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Lehrermangel in Brandenburg: „Wir würden auch mehr Lehrer ausbilden“

Der Vizepräsident der Universität Potsdam, Andreas Musil, sieht trotz Lehrermangels in Brandenburg keinen Bedarf für eine zusätzliche Pädagogische Hochschule im Land. Die Uni sieht vielmehr die Landespolitik in der Pflicht.

Herr Musil, der Landeselternrat hat unlängst eine eigene Hochschule zur Lehrerbildung in Brandenburg gefordert. Bildet die Universität Potsdam tatsächlich zu wenige Lehrer aus?

Grundsätzlich ist das nicht der Fall. Die Landespolitik und die Universität haben nachhaltig erhoben, wie hoch der Bedarf ist und was die Hochschule dazu leisten kann. Ergebnis davon war, dass es ausreicht, wenn die Potsdamer Universität im Land Lehrer ausbildet. Es kann natürlich sein, dass aktuell, wenn viele Lehrer in den Ruhestand gehen, die Potsdamer Absolventen nicht ausreichen, um den Bedarf zu decken. Bis man allerdings Zahlen und Strukturen an einer Universität geändert hat, vergehen Jahre und bis dahin kann sich die Situation wieder völlig geändert haben.

Die Berliner Humboldt Universität will kurzfristig vier neue Professuren für das Grundschullehramt einrichten. Muss sich Potsdam nicht auch strecken?

Natürlich, aber wir können die Ressourcen nicht alleine schaffen. Wir bekommen nur mit der Zustimmung des Landes neue Professoren. So wurden uns vor einigen Jahren fünf Inklusionsprofessuren gegeben, um die Lehramtsstruktur aufzubauen. Auf diesem Gebiet ist bei uns viel passiert, wir haben vor drei Jahren komplett neue Lehramtsstudiengänge eingeführt und das Zentrum für Lehrerbildung und Bildungsforschung gegründet. Wir können nun jährlich rund 600 Studierende aufnehmen.

Der aktuelle Bedarf ist höher, er soll sogar bei rund 1000 Lehrern jährlich liegen.

Die Frage ist nur, wie man darauf reagiert. Man könnte kurzfristig an bestimmten Schnittstellen und Schlüsselpositionen der Hochschule Verstärkung einziehen. Allerdings würde ich davor warnen, vorschnell ganz groß hochzufahren. Das würde langfristig Überkapazitäten schaffen. Schwierig ist auch, dass die Nachfrage in den einzelnen Fächern sehr unterschiedlich ist – in den naturwissenschaftlichen Fächern zum Beispiel würde ein Hochfahren der Kapazitäten nicht zwangsläufig bedeuten, dass wir mehr Studierende dafür gewinnen könnten – bei anderen beliebten Fächern fragt sich, ob das Land dafür mehr Lehrer braucht.

Hat die Universität die Entwicklung verschlafen?

Ich glaube nicht, dass die Universität etwas versäumt hat – vielmehr hat die Landespolitik etwas zu lange dafür gebraucht, um auf die neue Situation zu reagieren.

Wäre die Universität grundsätzlich bereit, mehr Lehrer auszubilden?

Selbstverständlich. Der Vorwurf des Landeselternrates, dass die Lehrerbildung nicht lukrativ für die Potsdamer Universität sei, ist schlichtweg falsch. Vielmehr ist sie sogar unser Kerngeschäft, einige unserer Fakultäten wären ohne die Lehrerbildung gar nicht denkbar. Wir sehen die Ausbildung der Lehrer als eine unserer grundsätzlichen Verpflichtungen. Nur muss die Politik dafür auch die grundlegenden Entscheidungen treffen.

Zwischen 400 und 500 Lehrer verlassen derzeit jährlich die Universität. Es bleibt also ein fast doppelt so hoher Mehrbedarf. Diese Lehrer können doch nicht alle aus Brandenburg kommen.

So ist es. In einem föderalen Staat wie der Bundesrepublik darf man nicht auf einzelne Bundesländer bezogen denken. Wir haben sehr viel Fluktuation zwischen den Bundesländern. Die Länder selbst haben die Attraktivität ihrer Lehrerstellen natürlich auch ein Stück weit selbst in der Hand. Das hängt einerseits mit den Gehältern zusammen, andererseits aber auch mit der Frage, wie man Lehrer in die Peripherie bringt. Hier könnten beispielsweise bereits während der Ausbildung Bindungen aufgebaut werden. Ohne gewisse Anreize wird es nicht gehen – und das muss ordentlich organisiert sein. Dazu sind wir mit dem Ministerium seit längerem im Gespräch.

Man kann die Absolventen auch nicht zwangsverpflichten.

Natürlich nicht, es bleiben nicht alle in Brandenburg. Manch einer sieht woanders attraktivere Standortbedingung. So gesehen ist eine 1:1-Planung gar nicht möglich. 1000 Absolventen wären nicht 1000 neue Lehrer für das Land.

Also müsste sich Brandenburg auch darum bemühen, Lehramtsabsolventen aus anderen Bundesländern anzuziehen?

Das ist ein wichtiger Weg. Das haben viele Bundesländer im Süden mit besseren finanziellen Bedingungen gemacht. Denn die Absolventen stimmen mit den Füßen ab – sie gehen dorthin, wo sie die besten Bedingungen angeboten bekommen. Darauf haben wir als Hochschule keinen Einfluss.

Es hieß auch von den Elternvertretern, dass eine noch zu errichtende eigenständige Pädagogische Hochschule besser auf die Bedürfnisse der Lehramtsstudierenden ausgerichtet wäre.

Diese Aussage, die Bildungsminister Günter Baaske (SPD) auch aufgegriffen hat, ist für uns nicht nachvollziehbar. Ich denke nicht, dass man überhaupt weiß, wovon man spricht. Die Pädagogische Hochschule ist in Deutschland in den vergangenen zwei Jahrzehnten als falscher Weg erkannt worden, weil sie der Wissenschaftlichkeit der Lehrerbildung keine Rechnung trägt. Insofern ist das eine Scheindiskussion. Allerdings gibt es Probleme, die eine Universität in der Lehrerbildung immer hat. Weil Lehrer berufsbezogen ausgebildet werden, gibt es immer Reibungen mit dem parallel laufenden wissenschaftlichen Betrieb. Genau dazu haben wir das Zentrum für Lehrerbildung und Bildungsforschung (Zelb) gegründet, um hier Verbesserungen zu schaffen. Auch werden wir die Förderung der Qualitätsoffensive Lehrerbildung nutzen, um für die bestehenden Defizite Lösungen zu finden.

Was spricht für das neue Potsdamer Modell der Lehrerbildung?

Wir haben frühzeitig darauf reagiert, dass praxisbezogene Lehrausbildung im Lehrberuf unverzichtbar ist – wir haben fünf Praxisphasen im Studium, die Studierenden werden schrittweise an die Praxis herangeführt. Dabei geht es auch um die Selbstvergewisserung, ob man den Beruf überhaupt machen will. Es gibt allerdings noch personelle Defizite dadurch, dass das Praxissemester eingeführt wurde, ohne dass die Hochschule dafür zusätzliche Mittel erhalten hat. Wir bräuchten noch eine ganze Reihe von festen Stellen, die sich nur mit dieser Praxisbetreuung beschäftigen. Darum haben wir das Land um Hilfe gebeten.

Sie haben das Studium grundlegend geändert – mit Erfolg?

Der Kern der Konzeption besteht darin, die Schulstufen im Bachelor- und Masterstudium nachzubilden. Nun kann man Grundschul- oder Sekundarschullehramt alleine studieren. Wir haben das besser an die Realitäten im Beruf angepasst. Bei der Inklusion von Behinderten in den Schulen geht es darum, die Lehrer sehr gut auszubilden. Dazu haben wir eine sehr innovative Studienstruktur geschaffen. Das wird nun von anderen Hochschulen übernommen, was wir leider daran bemerken, dass uns hochqualifizierte Inklusionsprofessorinnen und -professoren weggekauft werden.

Neu ist auch das Qualifizierungsprogramm für geflüchtete Lehrer aus Syrien. Wie ist der Zwischenstand nach einem knappen halben Jahr?

Wir sind mit rund 60 Lehrern in die Ausbildung gestartet. Jetzt sind noch ungefähr zwei Drittel davon im Programm. Die Sprachkurse waren recht hart, die meisten sind allerdings dabei geblieben und hatten gute Erfolge. Im zweiten Semester steht nun die Vorbereitung auf die deutsche Schullandschaft an. Eine besondere Hürde war dabei, dass für den Einsatz in den Schulen eine Sicherheitsüberprüfung gefordert wurde. Das lässt sich nicht einfach über Führungszeugnisse machen.

Sondern?

Die Universität musste für jeden einzelnen Teilnehmer bei der Ausländerbehörde entsprechende Anfragen stellen. Eine Zeitlang dachten wir, dass wir das nicht hinbekommen. Mittlerweile sind für die meisten die Anfragen aber positiv verlaufen. Nun suchen wir mit dem Schulministerium nach Wegen, wie die Lehrer dann nach dem kommenden Semester an die Schulen kommen können. Da wird nicht jeder gleich als Lehrer arbeiten können. Das hängt stark vom Sprachvermögen ab. Viele könnten erst einmal als Aushilfslehrer in Willkommensklassen unterkommen. Dabei suchen wir noch nach Möglichkeiten, wie die Kommunen solche Stellen überhaupt finanzieren können. Wir müssen für jeden Einzelnen einen Weg entwickeln. Wir gehen davon aus, dass im kommenden Frühjahr die ersten Lehrer in Jobs kommen.

Inwieweit lassen sich die Praxiserfahrungen der syrischen Lehrer aus ihrer Heimat auf unser System übertragen?

Natürlich nicht so einfach. Wir versuchen, einen Kulturschock durch Einführungsveranstaltungen zu vermeiden. Es muss auch klar werden, dass Kinder hier anders behandelt werden. Das Gute daran wird sein, dass die Kinder aus Syrien durch die neuen Lehrer eine Art Vermittler bekommen.

Schwierig ist für die Lehrer aus Syrien auch, dass sie meist nur ein Fach studiert haben. Für eine feste Lehrerstelle sind bei uns jedoch zwei Fächer Voraussetzung.

Für Lehrer mit normaler Lehramtsbefähigung ist das so. Aber solche Lehrer werden aus unserem Programm nicht hervorgehen. Es gibt an Schulen auch Seiteneinsteiger. Die kann man ohne Lehramtsbefähigung in eine feste Anstellung bringen, allerdings mit einem geringeren Gehalt. So können sie dauerhaft im Schuldienst arbeiten. Wir wollen nun – unabhängig vom Flüchtlingsprojekt – nach Wegen suchen, wie solche Lehrer parallel zum Job die Lehramtsbefähigung erhalten. Meistens wird es aber nötig sein, ein zweites Fach zu studieren. Gerade die syrischen Flüchtlinge haben oft keinen Master, sondern nur den Bachelor. Das muss dann auch nachgearbeitet werden. Es ist für die Betroffenen teilweise schon recht schwierig, eine volle deutsche Lehramtsbefähigung zu erhalten. Abstriche bei den Anforderungen sind aber auf keinen Fall möglich.

Wie geht das Programm weiter?

Wir haben einen zweiten Durchgang gestartet, mit wesentlich weniger Teilnehmern. Die erste große Welle ist vorbei. Diesmal sind nur Bewerber aus der Region genommen worden. Wir hoffen natürlich, dass unser Programm, wenn es erfolgreich war, von anderen Hochschulen kopiert wird. Das Programm ist Neuland, mit viel Arbeit und vielen Unsicherheiten verbunden. Daher warten bislang alle ab, was daraus wird.

Kann das Programm dazu beitragen, dem Lehrermangel im Land zu begegnen?

Einen Beitrag kann das Programm schon leisten, aber andere Maßnahmen nicht ersetzen. Man kann nicht in größerer Zahl Lehrer an Schulen in der Peripherie bringen, die mit der Bevölkerung kaum Überschneidungspunkte haben. Das würde nicht funktionieren. Dieser Bedarf muss mit herkömmlichen Lehramtsabsolventen gedeckt werden. Man sollte auch generell nicht zu viele Quereinsteiger an die Schulen bringen.

Das Interview führte Jan Kixmüller.

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ZUR PERSON: Andreas Musil (45) ist seit 2012 Vizepräsident für Lehre und Studium der Universität Potsdam. Musil ist Professor für Öffentliches Recht an der juristischen Fakultät der Potsdamer Uni.

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