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Argumentativ auf der Höhe: Was über unseren Autor so alles in Social Media, hier: Youtube, geschrieben wurde.

© Tsp

Let's Play oder: Wenn Fans wütend werden: Mein erster Shitstorm

Es sollte ein Artikel über die "Let's Play"-Gemeinde werden. Es wurde eine ätzende Woche für unseren Autor.

Ein Vorbote erreichte mich Sonntag um 18.28 Uhr per Twitter. Nutzerin „SteffiSuperhomo“ schrieb: „Was Sie machen, ist einfach nur abartig und herablassend.“ Kurz darauf folgten die zweite, dritte, vierte und fünfte Nachricht, allesamt in unmissverständlich feindseligem Tonfall gehalten, und so ging’s weiter. Blöd, wenn man selbst gerade im Auto hinter Wiesbaden festsitzt. Extrem blöd, wenn dazu noch der Smartphone-Akku gleich leer ist.

Spätabends zu Hause in Berlin musste ich, endlich wieder online, einsehen: Ich befand mich im Zentrum eines tobenden Shitstorms. Dem ersten meines Lebens. Mir war klar, ich wurde jetzt von sehr vielen Menschen gehasst. Das ist kein schönes Gefühl. „Sie haben sich mit den Falschen angelegt, Herr Leber“, schrieb einer. Andere meinten, ich habe mich gegen drei Millionen Gronkh-Fans gestellt und müsse jetzt dafür büßen. Sie forderten meinen Kopf, wenigstens aber das Ende meines Journalisten-Daseins.

Dabei hatte ich mich mit gar niemandem anlegen wollen, sondern bloß am Vortag im Tagesspiegel über die rasant wachsende „Let’s Play“-Gemeinde berichtet. Also über Menschen, die sich beim Computerspielen filmen lassen und die Videos im Netz verbreiten. Der Artikel sei zu negativ, hieß es. Vor allem störten sich die Fans an einer Passage, in der ich schrieb, viele der dort verbreiteten Witze seien schwulenfeindlich.

Dass die Hassmails so plötzlich und zahlreich einsetzten, lag wohl daran, dass der deutschlandweit bekannte Spieler Manuel Schmitt, genannt „Rumpel“, auf Youtube mein Foto veröffentlicht hatte und seine Fans indirekt aufforderte, „zurückzuschießen“.

Schießen können sie. Bis Montagnachmittag war die Zahl der Schmähungen gegen mich vierstellig geworden. "Mit dem Artikel haben Sie sich ihr eigenes Grab geschaufelt", "Gronkh ist viel erfolgreicher als Sie, also halten Sie das Maul", "Ihnen sollte man den Journalismus verbieten"... Ich entschied, meinem ersten Impuls (untertauchen!) nicht zu folgen, stattdessen auf jede halbwegs sachliche Anschuldigung zu antworten. Entschuldigen würde ich mich nicht, denn ich hatte nichts Falsches getan. Aber ich wollte versuchen, meine Sicht zu erklären. Wer ausrastete, den wollte ich blocken.

Der Sturm dauerte etwa 36 Stunden, und was ich nicht für möglich gehalten hätte: Er flaute genau so schnell ab, wie er gekommen war. Mir völlig unbekannte Menschen, die gestern noch geschworen hatten, mich fertig zu machen, bis ich nicht mehr Piep sagen könne, waren plötzlich verstummt.

Zeit für ein Resümee. Der durchschnittliche Let’s Player, das kann man sagen, ist höflich und konstruktiv, auch zugänglich für Argumente, kann abwägen. Ausgenommen die 257 Personen, die geblockt wurden: grob 65 Prozent davon wegen Beleidigung, 15 wegen Drohungen, 20 wegen Nervfaktor. Stunden, bis der Erste meine Hinrichtung forderte: fünf. Hauptvorwürfe gegen meine Person: Ich sei ein mieser Journalist, gar kein Journalist, bösartig, korrupt, hässlich, extrem hässlich, intolerant, neidisch, asozial. Tiere, mit denen ich verglichen wurde: Mikrobe, Qualle, Lurch, Hund, Sumpfralle, Affe, Wurm (was ist aus dem Schmähtier meiner Kindheit geworden, dem Dreckschwein?). Überraschende Erkenntnis: Selbst die Unhöflichen siezten („Was ist eigentlich Ihr Problem, Sie Wichser?“). Das ist einerseits beruhigend, weil es auf eine gute Erziehung schließen lässt. Andererseits auch ein bisschen demütigend, weil man sich mit 36 gar nicht zu alt fühlt, um geduzt zu werden. Äußerst beliebt waren Witze über meinen Nachnamen. "Beleidigte Leberwurst", "Leberkäse", "wohl eine Laus über die Leber gelaufen", war alles dutzendfach dabei. Einige versuchten, den Hashtag #Leberschaden in die Twitter-Trends zu bringen.

Inzwischen hat mir Rumpel, der Initiator des “Zurückschießen”-Videos, geschrieben, dass er mein Missfallen an den Schwulenwitzen durchaus nachvollziehen kann und gegen diese Kritik auch gar nichts einzuwenden hat. Einige seiner Aussagen im Video seien außerdem gar nicht speziell an mich gerichtet gewesen, sondern bloß seinen Erfahrungen mit den “Mainstream-Medien” in den letzten Jahren geschuldet. Aha. Ich fürchte, das haben seine Fans anders verstanden.

Ich habe überlegt, ob ich aus dieser persönlichen Katastrophe wenigstens irgendeinen Nutzen ziehen kann. Mich etwa Unternehmen als Anti-Shitstorm-Berater zur Verfügung stellen sollte, gegen abartig hohe Tagessätze natürlich. Dafür bräuchte es allerdings noch mehr Erfahrung. Hm ... Ich sag mal: Wer Fleisch isst, hat einen miesen Charakter.

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