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Brot und Spiele, hieß es bei den Römern. Die jungen Youtube-Nutzer folgen millionenfach den "Let's Play"-Gladiatoren.

© imago/EntertainmentPictures, Filmszene aus "Gladiator"

Let's Play: Die neuen Schau-Spieler

Die weltweite „Let’s Play“-Bewegung hat Millionen Fans und verstört uns Außenstehende: Warum gucken Menschen anderen online beim Zocken zu – ist das nicht absolut öde? Das Geheimnis des Erfolgs.

Soeben haben Gronkh, Sarazar und Rumpel ihr Zweijähriges gefeiert. Sich noch mal an die schönsten Momente aller bisherigen Sendungen erinnert. Zum Beispiel die Zombieshow. Oder die mit der Schneeballschlacht. Oder als Gronkh seinem Freund Sarazar mal unterstellte, dieser trage doch heimlich Büstenhalter. Ein Brüller! Und was, lieber Gronkh, war das schlimmste Erlebnis in dieser Zeit? „Morgens aufzustehen.“ Jetzt lacht Rumpel wie ein Irrer.

Dass sich die jungen Leute aus Facebook zurückziehen, weil dort inzwischen auch ihre Eltern und Großeltern liken, hat sich herumgesprochen. Womit sie stattdessen ihre Zeit verbringen, ist unter Erwachsenen weitgehend unbekannt. Das liegt einerseits an der Nichtkenntnis der entsprechenden Seiten. Aber würden Außenstehende andererseits per Zufall draufklicken, wären sie dermaßen irritiert, dass sie sowieso nicht verstünden, was gerade vor ihren Augen passiert und warum.

Das Phänomen heißt „Let’s Play“. Lass uns spielen. Grob gesagt: Menschen filmen sich dabei, wie sie Computerspiele ausprobieren und ihre Fortschritte in Echtzeit selbst kommentieren. Autorennen, Actiongames, Ballerabenteuer. Dabei steht nicht das Ziel im Vordergrund, ein Spiel zu gewinnen oder den Zuschauern Tipps zu verraten, wie es sich schnellstmöglich knacken lässt. Es geht um die Handlung des Spielens an sich, die kleinen Erfolge von Level zu Level, das Scheitern, das Wieder-von-vorne-Anfangen.

Interessiert doch keinen? Von wegen. Allein dem Vorspieler Gronkh folgen auf Youtube inzwischen fast drei Millionen Abonnenten. Zum Vergleich: Der auf Youtube erfolgreichste deutsche Musiker, Rapper Bushido, bringt es auf gerade mal 700 000 Abonnenten. Die „Tagesschau“ hat lächerliche 12 000.

Auf Spielemessen werden Let’s Player mittlerweile wie Filmstars gefeiert, sind umringt von autogrammhungrigen Teenagern, die Sprüche und Lieblingsgames ihrer Vorbilder aufsagen können. In Foren wuchert „Fan Fiction“: Regelmäßige Zuschauer denken sich Kurzgeschichten aus, in denen ihre Helden abends zu Hause sitzen und sich überlegen, welchen ihrer Laptops sie jetzt benutzen und ob sich wohl ein Software-Update lohnt.

Im Gegensatz zum durchweg jungen Publikum sind die bekanntesten deutschen Akteure der „Let’s Play“-Szene längst erwachsen. Gronkh, der mit bürgerlichem Namen Erik Range heißt, ist im April 37 Jahre alt geworden. Mit seinem dichten Vollbart schafft er es locker auf jede Ü-40-Party. Range stammt aus Braunschweig, lebt inzwischen in Köln, betreibt dort mit Valentin Matthias Rahmel alias Sarazar eine eigene Firma. Zu Beginn musste Rahmels Mutter die beiden finanziell unterstützen, das ist dank Werbeeinnahmen längst nicht mehr nötig. Ihre sonderbaren Künstlernamen haben sie sich beim Deutschen Patent- und Markenamt schützen lassen.

Dass „Let’s Play“ viel mehr sein kann als Spaßveranstaltung und brotloses Hobby, sondern Big Business mit hohen Profitmöglichkeiten, haben inzwischen auch die Platzhirsche des Silicon Valley erkannt. Netzgigant Youtube, hieß es diese Woche, steht offenbar kurz vor der Übernahme des „Let’s Play“-Anbieters twitch.tv. Geschätzte Kaufsumme: eine Milliarde US-Dollar.

Der prominenteste Let's-Play-Protagonist ist ein Schwede

Der prominenteste Spieler weltweit ist der 25-jährige Schwede Felix Arvid Kjellberg. Unglaubliche 27 Millionen Nutzer haben seinen Kanal „PewDiePie“ abonniert. Kein Fernsehsender oder Popstar, kein Sportler, Politiker oder Unternehmen kann auf Youtube eine annähernd große Fangemeinde vorweisen. Angeblich verdient Felix Kjellberg allein durch Werbeeinspieler auf Youtube mittlerweile fast eine Million Euro pro Monat.

Vor zwei Tagen hat Kjellberg ein neues Video hochgeladen. Darin steuert er seine Figur durch das Gruselspiel „The Cursed Forest #2“, verirrt sich im Wald, findet schließlich ein abgelegenes Haus, steuert gezielt das Plumpsklo im Hof an. „Das Plumpsklo ist immer die Antwort“, kommentiert der Schwede. Tatsächlich steckt ein Monster in der Toilette, Kjellberg hat verloren und muss von vorn beginnen.

Die Fragen, die sich jedem Außenstehenden beim Besuch der gängigen Seiten aufdrängen: Warum bitte schön hat so etwas Riesenerfolg? Warum ist Let’s Play die beliebteste, am schnellsten wachsende Gattung aller Youtube-Zeitvertreibmöglichkeiten? Sind die Dialoge der Kommentatoren aufwendig ausgearbeitet, die Shows liebevoll produziert, werden professionelle Gagschreiber engagiert, gibt es für den Zuschauer irgendeinen Erkenntnisgewinn?

Die Antwort lautet in allen Fällen: Eher nein. Die Sendungen wirken ungeplant und tatsächlich am Stück aufgenommen. Die Spieler agieren und kommentieren spontan, sprechen einfach aus, was ihnen gerade durch den Kopf geht, und das ist meistens wirklich nicht viel. Es gibt keine originellen Gags, keine Geistesblitze, keine Pointen. Kein kluger Gedanke, bei dem man argwöhnen könnte: Der ist so brillant, das haben sich die Spieler doch sicher vorher ausgedacht.

Das Niveau der Scherze, die Gronkh, Sarazar und ihre wechselnden Spielgefährten miteinander treiben, erinnert an die würdelose Phase der eigenen Schulzeit kurz vor Eintritt in die Pubertät, in der man es irgendwie schaffte, jedem noch so banalen Satz eine sexuelle Konnotation anzudichten. Als Sarazar einem Kumpel beim Sportwagenrennen in „Grand Theft Auto V“ hinten reinfährt, kichert der los: „Hihi. Du bist mir hinten reingefahren.“

Auffällig häufig witzeln die Beteiligten – und es sind fast ausschließlich Männer – darüber, ob einer der hier Spielenden vielleicht schwul sein könnte. Wenn Gronkh erzählt, dass es im Kölner Aufnahmestudio leider keine Heizung gebe, schränkt er das gleich ein: bis auf den Kollegen Manuel natürlich, der sei schließlich „warm“. Alle lachen. Man könnte diese Typen für furchtbar verklemmt und homophob halten. Aber dort im kleinen Studio vor den Videokameras sitzt letztlich eben nicht der 37-jährige Unternehmer Erik Range, sondern der minderjährige Gronkh, der wahrscheinlich noch nie in seinem Leben Sex hatte, und wenn doch, plagt er sich mit vorzeitigem Samenerguss herum. Dem möchte man einen Schwulenwitz nachsehen.

Das Erfolgsgeheimnis: Auf die Let's-Play-Leute kann man sich verlassen

Die eigentliche Leistung der Let’s Player – und wahrscheinlich auch deren Erfolgsgeheimnis – begreift man erst nach Ende der Recherche. Wenn man sich Tage später nämlich fragt: Was macht eigentlich Gronkh gerade – durch welches Spieleuniversum kämpft er sich wohl heute?

Weil sie jeden Tag mindestens ein neues Video online stellen, oft auch mehrere, sind Let’s Player immer da, wenn einem langweilig ist. Sie sind die Freunde, auf die man sich verlassen kann. Wer sonst kann einem Teenager so viel Konstanz und Verbindlichkeit garantieren? Weil sich die Fans ihren Vorzockern so eng verbunden fühlen, klicken sie auch Videos, in denen gar nicht am Computer gespielt wird, sondern man den Helden bloß beim Essen zuschauen kann.

Ach ja, was Gronkh gerade macht: In seinem neuesten Video hat Erik Range den Simulator „Feuerwehr 2014“ ausprobiert. Ist im rot lackierten Einsatzwagen zu einem brennenden Lagerhaus gefahren, rollt den Schlauch aus und legt los. Erst hält er ihn Richtung Flammen, dann lieber auf die anderen Einsatzkräfte. „Ich spritze alles weg“, jubelt Gronkh.

Man kann es förmlich kichern hören vor hunderttausenden Bildschirmen.

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