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„Kriminalist“ Bruno Schumann (Christian Berkel) muss in „Die offene Tür“ die Morde an mehreren Dealern aufklären (20 Uhr 15, ZDF). Die Zahl der Drogentoten stieg 2017 in Berlin auf 146 – Stand November.

© ZDF und Oliver Feist

"Kriminalist" Christian Berkel im Interview: „Diese Dealer sind wirklich arme Schweine“

Schauspieler Christian Berkel über den Drogenhandel am Kottbusser Tor, die Berliner Politik und die erste „Kriminalist“-Folge in Spielfilmlänge.

Herr Berkel, der „Kriminalist“ hat an diesem Freitag erstmals Spielfilmlänge, ist also eine halbe Stunde länger als sonst. Es geht um das Kottbusser Tor, um Drogen und jugendliche Dealer. Was ist an dieser Folge so besonders?

Die Idee dazu hatte ich schon länger. Wenn ich im „Kriminalist“ aus dem Fenster des Präsidiums am Kottbusser Tor schaue, sehe ich ganz unten einen Spielplatz. Eine Etage darüber treffen sich Jugendliche, die früher selbst auf dem Spielplatz gegen den Ball gekickt haben und nun Drogen verticken. Eine härtere Metapher für die Begrenzung von Aufstiegsmöglichkeiten gibt es kaum. Darüber habe ich mit unserem Autor Christoph Darnstädt gesprochen, der dann sagte: „Da mache ich was draus.“

Warum gerade ein Film über Drogendealer in dieser Länge? Was unterscheidet das Thema von den anderen Fällen?

In vielen Drogengeschichten geht es darum, was für eine Welt das ist, und um die Faszination dieser Gegenwelt. In „Die offene Tür“ wird keine Faszination abgebildet, sondern die ganz bittere Wirklichkeit. Und zwar nicht nur die von Sucht und Entzug, sondern von Liebesentzug und Liebesverlust. Dadurch, dass wir den Film zu dieser Jahreszeit gedreht haben, wird zudem eine sehr präsente gesellschaftliche Kälte gezeigt. Wir wissen, dass Drogen ein Teil unserer Gesellschaft sind. Das führt dazu, dass Orte wie der Kotti komplett vergessen werden. Es gibt keinen Umgang damit, genauso wenig wie mit dem Görlitzer Park oder der Hasenheide. Die Polizei macht ab und zu eine Razzia, steht aber komplett auf verlorenem Posten, weil die Leute wegen Geringfügigkeit relativ schnell wieder freigelassen werden. So wird man das Problem gewiss nie lösen.

Die jungen Dealer werden im Film als arme, bemitleidenswerte Würstchen dargestellt. Findet da nicht eine Verharmlosung von Kriminalität statt?

Bei diesen Jugendlichen handelt es sich um Beschaffungskriminalität. Sie finanzieren ihre Sucht über das Dealen. Das sind wirklich die armen Schweine. Ihre Sucht wird benutzt, um die Struktur dahinter am Leben zu halten. Die Leute, die damit ihr Geld verdienen, sind alles andere als süchtig und interessieren sich nicht für die Jugendlichen. Die sind für sie Abschaum und Dreck. Das ist kein Film über die Hintermänner, sondern es geht wirklich um die Schwachen und Wehrlosen.

Sie selber haben zwei Söhne, der eine 15, der andere 18. Sie hätten die Geschichte also auch ganz anders erzählen können.

Das Thema hat sich seit meiner Jugend stark verändert. In den 70er Jahren gab es vielleicht drei oder vier Leute in einer Klasse, die Kontakt mit weichen Drogen hatten. Ich will nicht sagen, dass sich das Verhältnis umgekehrt hat, aber es hat stark zugenommen. Für die meisten ist es allerdings eine pubertäre Übergangsphase. Sie probieren es aus, und irgendwann ist das Thema erledigt. Ob das so ist, hängt ganz stark vom Umfeld ab, also wie ein Jugendlicher aufwächst.

Wie gehen Sie bei Ihren Kindern mit dem Thema um?

Ich kann sie eigentlich nur auf die Gefahren aufmerksam machen. Mit ein bisschen Reden, aber nicht allzu viel. Und durch das eigene Verhalten. Ich glaube nicht, dass Eltern, die sich mit Alkohol die Kante geben, dagegen ankommen, wenn ihre Kinder Drogen nehmen. Die Kinder haben ein gutes Gespür für Doppelmoral. Besser ist es aufzuzeigen, welche interessanten Möglichkeiten das Leben bietet.

Und wenn Zureden und das gute Beispiel nicht helfen, wie steht es um die Verantwortung der Politik?

Berlins Politiker haben eine Menge versäumt. Es ist nicht absehbar, dass sich daran etwas ändert. Dass der Kotti ein ganz schweres Problemgebiet ist, ist doch nicht neu. Die politische Situation in Berlin finde ich aber nicht nur in diesem Bereich katastrophal. Es ist eine weitgehend durch Wurschtigkeit und Gedankenlosigkeit geprägte Politik. Das öffnet allen Extremen Tür und Tor. Die Rechnung dafür haben wir ja bei der Wahl gekriegt.

Und wie steht es um die Verantwortung des Fernsehens? Der „Kriminalist“ bemüht sich um eine gewisse Aufklärung, indem erklärt wird, was im Drogenmilieu ein Platzhirsch, ein Läufer und ein Depotchef ist.

Ich freue mich immer, wenn ich durch einen Film etwas dazulerne. Es ist ja nicht so, dass da am Kotti einfach etwas herumwuselt, das ist durchaus strukturiert. Wir haben dort fünf Wochen meistens nachts gedreht und haben festgestellt, dass das größte Problem nicht die Dealer sind, sondern die Diebesbanden. Die sind so straff organisiert, dass wir nicht zwei Mal die gleichen Gesichter gesehen haben.

Das kann man so erkennen?

Als Laien vielleicht nicht. Aber wir hatten Security-Guards, die auch sonst am Platz Restaurants und Läden schützen und die Szene kennen.

Insgesamt haben sieben Security-Leute den Dreh bewacht. Ist das normal beim „Kriminalist“?

Nein, das war dem Ort geschuldet. Die Leute haben vor allem die Gerätschaften geschützt. Es gab durchaus Angebote an die Security, doch mal gegen die Bezahlung einer bestimmten Summe wegzuschauen. Das hat aber nicht funktioniert. Zudem haben sie dafür gesorgt, dass ich mich als Schauspieler beim Drehen nicht ständig darauf konzentrieren muss, ob jemand von hinten angerannt kommt, um dies oder jenes mit mir zu machen. Zum Spielen benötige ich eine gewisse geschützte Situation.

Haben Sie sich auch persönlich bedroht gefühlt?

In dem Sinne nicht.

Zurück zum Fernsehen. Geht es Krimis am Ende nicht doch nur um Unterhaltung?

Es ist immer die Frage, mit welcher Haltung produziere ich Unterhaltung? Ich kann einen Film wie „Die offene Tür“ in erster Linie auf der Spannungsebene produzieren. Aber der Film enthält auch das Angebot, das Gesehene auf einer andere Ebene wahrzunehmen. Diese Balance würde ich mir vom Fernsehen öfter wünschen. Das ist in 60 Minuten genauso möglich wie in 90.

Gibt es Pläne für weitere Folgen in 90 Minuten?

Von meiner Seite steht dem nichts im Weg, aber aktuell gibt es keine Pläne.

Ihr Kommissar Bruno Schumann ist ein guter Beobachter und insgesamt eher ruhiger Vertreter. Entspricht das Ihrem Naturell?

Als ich damals das Angebot für die Rolle bekam, gab es weder ein Drehbuch noch eine ausgearbeitete Idee – außer der, ein neues Format mit mir zu entwickeln. Ich spiele natürlich gerne Figuren, die mir komplett entgegengesetzt sind. Aber für eine Serienfigur, für die eine regelmäßige Verabredung mit dem Zuschauer gewollt ist, braucht es eine Figur, die dicht an mir dran ist. So bin ich dann auch auf die Viktimologie gestoßen …

… also die Opferforschung?

Diese Methode ist so interessant, weil man das Opfer immer kennt. Wenn man sich mit seinem Umfeld beschäftigt, kommt man unweigerlich irgendwann auf den Täter. Dieses Empathische, was dafür nötig ist, und vor allem die Beobachtung liegen mir sehr. Sie sind ein Grund, warum ich diesen Beruf ausübe.

Das Interview führte Kurt Sagatz.

Zur Person

Christian Berkel – gebürtiger Berliner des Jahrgangs 1957 – verbrachte die ersten 14 Lebensjahre in Paris, dort erster Kontakt zum Schauspiel.

Mit 19 besetzte ihn Ingmar Bergmann für „Das Schlangenei“. Immer auch Theater, unter anderem in Berlin, Bochum, München, Wien. Arbeitete für TV und Kino mit den Regisseuren Dieter Wedel, Dominik Graf, Helmut Dietl.

Seine Engagements reichen über Deutschland hinaus: „Flightplan“ mit Jodie Foster, „Operation Walküre“ mit Tom Cruise, „Inglourious Basterds“ mit Brad Pitt. sag

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