Themen der Briefe, aber wir wissen oft nicht gleich, wie die Codes der Zeit waren“, ergänzt Monika Meier, die Leiterin der Potsdamer Editions-Arbeitsstelle. Spannend ist es jedenfalls, die höchstprivaten Zeilen aus den unmittelbaren Jahren nach der Französischen Revolution zu lesen. Es ist eine Zeit des breiten kulturellen Umbruchs, erklärt Monika Meier: „Arme Leute konnten sich nun herausnehmen, studieren zu wollen.“ Diese Aufbruchsstimmung, das Brodeln in den deutschen Fürstentümern, sei aus den Briefen entnehmbar. Ein Beispiel: Jean Pauls Freund Friedrich Wernlein schreibt am 26. Juli 1794: „Unsere Bauern haben dem Hofkammerrath Vogel ihre Wildprets-Steuerbücher wiederzugeschickt: sie möchten nichts bezahlen“ Weiter heißt es, dass „es höchst ungerecht sey, wenn der Landsherr dafür eine Steuer verlange, daß er das unnöthige Wildpret wegschiessen läßt!“ Ein recht aufmüpfiger Vorgang, von dem der Freund da berichtet. Fünf Jahre hat Jörg Paulus, der nur eine halbe Stelle inne hat, am zweiten Band gesessen. Eine langwierige Arbeit, Zeile für Zeile, Wort für Wort, musste Paulus vom transkribierten Original-Brief entnehmen. Freilich liegen bereits Briefe in einer zuverlässigen Edition vor, etwa die von Herder. Andere bereits edierte Texte seien mit äußerster Vorsicht zu genießen. Erste Editoren nach dem Tod Jean Pauls ließen auch schon mal zu persönlich erscheinende Stellen weg – eine falsch-verstandene Diskretion, die sich Jörg Paulus freilich heute schon aus professionellen Gründen nicht mehr leisten kann und will. Die Tatsache, dass Brief-Herausgeber der frühen Jahre auch Streichungen im Originalbrief vornahmen, hat es dem Potsdamer Editor ebenfalls nicht leichter gemacht. „Die haben damals keine Scheu gehabt“, so Monika Meier über das Selbstverständnis ihrer beruflichen Ahnen. Vielleicht hatte Charlotte von Kalb es ja kommen sehen, dass Briefe von und an einen Jean Paul am Ende nicht nur von vier Augen gelesen werden – sie hat die Briefe verbrannt, die sie von dem berühmten Autor des Romans „Hesperus, oder 45 Hundsposttage“ erhielt. Daher ist auch nicht überliefert, ob und wie Jean Paul auf einige ihrer Vorschläge reagierte. Einmal soll der Schöngeist und Romancier doch auch mal etwas Dramatisches schaffen, beispielsweise wie der große Friedrich Schiller. An anderer Stelle meint sie: „Die Stellen in Ihren Schriften über Weiber haben meist einen kleinen Irrthum“, zu überirdisch-tugendhaft erschienen ihr die Frauenfiguren Jean Pauls. Und dieser ist über die Kalb nicht nur amüsiert: Ihr „Einmengen in mein ästhetisches Leben“ geht ihm entschieden zu weit, schreibt er an seinen Freund Otto. Wie Briefe-Herausgeber Paulus bei seinen Jean Paul-Studien feststellte, ist er nicht der erste seiner Familie, der sich mit dem Privatleben Jean Pauls befasst: In eine frühe Vorfahrin, Sophie Paulus, war Jean Paul mal schwer verliebt, was laut Monika Meier sogar die Ehe des Autors sehr belastete. Jedenfalls hat der große Meister behauptet: „Sie liest nur mich und die Bibel.“

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