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Homepage: „Mit den Händen denken“

Ulrich Weinberg über fünf Jahre Design Thinking, Bauklötzchen und Illusionen des Mobilen Internets

Herr Weinberg, Hasso Plattner vergleicht die Arbeitsweise der Potsdamer D-School gerne mit dem Kindergarten.

Gemeint ist damit, dass wir ein Ort sind, an dem man sich komplett frei bewegen kann. Man kommt völlig offen hin und hat die Möglichkeit, mit den grundlegenden Dingen zu arbeiten, alles zu lernen, woran man Spaß hat. Wir arbeiten in einem geschützten Raum, in dem man jede Art von wilder Idee offen ausleben kann. Lego-Klötzchen oder Playmobil-Figuren sind hervorragend dazu geeignet, solche Ideen sofort umzusetzen. Wir haben auch Kartons, Würfel, Laser-Cutter, Flipboards, es sieht sehr bunt bei uns aus.

Moment mal, wozu die Bauklötze?

Wenn wir eine gute Idee haben, etwa für ein neues Produkt, dann setzen wir sie sofort physisch um, wir bauen, versuchen die Sache anfassbar zu machen. Das ist ein ganz wichtiger Prozess in der Teamarbeit, weil man währenddessen die Idee weiterentwickelt. Wir sagen, man denkt mit den Händen. Wir haben schon komplette S-Bahnabteile in Windeseile aufgebaut, um eine bestimmte Situation durchzuspielen.

Was lernt man bei Ihnen?

Vernetztes Denken. Wir leben in einer vernetzten Welt, gehen aber davon aus, dass wir mit dem Wissen aus einer Disziplin klarkommen. Wir lernen leider weder an der Schule noch an der Hochschule, dass wir unser Denken vernetzen müssen. Das trainieren wir hier, den Austausch untereinander, miteinander empathisch zu sein, dafür zu sorgen, dass nicht eine Disziplin dominiert. Auch können persönliche Aspekte, privates Wissen, Fertigkeiten aus dem Sport oder aus künstlerischen Kontexten bei der Entwicklung von Ideen eine Rolle spielen. Das lernt man bei uns sehr intensiv.

Unser Schulsystem bringt hauptsächlich Einzelkämpfer hervor.

Wir machen bildungspolitisch einen radikalen Schritt. Wir setzen auf kreative Leistungsfähigkeit der Teamarbeit. Ganz klar in Abgrenzung etwa zu Kunsthochschulen, die sich auf die Kreativität einzelner fokussieren. Wenn man komplexe Probleme angeht, dann kann man das alleine oder in einem homogenen Team machen, der beste Weg ist aber, es in einem gemischt zusammengesetzten Team zu probieren, in dem auch Nicht-Experten sitzen. Auch die sollten eine Stimme haben. Das ist effektiver, so kommt man zu besseren Ergebnissen.

Wie reagieren, die Studierenden und Dozenten auf diese Herangehensweise?

Wir haben schon gestandene Professoren erlebt, die anfangs die Welt nicht mehr verstanden haben. Doch wer sich auf die Arbeitsweise einlässt, ist extrem begeistert. In diesen Teams ist eine Energie zu spüren, die den meisten unbekannt ist, weil sie in unserem Bildungssystem 15 Jahre lang systematisch zugeschüttet wird. Aufbauen auf den Ideen von anderen ist zum Beispiel einer unserer Grundsätze – das würde in der Schule als „Pfuschen“ getadelt.

Warum ist Ihre Arbeitsweise effizienter als andere Methoden?

Unsere drei Kernelemente: Einmal den Fokus auf das Team. Dann dem gemischten Team einen Prozess geben, der beide Hirnareale – also die analytischen und die kreativen Fähigkeiten – gleichzeitig mobilisiert, was der klassische Designer intuitiv macht. Drittens braucht es für ein solches Team auch ein unterstützendes Umfeld und Ambiente. Wenn man diese drei Aspekte ernst nimmt, ändert sich plötzlich das ganze Arbeitsumfeld. Dann sieht Hochschule plötzlich aus wie ein Labor, wie eine kreative Arbeitsstätte. Das können auch Unternehmen machen. Wir brauchen dann nicht nur Besprechungsräume, sondern auch Räume zum Austauschen, in denen man sich gegenseitig etwas zeigen kann.

Was macht Design Thinking einzigartig?

(Weinberg springt auf, zeichnet, mit einem Textmarker drei imaginäre Gruppen an ein Flip-Board, erklärt gestikulierend die Zusammenhänge.)

Uns ist der Dreischritt wichtig. Gewöhnlich gibt es Einzelbüros und Besprechungsräume. Bei uns gibt es keine Einzelbüros, sondern nur die Gruppe, aber nicht im Besprechungsraum, sondern in einer Arbeitssituation. Bislang fehlt im Arbeitsleben komplett, dass die verschiedenen Gruppen ihre Ergebnisse teilen, sich gegenseitig Feedback geben: ein Geben und Nehmen. Dieses Sharing ist etwas, was die Effektivität enorm erhöht. Die Unternehmen müssen heute Share-Spaces schaffen, an denen sich Teams mit anderen austauschen können. Die Silofizierung – jeder Arbeitnehmer, jede Abteilung für sich – ist nicht mehr zeitgemäß. Man begreift in dieser Situation viel zu wenig, dass die Konkurrenz nicht im eigenen Haus, sondern draußen sitzt. Das versuchen wir in der D-School aufzubrechen, man muss sich von vornherein als Einheit verstehen. Dabei ist das physische Beisammensein äußerst wichtig. Es ist eine Illusion, dass wir heute durch Mobiles Internet stärker vernetzt sind. Die Geräte sind vernetzt, wir aber nicht. Wir trainieren hier, miteinander umzugehen, sich auf andere Menschen einzulassen, im direkten Kontakt.

Sie stellen den Mensch in den Mittelpunkt.

Die Frage ist, wo man neue Ideen hernimmt. Viele Unternehmen lassen sich durch neue Technologien und Forschung inspirieren. Wir sagen: Die beste Inspirationsquelle für Neues ist der Mensch, er ist das komplexeste Wesen auf dem Planeten. Wir schauen uns die Bedürfnisse einer bestimmten Nutzergruppe genau an. Das gibt sehr viele Anstöße, die nah am Menschen sind. Es spart umfangreiche Marketingkonzepte, wenn man das entwickelt, was die Menschen wirklich brauchen.

Erhöht das die beruflichen Chancen ihrer Absolventen?

Ganz ungemein. Viele Firmen sind heute dem extrem hohen Veränderungsdruck hilflos ausgeliefert. Zum Teil verschwinden sie sogar schnell vom Markt, weil sie es nicht schaffen zu adaptieren. Neue Arbeitswege, -kulturen und Businessmodelle zu entwickeln, ist nur mit einer zunehmenden Vernetzung möglich. Daran führt heute kein Weg vorbei. Auch große Traditionsunternehmen müssen sich darauf einstellen. Darauf sind unsere Absolventen trainiert. So eröffnen sich für sie sehr gute Chancen bei der Jobsuche.

Sie kommen eigentlich von der Potsdamer Filmhochschule. Wie landet man da beim Design Thinking?

Ich bin Spezialist für Computeranimation. Vor 20 Jahren habe ich die ersten virtuellen 3D-Logos für ARD und ZDF gemacht. Das Thema Teamwork war für mich immer eine sehr wichtige Inspirationsquelle. Zehn Jahre Entwicklung von Computerspielen in meinem eigenen Unternehmen haben mich noch mehr zum Teamwork gebracht. Da müssen Leute der verschiedensten Gattungen zusammenkommen, vom Programmierer über den Filmprofi, Designer, Texter bis zum Musiker. Von dort aus war der Schritt zum Design Thinking nicht mehr groß.

Keine Sehnsucht zum Film nach fünf Jahren D-School?

Um Service-Innovationen zu illustrieren, machen wir in der D-School auch Filme. Etwa darüber, wie Homeshopping oder Fahrwünsche in der Zukunft aussehen könnten. Ich fühle mich hier also weiterhin gut zu Hause und vermisse gar nichts.

Das Gespräch führte Jan Kixmüller

Ulrich Weinberg leitet seit 2007 die HPI- School of Design

Thinking am Potsdamer Hasso-Plattner-

Institut. Zuvor war er Professor für Computeranimation an der Filmhochschule HFF.

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