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Homepage: Massaker und Todesmärsche

Vor 100 Jahren begann der Genozid an den Armeniern. Rolf Hosfeld vom Lepsiushaus hat eine neue Studie darüber verfasst

Das Massaker in der Türkei vor 100 Jahren vollzog sich unter den Augen der Öffentlichkeit. Augenzeugen aus Europa und Amerika berichteten ihren Botschaftern und in den Medien von der Ermordung eines großen Teils des armenischen Volkes in den Jahren 1915/1916. Auch der amerikanische Botschafter in Konstantinopel, Henry Morgenthau, war durch Gespräche mit türkischen Politikern bereits frühzeitig informiert. Der Potsdamer Wissenschaftler, Journalist und Leiter des Lepsiushauses, Rolf Hosfeld hat nun einen fesselnden und erschütternden Bericht über den „Tod in der Wüste“ (Verlag C.H. Beck, München 2015) vorgelegt. Hosfeld konzentriert sich hier auf die Zeit unmittelbar um den Ersten Weltkrieg.

In zwei Wellen vollzog sich die Ermordung eines großen Teils des armenischen Volkes vor 100 Jahren. Nachdem bereits im Jahre 1915 in drei aufeinanderfolgenden Zeitabschnitten Deportationen von Armeniern stattgefunden hatten, stellte die türkische Regierung im Jahr 1916 fest, dass immer noch rund 500 000 der Deportierten am Leben waren. Daraufhin setzte ein erneutes Schlachten ein, an dessen Ende noch einmal rund 200 000 Armenier ermordet waren. Etwa 1,1 Millionen Armenier hatten am Ende des Völkermordes ihr Leben gelassen.

Bis November 1915 hatten amerikanische Beobachter bereits eine halbe Million deportierter Armenier allein auf dem Weg über die Bergkette von Pozanti beobachtet. Der amerikanische Konsul Leslie Davis konnte sich lange nicht erklären, woher die Kleiderberge stammten, die Mitte des Jahres auf türkischen Märkten billig angeboten wurden. Das Rätsel löste sich, als ein Einheimischer ihn an den Gölcük See führte. In den Tälern, Schluchten und an den Ufern des Sees stapelten sich die schlecht verscharrten Leichen, Berge von Frauen und Kinderköpfen, und verrottende menschliche Überreste. Teilweise wurden die von den Türken zusammengetriebenen christlichen Armenier schlicht mit dem Beil erschlagen, nachdem die örtliche oder die aus Istanbul entsandte Verwaltung sie aller Wertgegenstände und Kleider beraubt hatte. Die Zwangsdeportationen hatten die mesopotamische Wüste zum Ziel. Armenier, die nicht unmittelbar während des Transportes ermordet worden waren, erwarteten Todesmärsche unter brennender Sonne, ohne Nahrung und Wasser, die dann zum im Voraus kalkulierten Tod führten. Auch eine in die Türkei gereiste Gruppe deutscher Ingenieure und Lehrer berichtete von langen Deportationszügen aus dem Eisenbahnknotenpunkt Konya, wo sich auch ein Konzentrationslager für die todgeweihten Armenier befand.

Motivation des herrschenden jungtürkischen „Komitees für Einheit und Fortschritt“ mit den Politikern Enver Bey, Talat Bey und Cemal Bey für die Mordaktion war einerseits die Schaffung einer rein türkischen Bourgeoisie. Denn der überwiegende Teil des Binnenhandels, der Industrie- und Handwerksunternehmen und der akademischen Berufe befand sich zuvor nach türkischer Einschätzung in „den Händen der christlichen Minderheiten, also der Griechen und Armenier“, zitiert Hosfeld eine historische Quelle. Auch Habgier spielte eine erhebliche Rolle. Den Armeniern wurden Millionenwerte an Eigentum, Gold und anderem Vermögen geraubt. Entschädigungen wurden nie gezahlt. Nicht nur Armee und Staatsapparat hätten den Völkermord am armenischen Volk initiiert. Auch die türkische Bevölkerung hätte sich nicht zurückgehalten, als es galt, sich den Besitz der deportierten Armenier anzueignen, konstatiert Hosfeld.

Auch die deutsche Regierung war gut informiert. Am 7. Juli 1915 telegrafierte der deutsche Botschafter Hans von Wangenheim an den Reichskanzler Theobald von Bethmann-Hollweg, dass die türkische Regierung den Zweck verfolge, die „armenische Rasse“ innerhalb der Staatsgrenzen vollständig zu vernichten. Auch der Theologe und Orientalist Johannes Lepsius berichtete. Lepsius habe festgestellt, dass mit dem Frühjahr 1915 eine systematische, von staatlichen Organen initiierte und gelenkte genozidale Aktion gegen das armenische Volk begonnen hätte, so Hosfeld. „Der Genozid war in Lepsius’ Augen ein ausschließlich türkisches Projekt, alles sollte vernichtet werden, was nicht rein türkisch war“, sagt Hosfeld. 20 500 Drucke des Berichtes von Lepsius wurden unter der Hand verteilt. Aber obwohl auch die deutsche Regierung offiziell Kenntnis von dem Völkermord hatte, geschah nichts. Deutschland wollte es sich auf keinen Fall mit der Türkei verderben, das armenische Volk war im großen Kriegsgeschacher allenfalls ein Bauernopfer. Richard Rabensaat

Die Tagung „Zeuge eines Jahrhundertverbrechens: Das Deutsche Reich und der Völkermord an den Armeniern“ unter Beteiligung des Potsdamer Lepsiushauses findet vom 1. bis 3. März im Deutschen Historischen Museum Berlin (Zeughauskino) statt

Richard Rabensaat

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