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Migration durch Klimawandel: Zum Wegrennen

Potsdamer Klimaforscher warnen davor, dass der Klimawandel die globale Flüchtlingskrise verschärfen könnte. Heute bereits kurbeln Wetterextreme die Binnenmigration in Afrika und Asien an.

Potsdam - 51 Grad meldete der Indischer Wetterdienst am 19. Mai in der Stadt Phalodi. Ein beispielloser Rekord, der das öffentliche Leben weitgehend zum Erliegen brachte. Zur gleichen Zeit waren im benachbarten Inselstaat Sri Lanka eine halbe Million Menschen vor Unwettern auf der Flucht, es gab zahlreiche Tote durch Hochwasser und Erdrutsche. Erst im vergangenen Jahr starben bei einer schlimmen Hitzewelle in Indien mehr als 2000 Menschen. Meteorologen gehen davon aus , dass die Wetterextreme mit dem Klimawandel zusammenhängen. Und diese Prozesse führen mittlerweile innerhalb stark betroffener Länder zu unfreiwilligen Fluchtbewegungen.

Der Klimawandel verstärkt Risikofaktoren

Wissenschaftler des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK) haben nun davor gewarnt, dass der Klimawandel die weltweite Flüchtlingskrise weiter verschärfe. „Der Klimawandel verstärkt die Risikofaktoren“, sagte Jacob Schewe vom PIK in einem Presse-Gespräch. Vor allem die Tropen und Subtropen sind demnach stärker von den negativen Folgen betroffen als Europa und andere nördlichere Regionen. Zwar lassen sich Dürren, Stürme, Überschwemmungen, Meeresspiegelanstieg und damit auch Sturmfluten oder Waldbrände im Einzelfall nicht direkt mit der Erderwärmung erklären. Doch Modellrechnungen des PIK und andere Institute zeigen , dass Extremwetterlagen aufgrund der Erwärmung in den kommenden Jahren weiter zunehmen werden – und das bereits bei der bislang anvisierten Begrenzung des Anstiegs der globalen Mitteltemperatur auf zwei Grad.

 Forscher verzeichnen weltweit eine Zunahme bei Extremniederschlägen

Bereits seit den 1980er-Jahren verzeichnen die Forscher weltweit eine Zunahme bei Extremniederschlägen im Vergleich zu einem unveränderten Klima. Die Erwärmung der Atmosphäre führt zu einem steigenden Wasserdampfgehalt der Luft, was wiederum die Intensität der Niederschläge verstärken kann. Hinzu komme eine Zunahme der Konvektion, der Strömung durch Temperaturunterschiede. Vor allem in den Tropen falle mehr Niederschlag aus Gewitterwolken. Dieser Trend zeige sich für Südostasien besonders stark, während er beispielsweise im Mittelmeerraum eher leicht rückläufig ist. Für die Zukunft erwartet Schewe, dass sich dieser Trend „sehr wahrscheinlich“ fortsetzen werde. Bei tropischen Wirbelstürmen sei eine Steigerung bei ihrer Intensität festzustellen, erklärte der Klimaforscher. In der starken Hurrikan-Kategorie habe die Häufigkeit bereits zugenommen, eine Entwicklung, die mit der Erwärmung der Meeresoberfläche einhergehe.

Dass die Zahl der Klimaflüchtlinge bereits heute eine relevante Größte angenommen hat, bestätigten Vertreter der internationalen Organisation für Migration auf dem PIK-Meeting. Allerdings gehe es dabei nicht um internationale Flüchtlingsbewegungen. Die sogenannte Umweltmigration finde hauptsächlich innerhalb der betroffenen Staaten statt, erklärte Susanne Melde von der Internationalen Organisation für Migration (IOM).

2015 mehr als doppelt so viele Menschen vor Wetterextremen geflohen als vor Konflikten

Alleine im Jahr 2015 seien mehr als doppelt so viele Menschen vor Wetterextremen und Umweltkatastrophen geflohen (19,2 Millionen Menschen) als vor Gewalt und Konflikten (8,6 Millionen), vor allem die Ärmeren lebten oft jahrelang in Lagern, erklärte Susanne Melde. Zu den weltweit rund 60 Millionen Flüchtlingen kommen demnach bis zu 20 Millionen Binnenflüchtlinge hinzu, die ihren Wohnort zum Großteil klimabedingt verlassen müssen. Zumeist seien Überschwemmungen und Stürme der Hintergrund, erklärte PIK-Forscher Schewe. Hinzu kämen zu einem kleineren Teil Hitzeextreme und Waldbrände. Langfristige Auswirkungen wie Dürren sind in den Statistiken noch nicht erfasst.

Hitzewellen haben laut Schewe im Vergleich mit einer möglichen Entwicklung ohne die Erderwärmung heute weltweit schon zugenommen. Bereits bei einer Stabilisierung der Erwärmung bei zwei Grad sei eine Verlängerung von Hitzeperioden zu erwarten. Bei Dürreperioden zeigt sich ein regional unterschiedlicher Trend, dabei würden der Mittelmeerraum und der Nahe Mittlere Osten besonders stark betroffen sein, auch das südliche Afrika und Teile von Nord- und Südamerika seien ebenfalls besonders gefährdet.

Umweltmigration innerhalb einzelner Staaten

Die Umweltmigration innerhalb einzelner Staaten ist bereits in vielen Regionen zur Realität geworden. „In Vietnam musste schon Zehntausende Menschen umsiedeln“, erklärte Susanne Melde. Der steigende Wasserspiegel und die Bodenerosion raubten den Menschen ihre Heimat. Weltweit seien es mittlerweile viele Millionen Menschen, die von Dürren, Fluten oder Stürmen vertrieben werden. „Die Ärmsten sind nicht diejenigen, die migrieren. Sie haben kein Geld, den Bus zu nehmen oder ein Flugticket zu kaufen.“ Es gehe daher auch darum, den Blick von Deutschland und Europa auf die Welt zu richten, so Melde. Viele der Menschen lebten jahrelang in Lagern oder verlören ihre Lebensgrundlage. „Was bei Umsiedlung sehr oft vergessen wird, ist, dass die Menschen ein Einkommen brauchen.“ So habe man in Vietnam ganze Fischerdörfer ins Inland verpflanzt, wo sie keinen Zugang zum Meer hatten – und damit den Betroffenen die Lebensgrundlage entzogen.

Um den Prozess der Klimamigration zu begrenzen, hält PIK-Forscher Hermann Lotze-Campen vor allem auch Agrarforschung für wichtig. Denn in Sachen Ernährungssicherheit seien bei einer schlechten weltwirtschaftlichen Entwicklung 100 Millionen Menschen mehr von extremer Armut betroffen, als es bislang schon sind, vor allem in Subsahara-Afrika und Südasien. Damit wären zunehmend Menschen von Nahrungsmangel betroffen, was wiederum Migrationsbewegungen auslöse.

Landwirtschaft sollte sich an den Klimawandel anpassen

Anpassungsmöglichkeiten in der Landwirtschaft sind für Lotze-Campen die richtige Antwort auf die Entwicklung. Wichtig sei daher, Produktionsrisiken zu vermeiden, also beispielsweise widerstandsfähige Sorten zu züchten, die Böden zu schützen, Bewässerungssysteme zu verbessern. Hinzu käme die Möglichkeit, gerade in ärmeren Ländern durch Mikro-Versicherungen schwankende Produktionsverhältnisse auszugleichen und das Einkommen ärmerer Landwirte abzusichern. Nicht zu vergessen seien darüber hinaus Handelsaspekte, sowohl im regionalen wie internationalen Geschäft müsste durch bestehende Handelsbeziehungen ermöglicht werden, dass Defizitregionen kurzfristig auch aus Überschussregionen mit versorgt werden können. Letztlich gehe es darum Marktrisiken zu streuen, so Lotze-Campen. Die letzte Option sei dann die Migration, wenn es als Anpassungsmaßnahme in manchen Gebieten notwendig werde, in Regionen mit besseren Produktionsbedingungen abzuwandern. Grundsätzlich hält der PIK-Forscher Ernährungssicherheit für einen wichtigen Risikofaktor des Klimawandels. Daher sei es wichtig, das Thema langfristig im Kontext nachhaltiger Entwicklung zu sehen.

Nahrungsmittelpreise könnten um 10 bis 30 Prozent steigen

Der Agrarökonom Lotze-Campen bezieht sich auf den Weltbank-Report, wonach die Nahrungsmittelpreise in den kommenden Jahrzehnten um 10 bis 30 Prozent höher liegen dürften als in einer Welt ohne Klimawandel – wobei in diesem Modell Klimaextreme noch nicht berücksichtigt sind. Daher ist zu befürchten, dass sich die Ernährungssituation für sehr viele Menschen verschlechtern werde. 2030 würden demnach rund 45 Millionen Menschen, die ohnehin schon in einer unsicheren Ernährungssituation leben, von einem Anstieg der Nahrungsmittelpreise durch den Klimawandel betroffen sein, vor allem in Afrika und Asien. Vor diesem Hintergrund sei es äußerst wichtig, die Agrarforschung dauerhaft zu sichern, um Produktionsbedingungen zu stabilisieren und langfristig zu verbessern. Auch Pflanzenzüchtung und grüne Gentechnik würden vor diesem Hintergrund eine Rolle spielen. „Das ist aber kein Allheilmittel, es ist ein Baustein von mehreren“, so Lotze-Campen.

Die Entwicklung erfordert es in den Augen der Potsdamer Klimaforscher auch, lokales und globales Denken zu verknüpfen. „Natürlich müssen wir uns um kurzfristige, lokale Lösungen kümmern“, so Lotze-Campen. Aber das Argument, dass sich statistisch der Zusammenhang von Klimawandel und einem aktuellen Wetterextrem nicht beweisen lasse, helfe nicht weiter. „Wenn wir dabei noch ein, zwei, drei Jahrzehnte bleiben, ist es zu spät“, sagte der Agrarökonom.

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