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Suche nach der Urzelle. Vor ungefähr dreieinhalb Milliarden Jahren entstanden Mikrostrukturen, die Ähnlichkeiten mit heutigen Bakterien aufweisen. Es war der Anfang des Lebens. Das Wissen über diese Strukturen soll helfen, künstliches Leben zu schaffen.

© Oliver Berg, dpa-picture alliance

Leibnitz-Kolleg 2018 der Universität Potsdam: Der Gott der ganz kleinen Dinge

Das Leibniz-Kolleg 2018 an der Universität Potsdam widmet sich synthetischen Zellen und künstlichem Leben. Es geht dabei um kleinste Formen des Lebens, aber auch theologisch-philosophische Fragen, die die Forschung daran aufwirft.

Potsdam - Zellen aller heutigen Organismen bestehen aus den gleichen molekularen Grundbausteinen. „Das ist ein starker Hinweis auf einen gemeinsamen Ursprung allen Lebens in Form einer Urzelle, die vor Milliarden von Jahren entstanden ist“, erklärt Reinhard Lipowsky, Direktor der Abteilung Theorie & Biosysteme am Max-Planck-Institut für Kolloid- und Grenzflächenforschung in Potsdam, der das diesjährige Leibniz-Kolleg an der Universität Potsdam mit organisiert hat. Wie genau die ersten Zellen ausgesehen haben, ist der Wissenschaft heute noch ein Rätsel. Würde es gelingen, diese Form nachzubauen, dann wäre dies ein erster Schritt zur Schaffung künstlichen Lebens – davon gehen zumindest Wissenschaftler wie Petra Schwille aus. Die Biophysikerin hält den Hauptvortrag zum Leibniz-Kolleg: Sie geht der Frage nach, ob es eine kleinste Form des Lebens gibt.

Das diesjährige Leibniz Kolleg (am 26. April, Uni-Campus Golm) befasst sich mit der Selbstorganisation und der künstlichen Erschaffung von kleinsten biologischen Systemen, von Molekülen und Zellen. Und auch mit der Verantwortung, die sich aus der Forschung an diesen Grundbausteinen des Lebens ergibt. Es geht um synthetische Biologie. Die hat es sich langfristig zum Ziel gesetzt, künstliche Zellen zu erschaffen, die wesentliche Eigenschaften von natürlichen Zellen nachahmen.

Ein Forschungsgebiet Schwilles sind Filamente. Das sind kleinste Fasern innerhalb einer Zelle. Sie stabilisieren die Zelle, sind aber auch für Bewegungen innerhalb der Zellen verantwortlich. Damit bilden sie einen der Bausteine der Zelle. Auf einer schematisierten grafischen Darstellung wirken sie wie die Speichen eines Rades. Aus dem Verständnis der Bewegungen und der Funktionen der Filamente erhofft sich die Wissenschaft ein grundsätzliches Verständnis von Vorgängen, die nur noch als Kräfte auf einer Nanoskala erkennbar sind. „Dennoch gibt es spezielle Mikroskope, die Bewegungen innerhalb der Zelle bei diesen Größenordnungen sichtbar machen“, so Reinhard Lipowsky fest. Es sei möglich, Moleküle innerhalb der Zelle mit Farbstoffen zu markieren und zu beobachten. So würden die Bewegungen der Filamente erkennbar.

Die molekularen Grundbausteine werden seit vielen Jahren intensiv untersucht

Die technischen Voraussetzungen für eine solche Forschung im Kleinsten existieren allerdings erst seit einigen Jahrzehnten. Die molekularen Grundbausteine werden seit vielen Jahren intensiv untersucht. Seit den 1960er Jahren war es möglich, Proteine mit einer bestimmten Sequenz von Aminosäuren zu synthetisieren. Aminosäuren sind Bausteine von Proteinen. Sie dienen dem Aufbau von Körpergewebe- und Zellen. Künstliche Proteine haben die gleichen Eigenschaften wie ihre natürlichen Vorbilder. Viele verschiedenartige Formen von Körper-, Blut-, und sonstigen Zellen gibt es. Sie alle sind aufgebaut aus gleichartigen Makromolekülen, aus Proteinen, Lipiden und anderen Grundelementen.

Wie die Prozesse beim Aufbau und der Strukturierung einer Zelle ablaufen und wie sich diese künstlich nachbilden lassen, daran forschen derzeit Biologen und Biophysiker. Die Wissenschaft nähere sich den Funktionsprozessen innerhalb der Zelle und deren Nachbau von zwei Seiten, so Lipowsky: einmal werde aus der schon vorhandenen Zelle auf immer kleinere Funktionen geschlossen. „Relativ einfache Zellen wie Mycoplasmen werden noch weiter vereinfacht. Innerhalb einer Zelle haben Forscher eine große Zahl von Genen abgeschaltet. Das war aber nicht sonderlich erfolgreich, weil man trotzdem nicht verstanden hat, welche Funktion die verbleibenden Gene haben“, erklärt Lipowsky.

Auf der anderen Seite versuchen Wissenschaftler, den Funktionen und Reaktionen der kleinsten Elemente der Zelle, der Moleküle, auf die Spur zu kommen. Auch will man künstliche Zellen Schritt für Schritt aus ihren molekularen Bausteinen aufbauen. Potsdamer Wissenschaftler am Max-Planck-Institut gehen den zweiten Weg. Sie verstehen mittlerweile, wie aus Polymeren Biokolloide und Biomodule entstehen. Wie sich der Schritt von Polymeren zu größeren organischen Zellen vollzieht, ist derzeit allerdings noch eine offene Forschungsfrage. Dieser Schritt muss aber vor langer Zeit einmal gelungen sein.

Künstliches Leben: Darf der Mensch Gott spielen?

Denn: vor ungefähr dreieinhalb Milliarden Jahren entstanden Mikrostrukturen, die in Fossilien in Australien nachgewiesen wurden und die Ähnlichkeiten mit heutigen Bakterien aufweisen. Damals gab es bereits Tag und Nacht auf der Welt, die Erde hatte als großer Umweltreaktor funktioniert und in der damals bestehenden Ursuppe hatten sich erste Proteine, die Grundbausteine der Zellen, geformt. Diese wiederum stellen die kleinste Einheit aller lebenden Organismen dar.

In den vergangenen Jahren wurden große Fortschritte beim Verständnis einzelner Module erzielt. Lipowsky nennt als Beispiele Biomembranen, die Mikorpartiemente bilden. Die Herausforderung bestehe nun darin, die verschiedenen Module zu integrieren und auf diese Weise künstliche Zellen zu erzeugen. Das sei ein erster Schritt zur Schaffung künstlichen Lebens.

Zwar sei es noch ein weiter Weg, bis mit diesem Wissen künstliches Gewebe geschaffen oder Hautelemente gebaut werden könnten. „Es ist unwahrscheinlich, dass hier übermorgen eine künstliche Zelle über den Tisch krabbelt“, so Lipowsky. Aber schon auf dem Weg dorthin würden sich ethische Fragen stellen, die gleichen, die es im Zusammenhang mit genveränderten Zellen bereits heute gibt. Daher hat das Kolleg den evangelischen Theologen Reiner Anselm eingeladen. Er will hinterfragen, wie weit der Mensch Gott spielen darf, wenn er aus den kleinsten Bausteinen organischer Strukturen künstliches Leben schaffen will.

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Hintergrund: Fachwissen allgemein verständlich

Seit 1998 macht es sich das Leibniz-Kolleg einmal jährlich zum Ziel, schwierige wissenschaftliche Forschungsfragen einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Dazu lädt das Kolleg Fachwissenschaftler ein, die ihre Ergebnisse allgemein verständlich aufbereiten. Auf dem Programm des 22. Leibniz-Kollegs steht auch die Verleihung von zwei Preisen: Dem Publikationspreis an Nachwuchswissenschaftler der Naturwissenschaften und der Mathematik sowie dem Sonderpreis für herausragende Forschungsergebnisse in der Biophysik, Biochemie, Biotechnologie und den angrenzenden Gebieten. Der mit 2500 Euro dotierte Publikationspreis wird an derzeitige oder ehemalige Doktoranden der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät der Universität Potsdam vergeben. Sie erhalten die Auszeichnung für in Potsdam erzielte bedeutende wissenschaftliche Leistungen, die in anerkannten Zeitschriften publiziert wurden. Der mit 2500 Euro dotierte Sonderpreis wird an Wissenschaftler vergeben, die in jüngster Zeit in Brandenburg und Berlinherausragende Forschungsergebnisse in der Biophysik, Biochemie, Biotechnologie und den angrenzenden Gebieten erzielt haben.

Das Programm: www.leibnizkollegpotsdam.de

Richard Rabensaat

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