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Lichtverschmutzung: Lichterhelle Nächte

Der Mensch macht sich die Nacht zum Tag. Vor allem Insekten stört die zunehmende Lichtverschmutzung.

Potsdam - Bereits vor mehr als hundert Jahren zogen die Berliner Astronomen in die dunklere Nachbarstadt Potsdam um. Der Grund war die Lichterflut der Großstadt, die schon damals das Licht der Sterne überstrahlt hat. Seither hat die Lichtverschmutzung weiter kräftig zugenommen – natürlich auch in Potsdam. Längst argwöhnen Forscher, dass lichtscheue Tiere keine Dunkelheit mehr finden und die Gesundheit der Menschen leiden könnte, wenn die Nacht immer mehr zum Tag wird. In jedem Jahr seit 2012 haben die künstlich beleuchteten Flächen außerhalb von Gebäuden weltweit um 2,2 Prozent zugenommen, berichtet ein Forscherteam um Christopher Kyba vom Deutschen Geoforschungszentrum (GFZ) in Potsdam und vom Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) in Berlin im Fachblatt „Science Advances“.

Weil moderne LEDs Energie sparen, wird mehr beleuchtet

Völlig überraschend kommt diese Entwicklung nicht. Vielerorts wird die Straßenbeleuchtung von herkömmlichen Natriumdampflampen auf Leuchtdioden umgestellt, um Energie zu sparen. Da ist die Versuchung groß, gleichzeitig ein paar zusätzliche LEDs und damit ein wenig mehr Licht zu spendieren. Kybas Team überprüfte die Zunahme der nächtlichen Helligkeit mithilfe des im Oktober 2011 gestarteten Wetter- und Umweltsatelliten Suomi NPP der US-amerikanischen Weltraum- und Wetterbehörden NASA und NOAA. Die Sonde hat ein Messgerät für Bestrahlungsstärken im sichtbaren und infraroten Licht an Bord, eine Visible/Infrared Imager Radiometer Suite (VIIRS). Das Messgerät kann noch 750 Meter voneinander entfernte Helligkeiten auflösen und liefert so bei klarem Himmel detaillierte Bilder, aus denen die Forscher dann ausrechnen, wie stark eine Stadt oder Region in der Nacht strahlt.

Leuchtende Flächen nehmen in Deutschland jedes Jahr zu

Kybas Messungen ergaben, dass die leuchtenden Flächen in Deutschland jedes Jahr um 2,8 Prozent zunehmen. Auch die gesamte Helligkeit des Landes wächst jährlich um zwei Prozent. Weltweit ist die Nacht vor allem in den Ländern Südamerikas, Afrikas und Asiens heller geworden, in denen auch die Wirtschaft boomt. Damit bestätigen die Satelliten eine Überlegung, nach der Menschen schon lange rund 0,7 Prozent des gesamten Sozialprodukts für Beleuchtung ausgeben. Wächst die Wirtschaftskraft, werden auch die Nächte heller. Und das nicht nur, weil für reibungslosen Verkehr Straßen und Plätze stärker beleuchtet werden. Gemeinden wollen auch ihre schönsten und auffälligsten Gebäude nachts in Szene setzen – vom Brandenburger Tor über den Pariser Eiffelturm bis zur Freiheitsstatue in New York.

In den USA, das zeigen die Daten der Forscher, hat die nächtliche Beleuchtung trotz steigenden Bruttosozialprodukts entgegen der Regel nicht zugenommen, sondern stagniert. Doch das könnte auch daran liegen, dass der Satellit nur Wellenlängen des Lichts von 500 bis 900 Nanometern erfasst. Damit liefert er hervorragende Messdaten über das orange Licht der alten Natriumdampflampen. Diese aber werden zunehmend gegen LEDs ausgetauscht, die Wellenlängen zwischen 400 und 700 Nanometern aussenden. Das blaue Licht im niedrigen Wellenlängenbereich erfasst VIIRS also nicht. Es ist daher gut möglich, dass die Messungen die tatsächliche Zunahme des Lichtes unterschätzen – weltweit.

Tiere geraten in Bedrängnis

Je ähnlicher die Nacht dem Tag wird, umso mehr geraten die Tiere der Nacht in Bedrängnis. Eine einzige grellweiße Straßenlampe lockt in einer Stunde bis zu tausend Nachtfalter an, viele von ihnen verenden oder werden verletzt. Was das bei etwa acht Millionen Straßenlaternen in Deutschland für Mücken, Motten und Fliegen bedeutet, wird noch untersucht, auch am IGB.

Möglichkeiten, nächtliche Beleuchtung ohne größere Nachteile einzudämmen, gäbe es genug. Viele Straßenlampen leuchten nicht nur auf den Boden, sondern auch waagerecht zur Seite, wo das Licht kaum gebraucht wird. LED-Licht kann sehr gezielt gerichtet werden, sodass die Lampen nur senkrecht nach unten und bis zu einem Winkel von etwa 60 Grad zur Seite strahlen. „Allerdings braucht man dann mehr Straßenlampen als bisher“, erklärt GFZ-Forscher Christopher Kyba. Das wiederum bedeutet erst einmal zusätzliche Investitionen und es dauert länger, bis diese Kosten durch den niedrigeren Energieverbrauch ausgeglichen sind und der Spareffekt einsetzt.

Radler und Fußgänger brauchen weniger Licht

Obendrein muss es aber auch nicht überall die größte Helligkeit sein. Radfahrer und Fußgänger sind zum Beispiel deutlich langsamer als Autofahrer unterwegs. Sie können sich also längere Reaktionszeiten leisten. Die Nutzer von Radwegen und Bürgersteigen kommen daher auch mit weniger Licht als Autofahrer aus. „Aber auch auf den Straßen gibt es gute Möglichkeiten, Licht zu reduzieren“, meint Kyba. Studien in Großbritannien zeigen, dass die Reaktionszeiten der Fahrer sich praktisch nicht ändern, wenn das Licht auf den Straßen von zwei auf ein Candela pro Quadratmeter halbiert wird. Und selbst bei einem Zwanzigstel des Lichtes und 0,1 Candela werden die Zeiten kaum länger, in denen die Fahrer reagieren. Nur wenn die Autoscheinwerfer die einzige Lichtquelle waren, stiegen die Reaktionszeiten deutlich an.

Früher wurden auf den Dörfern und in weniger benutzten Straßen die Lampen in den frühen Morgenstunden einige Stunden ausgeschaltet, weil in dieser Zeit ohnehin kaum jemand unterwegs war. Auch solche Maßnahmen reduzieren die Lichtverschmutzung. Als eine Gemeinde in England aus Kostengründen diese Regelung von Mitternacht bis fünf Uhr früh wieder einführte, nahm weder die Zahl von Gewaltdelikten noch von Unfällen zu. Die Hälfte der betroffenen Menschen in diesem Gebiet bemerkte nicht einmal, dass die Lampen fünf Stunden lang aus waren.

Ohnehin müssten die Lampen in vielen Seitenstraße nicht die ganze Nacht leuchten, wenn sie per Handy erst dann eingeschaltet werden könnten, wenn der Hausherr nach Hause kommt, sagt Kyba: „Wenn wir Licht besser steuern könnten, wäre schon viel gewonnen.“

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