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Journalisten werden in Deutschland zunehmend als Vertreter der "Lügenpresse" diffamiert.

© dpa

"Lügenpresse": Warum verlieren Medien an Glaubwürdigkeit?

Immer häufiger werden Zeitungen und Rundfunk als "Lügenpresse" beschimpft. Das ist weit mehr als ein Propagandaschachzug von Rechtsaußen, sagen Experten. Der Begriff bilde eine gesellschaftliche Stimmung ab.

Auf Transparenten und in Sprechchören taucht auf Pegida-Demonstrationen das Schlagwort „Lügenpresse“ auf. AfD-Chefin Frauke Petry bedient sich des Begriffs der „Pinocchio“-Presse. Und der Ausdruck „Mainstream-Medien“ wird oft begleitet von einem abfälligen Ton. Diese Wortwahl sei aber nicht nur ein geschickter Schachzug von Rechtsaußen, sagte der Soziologe Dieter Rucht am Montag in Berlin . „Wir müssen uns auch damit auseinandersetzen, dass zehn bis 20 Prozent der Bevölkerung kein Vertrauen mehr haben in ,die‘ Medien.“ Der Vorwurf „Lügenpresse“ drücke eine gesellschaftliche Stimmung aus.

Journalisten und Wissenschaftler diskutierten im Tagesspiegel-Haus bei einem Redaktionsworkshop die Frage, warum Medien Glaubwürdigkeit verlieren und wie sich diese zurückgewinnen lässt. Die Experten hatten sich darüber zuvor online auf Tagesspiegel Causa, dem neuen Debattenportal des Tagesspiegels, ausgetauscht und ihre Kernargumente gegenseitig bewertet. Der Workshop diente daher auch dazu, das Portal vorzustellen.

"Gefallsucht" durch Like-Kultur im Netz?

In der Diskussion machte Journalist Wolfgang Herles, der bis vor Kurzem Redaktionsleiter der ZDF-Kultursendung „aspekte“ war, einen „Konformismus der Mitte“ mitverantwortlich für die Skepsis gegenüber den etablierten Medien. „Der Unterschied zwischen den Zeitungen ist geringer geworden. Es wird immer mehr das gedruckt, wovon man denkt, es könnte dem Leser gefallen.“ Diese „Gefallsucht“, wie Herles es nennt, sei begründet in der „Gefällt mir“-Kultur im Netz. Orientierten sich die Medien aber nur noch an den vermeintlichen Wünschen der Leser, werde auch nur noch die Mitte der Gesellschaft abgebildet.

Andrea Römmele, Kommunikationswissenschaftlerin an der Hertie School of Governance, teilt dieses Argument nicht. „Ich beobachte keinen solchen Einheitsbrei der Leitmedien“, sagte sie. Bürger hätten heute eine höhere Bildung und damit eine größere Kritikfähigkeit. Günter Bentele, emeritierter Professor für PR und Öffentlichkeitsarbeit an der Uni Leipzig, ist außerdem der Auffassung, dass sich die Medienrezeption verändert hat. „Niemand ist in der Lage, alles wahrzunehmen. Also sucht man sich die Medien, die möglichst nah an dem sind, was man selbst denkt.“ Hier liegt auch der Ursprung der sogenannten Filterblasen oder auch Echokammern, in denen nur Vertreter der eigenen Meinung vorkommen. „Rezipiert man dagegen ein Medium, das eine andere Position vertritt, als man selbst, ist man leichter geneigt zu sagen: Das Medium berichtet einseitig.“ Bentele sieht eine Diskrepanz zwischen dem, wie die Presse die soziale Wirklichkeit darstellt und wie das Publikum diese wahrnimmt.

"Tagelang beherrschte ein Stinkefinger die Schlagzeilen"

Herles macht außerdem eine Skandalisierungstendenz für die Glaubwürdigkeitskrise verantwortlich. Um dem Leser zu gefallen, würden Medien Komplexität reduzieren und eher auf Gefühle setzen als auf Argumente. „In der Griechenland-Krise beherrschte tagelang ein Stinkefinger die Schlagzeilen.“

Aber ist die Glaubwürdigkeitskrise der Medien neu? „Wir haben solche Krisen auch in vergangenen Jahrzehnten schon beobachtet“, sagte der Journalist Fritz Wolf. „Aber es gibt neue Elemente: die Selbstermächtigung des Publikums und sozialer Netze, in denen sich Einzelne viel Gehör verschaffen.“ Es sei wichtig, diese Krise genau zu beobachten. Sie drücke sich auch in Hassmails gegen Pressevertreter aus. Zum Teil gibt es sogar Übergriffe bei Demonstrationen oder im Alltag. Seit Januar 2015 zählte Reporter ohne Grenzen in Deutschland insgesamt 22 tätliche Angriffe gegen Journalisten.

Um der Glaubwürdigkeitskrise zu begegnen, müssten Journalisten ihr Handwerk stärker offenlegen, glaubt Wolf. „Journalisten sollten außerdem die Offenheit haben, zu sagen: Nicht alles, was ich hier schreibe, ist der Weisheit letzter Schluss“, sagte Tagesspiegel-Chefredakteur Lorenz Maroldt. In seinen Augen sind eine stärkere Kommunikation mit den Lesern und eine bessere Fehlerkultur nötig.

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